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Seit dem Tag, an dem ich den Scheiterhaufen gesehen habe, bin ich noch vorsichtiger als zuvor. Sobald ich auf offener Straße Menschen begegne, egal ob krank oder gesund, versuche ich den größtmöglichen Abstand zu halten. Zu hoch ist das Risiko, dass ich mich doch noch anstecke. Selbst im Nachbarort, wo wir unsere Einkäufe erledigen, bin ich mittlerweile in einem Zustand, wo ich Angst bekomme mich den Menschen zu nähern. Sie sitzt in meinen Knochen und begleitet mich nun noch mehr.

Selbst wenn mein Körper noch nicht krank geworden ist, scheint mein Geist wie besessen davon zu sein. Überall sehe ich eine potenzielle Gefahr, der ich versuche so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen.

Selbst Valeria hat gemerkt, dass ich übervorsichtig handle und auch sie mehr auf Abstand halte wie sonst. Wenn sie sich mir nähert versuche ich, aus Sorge doch krank zu sein und sie dann anzustecken, genügend Distanz zu wahren. Bisher habe ich ihr nicht erzählt, was auf dem Marktplatz passiert ist und eigentlich habe ich auch vor es dabei zu belassen. 

Dass sie mit der Zeit dennoch skeptisch wird wundert mich nicht im geringsten. Ich versuche sowohl meine, als auch ihre Auswärtsgänge so gering wie möglich zu halten, damit wir uns nicht anstecken. Wenn wir uns außerhalb befinden sind wir entweder für unserer Einkäufe unterwegs oder am Hafen um Ausschau nach einem bestimmten Schiff zu halten. Bisher wurden wir jedoch stets enttäuscht und hoffen auf den nächsten Tag, an dem die uns so bekannten Segel aus der Ferne zu sehen sind.

Bei mir bin ich mittlerweile nicht einmal mehr sicher, ob ich bereits erkrankt bin oder nicht und genau das bereitet mir die meiste Sorge. Jeden Tag sehe ich mich minutenlang im Spiegel an, halte Ausschau nach einem Zeichen, einem Symptom. Bisher konnte ich zwar keine Erkennen, dafür plagen mich Alpträume und rauben mir den Schlaf und meine Kräfte.

Träume, in denen ich plötzlich zusammenbreche. Mir die Luft zugeschnürt wird und von der einen auf die andere Sekunde alles vorbei ist. Valeria auf sich allein gestellt ist und ich den Mann, den ich liebe, nie wieder sehe. Nicht mehr die Chance bekomme sein Gesicht ein letztes Mal zu sehen. Auch heute wache ich Schweiß gebadet auf, mit schnell rasendem Herzen und zitternden Händen. Wie jeden Morgen setze ich mich auf, stütze meinen Kopf in meinen Händen ab und versuche durchzuatmen.

Ich lebe.

Ich bin gesund.

Es wird nichts passieren.

„Gehst du oder ich heute zum Hafen?"
Ich schrecke auf, sobald ich Valeria's Stimme höre, und wende meinen Kopf Richtung Tür, wo sie mit verschränkten Armen steht und sich der fragende Ausdruck in einen besorgten wandelt, sobald sie mir in die Augen sieht. „Was ist los, Sophia? Was hast du?"

Sie will einige Schritte auf mich zukommen, doch halte ich sie mit einem „Stop!" zurück. Sofort stockt sie in ihrer Bewegung, was jedoch ihre Besorgnis noch mehr anfächert und sich ihre Arme lockern. „Rede mit mir. Warum darf ich dir nicht näher kommen?"

Verzweifelt fahre ich durch mein verschwitztes Haar und seufze auf. „Mir geht es nicht gut und wenn ich krank sein sollte, will ich dich nicht anstecken."

„Jetzt rede doch keinen Blödsinn! Du bist gesund, Sophia. Du hast keinerlei Anzeichen wie die anderen. Wie kommst du denn darauf?"

Mühselig stehe ich auf, muss mich aber einen Moment am Holz festhalten, da mir etwas schwindlig wird und meine Sicht verschwimmt.
„Erinnerst du dich noch, wie ich dir von dem Scheiterhaufen erzählt habe?", frage ich, sobald meine Sicht wieder klar ist und ich normal auf meinen Beinen stehen kann. Sie nickt und wartet, dass ich fortfahre, da sie sich an der Wand abstützt und mich nicht aus den Augen lässt. Den mir gewünschten Abstand lässt und mich aufmerksam betrachtet. „Ich habe dir nicht alles erzählt, was passiert ist."

Bloody SeductionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt