Kapitel 6

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Shirabu zog sich einen Sweater über, öffnete mir die Tür und ließ mich vor ihm auf den Gang treten. Es roch überall nach den Linoleumböden und Desinfektionsmitteln, irgendwie wirkte alles unnahbar und nicht ganz greifbar.

"Kennst du den, der hinter der nächsten Tür wohnt?"

"Ja, er heißt Satori Tendo. Ich muss zugeben, dass ich mitgekommen bis um dich ein bisschen aufzufangen, solltest du von seiner sehr... naja wie soll ich es sagen..."

"Mit Worten und einfach gerade heraus?", ich zuckte mit den Achseln und versuchte mit meinem Lächeln die sarkastische Antwort zu entschärfen.

Shirabu verstand und atmete in mehreren kurzen Stößen durch seine Nase aus, ich bezeichne diese Art zu lachen auch gerne als Besen-Lache, da es sich anhört, als würde man mit einem Besen über den Boden fegen. Er erwiderte mit einem leicht süffisanten Grinsen: "Ich sehe wir verstehen uns jetzt schon recht gut.... Naja Tendo mag auf den ersten Eindruck ziemlich speziell und eigenartig wirken, aber er ist ein wirklich guter Kerl. Manchmal ist er etwas anstrengend und ziemlich aufbrausend, aber... naja, du wirst ihn ja gleich selbst kennenlernen. Er ist übrigens auch ein Freund von deinem Cousin."

Ich nickte nur und klopfte an die Zimmertür. Aufbrausend und Anstrengend? Das passte absolut nicht zu Wakatoshi, in keinster Weise. Dieser abgeklärte Kraftprotz lachte nur von Zeit zu Zeit in Form eines spitzbübischen Kicherns, so richtig herzhaft lachen hatte ich ihn vielleicht erst zwei- oder dreimal erlebt. Für Dummheiten war er so gut wie gar nicht zu begeistern, alles was er machte wollte er kontrollieren und selbst in der Hand haben, da war kein Platz für Zufälle oder aufbrausende Charaktere.

Nachdem mein Klopfen im Gang verhallt war, öffnete sich die Zimmertür und ein Junge etwas so groß wie Shirabu mit schwarzen Haaren, die er in einer wirr geschnittenen Pony-Frisur trug, trat in den Türrahmen. "Satori Tendo?", fragte ich zögerlich. Shirabu schien seltsam überrascht und fragte: "Was machst du denn hier? Das ist doch Tendos Zimmer!"

Der Türöffner lehnte sich gegen die rechte Seite des Türrahmens, er hatte das Kopfkissen förmlich noch im Gesicht kleben, und erwiderte: "Tendo ist am anderen Ende des Ganges, drei Türen weiter neben Ushijima, sie haben wohl die Zimmer dieses Jahr getauscht und die jüngeren aus dem Volleyball-Team in diesen Flügel hier verlegt. Das müsstest du doch eigentlich wissen, Shirabu. Immerhin haben sie beim ersten Training bei dem sie uns Erstklässler unter die Lupe genommen haben über nichts anderes geredet." Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass ich neben Shirabu stand: "Nanun, wer ist das denn? Wenn sie dich hier erwischen gibt's ziemlichen Ärger, ich würde dir raten dich wieder in Richtung der Mädchen zu verziehen."

Keineswegs überrascht über diese Reaktion verschränkte ich meine Arme vor der Brust und antwortete: "Naja also eigentlich bin ich deine neue Nachbarin. Mein Name ist Grace Ushijima, ich werde ab Montag mit euch zur Schule gehen."

Das Kopfkissen, das ihm bis zu diesem Moment noch metaphorisch im Gesicht geklebt hatte, fiel im selben Moment wie seine Kinnlade: "U - U-....USHIJIMA? Warte du bist aber nicht Wakatoshis-"

"Nein, ich bin nicht seine Schwester."

"Was bist du dann?"

Über seine verbale Unbeholfenheit und seine schelmisch-charmante Unhöflichkeit konnte ich nur kichern. Er sah aus wie ein kleiner tapsiger Welpe, der gerade nicht so richtig begreifen konnte was um ihn herum geschah, ich konnte es ihm einfach nicht übel nehmen. Shirabu schaltete sich dazu:" Mal ehrlich, was ist eigentlich falsch mit dir, Goshiki? Willst du dich denn gar nicht vorstellen? Sie ist immerhin ab Montag unsere Mitschülerin und wohnt ab jetzt neben uns." Durch Shirabus Worte angestachelt antwortete er: "Motz mich gefälligst nicht so an Shirabu! Du bist nur ein Jahr älter als ich, also spiel dich nicht so auf!" Nun wandte er sich an mich: "Tut mir leid..."

"Schon gut."

"Ich bin Goshiki Tsutomu und bin auch Erstklässler, freut mich dich kennenzulerne, Ushiji-..."

"Bitte nenn mich Grace, der Name Ushijima ist mir hier doch etwas zu belastend, ich bin übrigens seine Cousine. Ach ja, ich bin eigentlich gar keine Erstklässlerin, ich werde hier nur mein letztes Schuljahr machen."

"Wie du bist nur für ein Schuljahr hier?"

"Ja, aber das alles zu erklären würde viel zu viel Zeit brauchen..."

"Grace klingt aber nicht sehr japanisch...."

"Ich bin auch nur zur Hälfte Japanerin. Meine Mutter ist Wakatoshis Tante, mein Vater ist Brite, bis jetzt habe ich bei ihm in London gelebt."

"Das ist ja krass!"

Goshiki kam mir nicht böswillig oder in irgendeiner Weise unsympathisch vor, aber zwischen Shirabu und ihm war eine gewisse Spannung spürbar. Für mich schien es aber nichts von großer Bedeutung zu sein, nur eine Stichelei zwischen zwei Teamkameraden. Ihre unterschiedlichen Charaktere und deren Züge, waren weitaus offensichtlicher. Shirabu war viel gelassener, lächelte vor Goshiki beinahe gar nicht und schien beinahe genervt von der ganzen Situation. Goshiki kam mir chaotisch und irgendwie als Person noch recht unrund und nicht wirklich abgeklärt vor. Von den beiden erinnerte mich Shirabu in seiner ruhigen und gesammelten Weise eher an meinen Cousin als Goshiki.

"Und spielst du wie Ushijima auch Volleyball?"

"Nein, eigentlich gar nicht. Nur hin und wieder zum Spaß mit Freunden.... Als wir noch Kinder waren, haben Wakatoshi und ich manchmal gemeinsam gespielt."

Shirabu schaltete sich wieder ins Gespräch: "Wirst du denn eine Sport-AG belegen?"

"Ja, ich denke schon, das macht sich gut bei Bewerbungen für Universitäten. Yoga, Reiten und Tennis sind eher meine Sportarten, ich werde mich wohl für zwei der drei anmelden. Jungs, es war nett mit euch zu plaudern, aber ich muss mich jetzt wirklich fertig fürs Bett machen, der Tag heute war für mich wirklich anstrengend."

Shirabu lächelte seit wir auf Goshiki getroffen waren das erste Mal und sagte zum Abschied: "Klar, dann schlaf gut Grace! Wir sehen uns doch sicher morgen am Nachmittag beim Training, oder?" Goshiki schaltete sich dazu: "Schlaf gut, Grace. Schön dich kennengelernt zu haben. Wäre toll wenn du morgen bei unserem Training vorbei schauen kannst, Ushijima wird dich sicher mitnehmen."

"Ja, er hat heute schon gesagt, dass er mich mitnehmen will. Dann bis morgen, euch noch einen schönen Abend", erwiderte ich bevor ich mich umdrehte und meine Zimmertür aufsperrte.

Sobald ich die Tür geschlossen hatte, sank ich entlang der Tür in die Hocke und schließlich ins Sitzen auf den grauen Teppichboden des Zimmers und klemmte meinen müden Kopf zwischen meinen Knien ein. Ich konnte noch immer nicht begreifen, dass ich das nächste Jahr hier verbringen sollte, es war an diesem Tag alles einfach so schnell gegangen, zu schnell um es mit meinen Sinnen erfassen und verarbeiten zu können. Mein einziger Trost, waren meine beiden neuen Bekanntschaften Shirabu und Goshiki, die mir meine Ankunft durch ihre unterschiedlichen, jedoch zutiefst liebenswerten Charaktere, einfacher gemacht hatten.

Sakura - A Haikyu!! FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt