Kapitel 29

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Am Sonntagmorgen weckte mich das Schreien von Goshiki aus dem Nebenzimmer. Nein, es war weder romantisches Vogelgezwitscher, noch ein putzmunterer Satori der mir Frühstück ans Bett brachte, sondern ein schreiender Tsutomu der im Nebenzimmer einen Art Lachkrampf gepaart mit einem hysterischen Anfall erlitt.

Von dem Geräusch, das womöglich sogar Tote hätte wecken können, aus meinen Träumen gerissen, schreckte ich kurz hoch, um mich davon zu überzeugen, dass die Welt nicht schon von einer Zombieapokalypse überrumpelt wurde, und ich nicht gerade die verzweifelten Schreie eines Vormittagssnacks für eine Zombiehorde hörte. Erleichtert stellte ich fest, dass noch alles an mir dran war, und das Goshiki womöglich gerade seine aufgedrehten fünf Minuten (lege man den Sachverhalt realitätsnah aus, wären es wohl eher die närrischen fünfZIG Minuten gewesen, aber diesen Fakt übergehe ich zum Schutz seiner Person ganz galant) durchmachte. Dann sah ich neben mich. Satori schlief noch tief und fest, und während ich sein schlafendes Antlitz, das sabbernd und leise vor sich hin schnarchend auf einem meinem Kopfkissen lag, mit meinen noch im Träumeland herumwandernden Augen betrachtete, schoss mir erst: Ich war am Sonntagvormittag doch mit Shirabu verabredet gewesen!

Blitzartig verflüchtigte sich meine träumerische Stimmung, und der Pianist in meinem Oberstübchen, der den schnauzbärtigen Violin-Virtuosen arbeitslos gemacht, und bis vor drei Sekunden noch eine Variation von Chopins 'Nocturnes' gespielt hatte, klappte den Deckel in solcher Eile auf die Klaviatur, dass ich Angst hatte, er könnte sich seine kleinen Zauberhändchen einklemmen, und flüchtete in Windes Eile in ein finsteres Eck meines Kleinhirns. Dann begann ich panisch nach meinen Handy zu suchen, es war bereits viertel nach zehn, und ich hatte eine Nachricht von Shirabu:

Kenjirou Shirabu:

Guten Morgen Grace!

Ich komme um elf, wenn das für dich in Ordnung ist. :)

Nun war ich gestresst. Ich konnte ihm nicht absagen, immerhin hatte ich es ihm versprochen. Zudem wusste ich wie es um Shirabus Englisch-Noten stand, er war beinahe genauso talentfrei wie Wakatoshi, was meine Muttersprache betraf. Wenn er die nächste Klausur nicht schaffte, wusste er, dass es mit der Teilnahme am Oberschulturnier eng werden würde. Nach hinten verschieben ging auch nicht, da das Training um halb drei beginnen sollte, und ich ihm, berechnete man das Essen mit ein, maximal zwei Stunden Nachhilfe geben konnte, ohne dass Shirabu zu spät zum Training kommen würde. Einfach gesagt: Die ganze Angelegenheit hatte ich mir viel zu eng getaktet. Nichtsdestotrotz gab es jetzt kein Entrinnen mehr, und ich bemühte mich so schnell wie möglich alles nötige auf die Reihe zu bekommen.

Als erstes musste ich Satori aufwecken, das gestaltete sich allerdings schwerer als gedacht. Egal wie sehr ich an ihm rüttelte, wie oft ich ihn anstupste, er wollte einfach nicht aufstehen. Alles was ich von ihm bekam war "Nur noch fünf Minuten", "Ich steh gleich auf, Mama", "Seit wann sind die Fliegen denn so lästig?" oder "Ist schon Zeit zum Abendessen?". Sogar als ich ihm beinahe ins Ohr schrie "Könntest du jetzt bitte aufstehen!? Shirabu wird in einer dreiviertel Stunde hier sein und ich muss mich fertig machen und aufräumen! Satori? Satori? SA-TO-RI!!??" Nicht einmal "Dann werde ich mich jetzt wohl ganz langsam hier ausziehen müssen" oder "Ach du meine Güte jetzt ist mir doch glatt mein BH runtergerutscht" zogen nicht. Ich schrieb Shirabu:

Grace:

Guten Morgen Shirabu!

Sicher, geht klar. Bis dann:)

Anschließend stieg ich unter die Dusche, wusch meine Haare, vollführte in einer neuen Rekordzeit meine Katzenwäsche und zog mir etwas Bequemes, aber dennoch anständiges an. Danach begann ich aufzuräumen, schüttelte Kissen auf, räumte sämtliche DVDs beiseite und legte meine Englisch-Unterlagen bereit. Zufrieden sah in mein Wohnzimmer, das in neuem Glanz und gewohnter Ordnung erstrahlte. Dann kam der harte Teil: Satori musste aus meinem Zimmer verschwinden, so schnell - und so unauffällig - wie möglich. Kurz spielte ich mit dem Gedanken ihn in eine Decke zu wickeln und ihn wie einen nassen Mehlsack einfach bis vor sein Zimmer zu ziehen. Sollte mich jemand erwischen würde ich einfach sagen, dass ich mich nur gerade einer Leiche entledigte, dass wäre die wahrscheinlich unauffälligste Variante gewesen. In meinem Hinterkopf spann ich schon kuriose und action-reich-phantastische Handlungsstränge, in denen ich mich in einem engen Latex-Anzug wie Cat-Woman einem meiner ehemaligen Liebhaber, der aus einer gegnerischen Mafia-Gang kam, entledigte um so endlich frei zu werden und der patriarchischen Gewalt aller Männer zu entkommen. *Hust* Habe ich schon erwähnt, dass ich eine viel zu lebendige Fantasie habe? Gepaart mit meinem staubtrockenen Sarkasmus sorge ich mit dieser Todes-Kombi manchmal für einen winzig klitzekleinen Affront, aber nur manchmal... *Hust, Räusper*

Es war bereits zehn vor elf und ich schob Panik. Wie um alles in der Welt sollte ich das noch schaffen? Beinahe wollte ich die Flinte ins Korn werfen, als mir etwas einfiel. Langsam senkte ich meinen Lippen zu Satoris Ohr und flüsterte so reizvoll ich nur konnte: "Das neue Weekly-Shonen-Jump ist da." Da schien sich doch tatsächlich etwas in seinem verschlafenen Gesicht zu regen, und siehe da, schlagartig hatte mein kleines Guess-Monster seine rotbraunen Äuglein geöffnet. Er packte mich bei den Schultern und fragte mit ernster Miene: "Ist es schon Montag? Habe ich den ganzen Sonntag verschlafen? Aber noch wichtiger: Ist es wirklich schon da?"

"Nein du Vollpfosten aber ich würde es begrüßen, wenn du deinen Hintern jetzt aus meinem Bett schwingen würdest und dich aus meinem Zimmer so leise und tumult-los wie möglich verdünnisieren würdest. Shirabu wird gleich hier sein." Auf einmal war er hellwach, legte den Kopf schief und fragte mit zugekniffenen Augen: "Was will Kenjirou denn von dir an einem Sonntag-Morgen?" Triumphierend sah ich in sein leicht misstrauisches Gesicht, das klare Worte der Eifersucht sprach und antwortete: "Ich gebe ihm Englisch-Nachhilfe, du musst nicht gleich eifersüchtig werden."

Satori streckte abwehrend die Hände von sich und legte den Kopf in den Nacken, als er erwiderte: "Ich? Eifersüchtig? Tss Aber sag mal, seit wann sprichst du den so vulgär? Ich habe dich noch nie das Wort 'Hintern' in den Mund nehmen gehört... Sonst bist du doch immer so etepetete, mein kleines Prinzesschen." Während er den letzten Teil von sich gab, kniete er sich in meinem Bett hin und sah mich mit herausforderndem Blick an. Ich atmete tief durch, mein Stolz wollte kontern, meine Vernunft sagte mir klipp und klar, dass ich dafür wirklich keine Zeit hatte: " Also erstens bin ich nicht 'etepetete', zweitens meine ich es todernst, du solltest jetzt wirklich gehen, und drittens bin ich nicht etepetete.... Ich formuliere es um: Könntest du jetzt bitte dein Gesäß aus meinem Schlafgemach bewegen? Und nenn mich nicht dauernd Prinzesschen!" Belustigt und mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht stand er auf, streckte sich und erwiderte: "Darüber reden wir ein anderes Mal, meine Süße. Aber so hochgestochen hättest du dich jetzt auch nicht ausdrücken müssen, fehlt nur noch, dass du Kenjirou Lord Shirabu nennst." Ob ich innerlich kochte? Vermutlich, ich ließ es mir aber nicht anmerken, da ich wusste, dass er es liebte, wenn er mich necken konnte, erst gestern Abend hatte er mir gesagt, dass ich besonders lieb aussehe, wenn ich innerlich zu kochen schien wie ein frischer Topf Ramen über der Stichflamme. Also blieb ich ruhig, nahm ihn an der einen Hand und drückte ihm seine Filme in die andere. An der Zimmertüre angekommen, öffnete ich die letztgenannte einen kleinen Spalt und spähte wieder um die Ecke: Niemand da, Gott sein Dank.

Dann blieb mir kurz mein Herz stehen: Wakatoshis Zimmertüre öffnete sich, und er trat heraus. Ich sah wie er auf mein Zimmer zusteuerte und machte mich mental darauf gefasst aufzufliegen. Der Rothaarige hinter mir wisperte mir ins Ohr: "Was ist denn? Ist die Luft rein?" In Sekundenschnelle reagierte ich, schloss die Türe und packte Satori am Ärmel seines Hoodies. Dann zog ich ihn in mein Schlafzimmer und wies ihn an: "Hör mir zu, Wakatoshi wird jeden Moment hier auftauchen, du bleibst hier und wartest bis wir im Wohnzimmer sind, ich lasse die Zimmertüre einen Spalt offen, damit du raus kannst. Du musst dich dann beeilen, Shirabu wird auch bald hier sein." Satori nickte nur.

Es war fünf vor elf.

Sakura - A Haikyu!! FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt