Kapitel 45

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Auf dem Weg nach Hause saß ich im Bus neben Wakatoshi und unterhielt mich mit ihm im Flüsterton. Der Rest der Bande, außer Yamagata und Kawanishi, die Kuraiko erfolgreich in einen Plausch verwickeln konnte, schliefen seelenruhig auf ihren Sitzen. Auch wenn es erst Nachmittag war, die Jungs waren gebeutelt und absolut streichfähig von ihrem letzten Spiel. Die richtige Arbeit würde, laut Kapitän, aber erst losgehen, immerhin gingen sie als Sieger des Vorausscheids zu den Nationalmeisterschaften. Dafür mussten sie trainieren, noch härter, konsequenter und öfter als bisher. Dass eine Steigerung ihres Pensums noch möglich war, hätte ich nicht einmal zu träumen gewagt, bzw. bezweifelte ich ernsthaft, dass noch mehr und noch intensiveres Training überhaupt gesund sein würden. Was hinzukam war die Tatsache, dass die Drittklässler dieses Jahr ihren Abschluss machen sollten, jede Arbeit, jede Klausur, jeder Test, alles, was sich nun auf uns zu bewegte, war von großer Bedeutung, vor allem für die, bei denen es nach der Schule mit Volleyball nicht weitergehen würde. Für Wakatoshi waren solche Sorgen eher zweitrangig, jemand mit seinem Talent würde jedenfalls in ein starkes Team aufgenommen werden, aber jemand wie Satori, der nach der Oberschule mit Volleyball aufhören wollte, würde sich nun nicht nur im Training, sondern auch in der Schule ziemlich anstrengen müssen.
Bei all dem Spaß den wir hatten, der Leistungsdruck war unglaublich groß. Natürlich war mir von Anfang an klar gewesen, dass eine japanische Eliteschule kein Streichelzoo werden würde, aber mit einem derartigen Spießroutenlauf der Leistungen, hatte ich nicht gerechnet. Die Lehrer verlangten viel, die Unis und Arbeitergeber sogar noch mehr. Sich zu widersetzen hatte jedoch absolut keinen Zweck, entweder man funktionierte, oder man blieb zurück.

"Worüber denkst du nach?", fragte mich Wakatoshi und sah mich von der Seite an. Langsam drehte ich den Kopf vom Fenster weg, das mir einen Ausblick auf die lebendigen Straßen der Stadt Sendai gewährte, und seufzte. Auf dem Berg thronte die große und eindrucksvolle Burg, die mich an den Tag, an dem ich an die Shiratorizawa gekommen war erinnerte. Nostalgisch betrachtete ich meine geistigen Souvenirs in meinen Kopf, obgleich ich noch gar nicht so lange hier war, und rief mir meine Anfänge an dieser Schule ins Gedächtnis. Ich war, seit wir in den Bus eingestiegen waren, unheimlich nachdenklich geworden, ob das positiv oder negativ war, konnte ich selbst nicht genau sagen.

"Ach, nichts besonderes... Die Zeit vergeht nur so schnell, das schockiert mich beinahe ein bisschen, aber weiter nichts. Wie geht es dir? Bist du ok? Seitdem ihr aus der Umkleide gekommen seid, bist du noch stiller und ungeselliger als sonst", erwiderte ich. Wakatoshi lächelte für einen Wimpernschlag lang ganz dezent und atmete erschöpft durch die Nase aus, ich merkte, dass auch er nachdachte.

"Ach weißt du, ich habe nur darüber nachgedacht, dass das wahrscheinlich eines der letzten Male war, in denen wir zusammen als Team einen Sieg gefeiert haben. Nach der Oberschule wird sich viel ändern, aber das ist der Lauf der Dinge, keiner kann etwas dagegen machen." Ich nickte nur zur Antwort, er hatte leider recht.

Eine Weile lang waren wir wieder still. Der Bus stand im dichten Nachmittagsverkehr im Stau, der eigentlich kurze Weg zurück zur Schule zog sich in die Länge.

"Grace, ich muss dich etwas fragen", auf einmal wurde mein Sitznachbar unangenehm ernst. Mit einem stechenden Blick sah er mich von der Seite an.

"Ja, sag ruhig. Was ist los?"

"Tendou benimmt sich in letzter Zeit merkwürdig. Er kommt andauernd zu spät, verpasst das Aufwärmen und heute Morgen sind wir wegen ihm eine viertel Stunde später weggefahren. Außerdem hat er nach einem Parfum gerochen, einem Parfum für Damen, ähnlich wie du es immer trägst. Weißt du was, oder besser gesagt wer, dahinter stecken könnte?"

Ich schluckte. Mein Magen zog sich zusammen, und die Sonnenstrahlen die meine Haut bislang angenehm erwärmt und mich angenehm in der Nase gekitzelt hatten, schienen mich nun durchleuchten zu wollen. Wie ein Röntgengerät auf der Suche nach Knochenbrüchen oder anderen körperlichen Anomalitäten, durchsiebten sie meinen Körper. Das Gefühl durchgescannt zu werden, und als die undankbare Lügnerin enttarnt zu werden, die ich irgendwo ja auch war, jagte mir kalte Schauer über den Rücken.

"Also, ähm.. Mir gegenüber hat er zumindest nichts erwähnt. Aber du müsstest eigentlich wissen, dass ich das Verhältnis zwischen ihm und mir nicht einmal als platonisch beschreiben würde. Wir sind einfach nur Sitznachbarn", log ich ihm ruhigen Blutes ins Gesicht. Mittlerweile war ich gut darin.

"Verstehe, ja das dachte ich mir schon. Weißt du, ich mache mir einfach Sorgen um ihn. Es mag vielleicht manchmal so wirken, als würde ich mich nicht im Geringsten für ihn interessieren, aber dieser Chaot ist mir sehr wichtig. Es wäre meiner Ansicht nach einfach Schade wenn er jetzt, im Endspurt sozusagen, einfach das Handtuch schmeißen würde, und damit meine ich nicht nur Volleyball. Unser Team ist etwas ganz besonderes, der Geist darf einfach nicht verloren gehen."

Seine Worte zogen mir den Boden unter den Füßen weg, so rührend und gefühlvoll empfand ich sie. Eisklotz-Wakatoshi, der sich sonst nur für sich selbst interessierte und auf niemand anderen in seinem Umfeld Wert legt, eben dieser Wakatoshi hatte mir gerade gesagt, dass er sich um Satori Sorgen machte. Nun fühlte ich mich sogar noch schlechter als vorher, und meine Lügen grinsten mir hämisch ins Gesicht.

"Nun ja, vielleicht fragst du ihn einfach mal."

"Das ist wahrscheinlich die beste Möglichkeit es herauszufinden, danke Grace."

"Gerne", krächzte ich mit einem gigantischen Kloß im Hals. Mir war nach Heulen zumute. In diesem Moment übermannte mich alles, absolut alles. Die trügerische Stille, Wakatoshis aufrichtige und berührende Worte der ernsthaften Sorge um einen Freund und meine Nostalgie in Kombination mit dem Zahn der Zeit, der an mir zu nagen schien.

Nachdenklich spähte ich durch den Spalt zwischen den Sitzen vor mir und dem Fenster nach vorne. Satori saß zwei Reihen weiter vorne, und schlief einen tiefen, ruhigen Schlummer. Er sah so friedlich aus, wie er da vor sich hin schnarchte, den Mund sperrangelweit offen und die Stirn ans Fensterglas gelehnt. Und mit einem Mal, war es verfolgen, einfach weg, dieses Gefühl der Verlorenheit. Sobald ich ihn ansah, wusste ich fündig geworden zu sein. Ich weiß, das hört sich absolut absurd an, aber das Bild vom schnarchenden Satori, der auf dem Fensterglas einen riesigen Schmierfleck mit seiner öligen Stirn hinterließ und im Schlaf vor sich hin sabberte, beruhigte mich ungemein. Minutenlang beobachtete ich ihn, dann rührte sich etwas auf seinem Sitz und seine Lebensgeister kamen zurück. Wakatoshi war neben mir eingenickt, und ich nutze die Gelegenheit um meinem Liebsten eine Nachricht zu schreiben.

Sakura:

Du warst absolut großartig! Ich bin so stolz auf dich!

Satori:

Schläft Wakatoshi?
Es war echt ein krasses Spiel, danke! Hast du nachher kurz Zeit?

Sakura:

Ja, warum?
Grundsätzlich schon, wieso?

Satori:

Weil ich mich kurz zu dir umdrehen will, ich muss dir einfach kurz in die Augen schauen.
Ich brauche dich, Sakura, das ist alles.

Halb ausgebacken drehte er sich zu mir um und fixierte mich mit seinem verschlafenen Blick. Ich lächelte ihn an, zwinkerte ihm zu und tippte eine Antwort:

Sakura:

Wakatoshi hat eine Besprechung von euch heute Abend erwähnt, komm vorher kurz vorbei :)

Satori:

Geht klar :)

Ich ließ mich in meinen Sitz zurückfallen und nickte ein, zehn Minuten später waren wir wieder an der Schule angekommen.

Schönen Nachmittag und alles Liebe,

G. :)

Sakura - A Haikyu!! FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt