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Ich binde mein Haar in einen hohen Zopf während ich in Richtung Deck laufe. Die Sonne scheint auf mein Gesicht, woraufhin ich meine Augen schließe und die Wärme willkommen heiße. Dieses Mal muss ich nicht schuften, sondern kann entspannen. Dieses Mal verfolgt mich nicht ein gewisser kalter Blick, stattdessen werde ich von den Männern mit einem Nicken oder Handheben begrüßt.

Sobald ich Smith am Steuer ausmachen kann laufe ich auf ihn zu, lehne mich neben ihn an die Reling und beobachte ihn. An Deck kann ich nicht mehr als zehn Männer ausmachen, die sich entweder unterhalten oder ihrer Arbeit nachgehen.

„Möchtest du auch was sagen, oder nur schauen?“ Smith wirft einen kurzen Blick zu mir, schaut dann aber wieder vor uns. Ich löse meine verschränken Arme und stoße mich ab, bleibe direkt neben ihm stehen. "Ich bin mir noch nicht sicher."
Meine Augen blicken wie seine vor uns auf das offene Meer. Heute ist es eher ruhig, dafür scheint die Sonne umso mehr. Ich bleibe noch einen Moment still, ehe ich aufseufze. "Klingt es komisch, wenn ich sage, dass ich nicht weiß ob ich weinen oder mich freuen sollte, wenn ich dieses Schiff verlasse?"

Er schüttelt den Kopf. „Nein, denn du verlässt deine Familie, aber auch ihn.“
Sein Blick trifft meinen und nervös beiße ich mir auf meine Unterlippe. "Es ist ... ich weiß auch nicht."
Seufzend lasse ich meine Schultern locker. "Ich bin nicht sicher, was ich hiernach nun tun soll. Ich wollte nach Kanada. Jetzt weiß ich nicht, ob ich das weiterhin tun sollte. Ob ich nicht eher zurück nach Valencia sollte, zu Valeria und den anderen. Andererseits habe ich gemerkt, dass das Reisen mir gut getan hat, auch wenn der Grund dafür es nicht war."

„Das ist eine Entscheidung, die nur du für dich treffen kannst.“
Eine Stille legt sich um uns, die gleichermaßen beruhigend wie angespannt ist, zumindest in mir. Denn ich weiß, es ist meine Entscheidung. Was es jedoch nicht besser macht, da meine Gedanken zu zerstreut sind. Erst Joe, der lächelnd auf uns zukommt, schafft es diese Stille zu durchbrechen. „Guten Morgen Sophia.“

Dann wendet er sich an Smith. „Ist er schon zurück?“ „Nein. Er ist noch bei Celia.“ Dabei schüttelt er den Kopf und zeigt auf das Schiff neben uns, welches ich bisher versucht habe zu ignorieren. „Deshalb stehst du also auch so entspannt hier.“ Joe neckt ihn während meine Augen unweigerlich neben uns gleiten. Natürlich war ich mir bewusst, dass sie noch hier ist, und dennoch zieht sich mein Magen bei dem Anblick zusammen. Ich bin Celia dankbar, dass sie mit Jason geredet hat, doch das bedeutet nicht, dass ich ihre Anwesenheit ertragen kann. "Wie lange kennt ihr sie?", höre ich dann die Frage aus meinem Mund kommen, ohne es wirklich beabsichtigt zu haben.

Die beiden Männer sehen sich an, scheinen zu überlegen, ehe Smith mir eine Antwort gibt. „Jason hat sie vor 30 Jahren kennen gelernt und seitdem kennen auch wir sie.“

Mein Kopf hebt und senkt sich. Meine Gedanken bilden die verschiedensten Dinge in meinem Kopf, einer schmerzhafter als der andere. Warum denke ich bloß darüber nach? Warum quäle ich mich damit selbst? Es sollte - nein, es darf mich nicht mehr interessieren. "Dann scheint sie gut zu euch zu passen."

Joe's mind verzieht sich leicht und Joe legt einen Arm um meine Schultern, zieht mich zu sich. „Du passt ebenfalls zu uns, Schätzchen. Nur ist die Zeit nicht stehen geblieben sondern weiter gezogen.“
"Wie wahr."

Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter und genieße den Moment, den ich mit diesen beiden Männern habe. Sie sind trotz der vergangenen Jahrzehnte wie große Brüder, was mir den erneuten Abschied schwerer machen wird. "Ich werde vor allem euch beide vermissen, das wisst ihr, oder?"

Zeitgleich nicken sie. „Natürlich Schätzchen“, lautet Joes Antwort. „Wir werden dich ebenfalls vermissen Sophia, aber ich bin mir sicher, dass wir uns wieder sehen werden. Irgendwann.“ Er zuckt mit den Schultern, doch das Lächeln kann er nicht verstecken. Dieses Wissen ist auch eines der Dinge, die es mir leichter machen werden. Dieses Mal habe ich einen Abschluss, einen Abschied, von dem ich weiß, dass er auf lange Dauer sein wird. Aber er wird nicht das Ende sein.

Ich gebe beiden einen Kuss auf die Wange und muss grinsen über ihre Gesichtersausdrücke. "Habt ihr denn noch irgendwelche Weisheiten oder einen Rat für mich? Immerhin seit ihr doch etwas älter als ich", füge ich necked hinzu und merke wie meine Stimmung sich hebt.

Beide schnaufen auf und werfen sich einen Blick zu, ehe Joe grinsend antwortet. "Genieße das Leben. Wir haben gesehen wie dir die Sache mit Jason zugesetzt hat, also lass es los. Verlass das Schiff mit leichten Schultern und koste dein unendliches Leben aus. So wie wir." Er streckt dabei seine Hände in die Luft. "Und wenn wir uns das nächste Mal begegnen will ich die Frau sehen, die ich kenne. Mit gehobenem Kinn, die sie nichts gefallen lässt und ihren Wert kennt. Verstanden?"

Ich lege meinen Kopf lachend in den Nacken, merke aber wie seine Worte meiner Seele gut tun. Und innerlich beschließe ich mich genau daran zu halten. Ich schließe Joe in eine dicke Umarmung, was er genauso erwidert, wie ein vorzeitiges Lebewohl, auch wenn meine Zeit, von Bord zu gehen, noch nicht gekommen ist. Sobald ich ihn loslasse und mich zu Smith wende erkenne ich eines seiner seltenen Lächeln, die eher sanft wirken.

Auch ihn ziehe ich in eine Umarmung, die er mit einem Arm erwidert, während die andere weiterhin auf dem Steuerrad liegt. "Ich stimme Joe zu", höre ich ihn an mein Ohr brummen. Ich löse kurz darauf meinen Griff um ihn, woraufhin er seine Hand auf meiner Schulter legt. "Du wirst immer ein Teil unserer Crew sein, Sophia, egal welche Ozeane zwischen dir und der Black Hell legen. Du bist ein Teil dieser großen Familie, auf die du immer zählen kannst. Selbst wenn unser Captain mal wieder mit dem falschen Fuß aufgestanden ist." Er zwinkert mir zu, ehe er mich endgültig loslässt.

Diese Worte von beiden zu hören ist mehr als ich mir erhofft hatte, als ich in Tortuga das Schiff betreten habe. Doch ich merke, dass ich sie gebraucht habe. Ich reisse mich zusammen, räuspere mich und lasse dann die beiden allein. Meine Beine führen mich zu Smith's Kajüte, wo ich die Tasten des Klaviers aufdecke und mich dann auf den Hocker davor setze.

Ich schließe meine Augen, lege meine Finger an die Tasten, und spiele einfach drauf los. Ich brauche nicht lang, um zu erkennen, dass es das erste Lied ist, welches mir hier auf diesem Schiff beigebracht wurde, und lege mich noch mehr ins Zeug, spiele meine eigenen Töne mit ein, die die Melodie etwas verändern, aber trotzdem noch erkennen lassen, was ich spiele.

Etwas, womit meine Reise begonnen hat.

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Bloody SeductionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt