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~ Tortuga 1841 ~


Zwei weitere Wochen vergehen auf See, in denen Giulio und ich uns so gut wie möglich aus dem Weg gehen. Ich befolge alle seiner Befehle ohne ein Wort, im Gegenzug dafür sorgt er dafür, dass seine Männer ihren Abstand zu mir halten. Ich rechne es ihm hoch an, dass er mir diesen Gefallen tut, denn je weniger ich mich um sie befinden muss, je mehr Abstand ich zwischen ihnen habe, desto freier kann ich atmen.

Nur durch die Gespräche, die ich zwischendurch mitbekomme, weiß ich, dass wir uns kurz vor der Küste Tortugas befinden. Gleichzeitig bedeutet das für mich, dass ich mich von ihnen trennen und meinen eigenen Weg gehen kann. Viel wird mir bevor bestehen, da alle meine Habseligkeiten, welche sich auf dem Schiff, welches sie gekentert haben, nicht mehr aufzufinden sind. Ich muss mich also gänzlich neu einkleiden müssen und dafür werde ich Kontakte brauchen.

Die Tür zu meiner Kajüte wird aufgerissen und ich setze mich ruckartig von meinem Bett auf. "Zeit für dich von Bord zu gehen Schätzchen. Wir legen gleich an und er ist ebenfalls vor Ort."

Giulio grinst mich breit an, zieht die Türe hinter sich zu, ehe ich etwas darauf erwidern kann. Ich brauche nicht lange um zu verstehen, wen er meint. Meine Beine aus dem Bett schwingend packe ich die wenige Kleidung, die ich hier erhalten habe, in einen Sack, bevor ich mit diesem die Kajüte verlasse und an Deck gehe. Sobald ich ihn am Steuer sehe gehe ich auf ihn zu, bleibe direkt neben ihm stehen. „Woher weißt du, dass er hier ist?"

"Das müsstest selbst du sehen." Er deutet vor sich und ich folge seinem Finger, bis ich das riesige Schiff erkenne, welches nur einer Person gehören kann.
Ihn nach fast 100 Jahren vielleicht wiederzusehen macht mich mehr als nervös, denn wir beide haben uns in dieser Zeit verändert. Er und ich scheinen klar und deutlich gelitten zu haben und die Angst, dass all das hochkommen wird, nimmt mich gefangen. So schwer es mir auch fällt, es wird das beste sein, wenn ich mich von Jason fernhalte.

Sobald wir komplett angelegt haben gehe ich sofort von Bord, ohne mich noch einmal von ihnen zu verabschieden. Wir beide wissen, dass er eher erleichtert ist mich los zu sein, also tue ich uns beiden einen Gefallen. Mit dem Sack über meiner Schulter laufe ich vom Steg, weiche dabei den anzüglichen Frauen aus, die wie gierige Aasgeier den Männern hinterher schmachten.

Nichts hat sich seit dem letzten Mal, als ich hier war, geändert. Nicht die Menschen, nicht das Gefühl, was ich spüre, wenn ich durch die Straßen laufe. Der Ort, an dem mein Vater seinen letzten Atemzug genommen hat. Wo meine Schwester von der Existenz von Vampiren erfahren hat. An manche Wege und Geschäfte kann ich mich erinnern, die noch heute ihre Pforten öffnen.

An einem großen Markt bleibe ich stehen, der mich vom ersten Moment an die in meiner Heimat erinnert. Daher lasse ich es mir nicht nehmen ein wenig durch diesen zu schlendern, mich aufmerksam umzusehen. Und tatsächlich - auch wenn es einige Sachen gibt, die man bei uns nicht bekam, erinnert mich der Stil dieses Marktes sehr an unseren.

Mit etwas Manipulation erwerbe ich etwas zu Essen sowie Kleidung, die ich in meinem Säckchen verstaue, bevor ich mich auf die Suche nach einer Gaststätte für die Nacht begebe. Ich muss mir Gedanken machen, wie es nun weitergehen soll und vor allem, wie ich von Tortuga wegsegeln kann. Denn wenn eines sicher ist, dann dass ich nicht hier bleiben kann. Nicht, wenn die Wahrscheinlichkeit ihm zu begegnen so hoch ist.

Meine Suche dauert glücklicherweise nicht lang, bis ich ein kleines Lokal sichte und nicht lange zögere, sondern dieses betrete. Die Blicke der Männer ignorierend schaue ich mich um, bis mir ein groß gewachsener Mann an dem Tresen auffällt. Mit einem freundlichen Lächeln gehe ich auf diesen zu, der mich skeptisch mustert. „Kann ich dir helfen Kleine?", fragt er und mustert mich von oben bis unten.

Bloody SeductionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt