Kapitel 40

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Mir nichts dir nichts schnappte ich Satoris Pulloverärmel und zog ihn in mein Schlafzimmer. Grober als ich intendiert hatte, stieß ich ihn auf mein Bett und flüsterte ihm herrisch (ganz in der "Feldwebel-Grace"-Manier) zu: "Du machst keinen Mucks, absolut keinen Mucks, verstanden? Wenn es unbedingt notwendig sein sollte, hörst du auf zu atmen! Hock dich neben das Bett, aber auf die Fenster-Seite! Meine Güte was haben denn die Leute immer mit ihren frühmorgendlichen Besuchen!" Ohne auf eine Antwort zu warten, ließ ich meinen verdutzt dreinschauenden Liebhaber auf dem Bett liegen und stapfte die Worte "Ich komme schon!" rufend aus meinem Schlafzimmer in Richtung Tür.

Vor der Tür stand, ganz zu meiner Überraschung, zur Abwechslung mal wieder Wakatoshi. Wer denn auch sonst? Es gibt ja auch wirklich keine anderen Menschen auf dieser Welt, denen es einfallen würde an meine Zimmertüre zu klopfen. Naja, vielleicht ab und zu Shirabu, aber auch nur wenn er etwas brauchte, und Goshiki nur dann, wenn ich wieder mal von dem Dämon eines untergegangenen K-Pop-Sternchens besessen war...
Jedenfalls öffnete ich meine Türe und tat so als ob ich mir gerade erst den Bademantel übergestreift hatte. Einen abgehetzten Eindruck musste ich zum Glück nicht vortäuschen, den meine Nerven waren so angespannt, man hätte darauf ein Violinkonzert spielen können, wären sie ordentlich gestimmt gewesen. Ich bekam alle Zustände, und begann heftig zu schwitzen. Wieder und wieder jagten mir die kalten Schauer über meinen Rücken, und ließen jedoch in regelmäßigen Intervallen den Hitzewallungen ihren Spaß mit mir als ihre Spielwiese haben. Tatsächlich fragte ich mich jedoch, warum mein lieber Cousin immer dann bei mir anklopfen musste, wenn Satori gerade da war. Das konnte doch kein Zufall sein! Oder etwa doch?
Die Schicksalsgöttinnen der griechischen Antike saßen der Legende nach in der Unterwelt und zerschnitten mit einer Schere die hauchdünnen Lebensfäden der Menschen. Meinen Lebensfaden hatten sie also entweder um einiges zu dick gesponnen und die rostige alte Schere der noch viel älteren Damen war kaum fähig auch nur eine Faser zu durchtrennen, oder sie wollten sich um die tristen Tage im Hades stimmungsmäßig etwas aufzupeppen einen Spaß erlauben und spannten das Garn in jedes nur irgendwie vorhandene Saiten- oder Streichinstrument, das sie finden konnten. Zuerst spielten sie ein träumerisches Stück auf der Harfe, dann eine dramatische Ouvertüre und schließlich einen Hard-Rock-Klassiker auf einer E-Gitarre, zu dem sie headbangend neben Hades stehen und so ordentlich die Sau raus lassen. Aber genug der Metaphern, ich verlaufe mich. Was ich damit eigentlich sagen wollte: Das Schicksal spinnt manchmal merkwürdige Fäden, deren Anfang und Ende ein so vergängliches und sterbliches Wesen wie der Mensch es ist in seiner Primitivität nie und nimmer auch nur ansatzweise zu erahnen fähig sein würde.

Wakatoshi bekam von all den Gedankenströmen nichts mit, sondern sah mich nur trocken an und sagte: "Guten Morgen. Ich wollte dich ja nicht stören, aber ich bin hier, weil ich fragen wollte, ob du Tendou irgendwo gesehen hast. Der Bus fährt eigentlich in zehn Minuten, aber es hat ihn keiner von uns beim Frühstück gesehen, an sein Handy geht er im Übrigen auch nicht." Ich räusperte mich kurz, und antwortete dann: "Nein, leider nicht. Ich habe keine Ahnung wo Sa-..äh, Tendou ist." Wakatoshis stählerne Miene gegen die sogar der Eiserne Vorhang alt ausgesehen hätte, veränderte sich kein Bisschen. Er fragte nur, ob ich denn überhaupt schon beim Frühstück gewesen sei. Er hätte mich nicht gesehen, und auch Haruka und Kuraiko hatten ihm keine Auskünfte bezüglich meines momentanen Verbleibs erteilen können.

"Naja, mir war heute einfach nicht nach Frühstück, ich habe gestern noch lange gelernt und habe deswegen noch eine Kleinigkeit nachts gegessen. Aber ich muss jetzt auch los, Wakatoshi. Immerhin muss ich mich ansehnlich machen, damit eure Gegner vor Neid erblassen", flötete ich dahin.

"Wieso sollten sie denn neidisch sein?"

"Dein Ernst?"

"Ja, bitte erklärs mir." Ich winkte ab und war gerade dabei die Türe zu schließen, als er sein Handy herausholte.

"Was wird das jetzt?", fragte ich teils neugierig, teils verängstigt bereits erahnend, was er da vorhatte.

"Ich rufe Tendou nochmal an." Ich konnte bereits das, was als nächstes passieren würde, bereits riechen....

In meinem Zimmer rührte sich etwas. Etwas verursachte ein Geräusch, es war sehr leise, wenn man eine Unterhaltung darüber gelegt hätte, wäre es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht weiter bemerkt worden. Ich weiß nicht ob ich wirklich so kreidebleich wurde, wie ich mich in dem Moment fühlte, aber mir wurde ziemlich schlecht. Geistesgegenwärtig stellte ich Wakatoshi eine Frage, sobald ich den ersten Takt von Satoris Telefon vernommen hatte: "Gegen wen spielt ihr denn eigentlich heute Wakatoshi? Sollte ich die Oberschule kennen? Gibt es da erwähnenswerte Spieler?"

Keine Antwort.

"Hallo! Ich habe dich was gefragt!", demonstrativ schnipste ich vor seinem Gesicht herum, meine Gesprächslautstärke hatte ich so weit abgehoben, als würde ich mitten in einem One-Direction-Konzert stehen (in der ersten Reihe, Harry Styles hat sein Shirt gerade von sich gerissen und es zusammen mit tausend kleinen Zettelchen, auf denen seine Nummer steht, in die Menge geworfen) . Ich konnte gar nicht glauben, zu welchen Frechheiten mich meine prekäre Situation zwang. Schnipste ich Wakatoshi gerade wirklich vor seinem Gesicht herum? Niemand anderer, außer natürlich mir, der europäischen Göre, hätte sich das getraut, ich wurde meinem Ruf und meiner "schändlichen Herkunft" also gerecht. Die Kasperei erfüllte ihren Zweck (und für dieses süße Bonbon des Universums war ich beinahe so weit alsbald möglich eine Pilgerfahrt nach Rom zu unternehmen!), Wakatoshi führte sein Telefon weg von seinem Ohr und fragte mich: "Warum redest du denn so laut, Grace? Man versteht ja kaum sein eigenes Wort! Was hast du gefragt?"

"Gegen wen ihr spielt, ob ich die kennen soll, oder ob da jemand wichtiger im Team ist."

"Die Aoba Johsai, mehr oder weniger und mehr oder weniger."

"Das ist ja nicht einmal eine Kurzfassung, was soll ich denn damit anfangen? 'Mehr oder weniger', pff", mir fiel ein kein Stein, sondern eher Stonehenge vom Herzen.

"Ich habe jetzt wirklich keine Zeit dir das zu erklären. Komm vor dem Spiel zu unserer Umkleide, dann können wir noch kurz reden. Ich muss Tendou finden, Trainer Washijo ist jetzt schon auf zweihundert... Machs gut!" Schon war er weg, für ein Lächeln blieb keine Zeit, er wirkte einigermaßen angespannt.

Als ich sicher war, dass er tatsächlich nicht mehr vor der Tür stand um eventuell zu spechteln, rief ich "Du kannst herauskommen, er ist weg!" in die Wohnung. Satori rannte wir von der Tarantel gestochen aus meinem Zimmer, schnappte sich im Vorbeigehen alles Nötige und flog nach einem flüchtigen Wangenkuss und einem noch viel schneller gesagten "Bis dann, Sakura!" förmlich aus meinem Zimmer.

Dann war ich wieder alleine, ohne Wakatoshi, ohne Satori, und vor allem mit einer fetten Lüge, die ich mir selbst schmackhaft zu machen versuchte: Ich war eigentlich schon hungrig und bereute es nicht zum Frühstück gegangen zu sein....

Sakura - A Haikyu!! FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt