Kapitel 9

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Das Training endete um kurz nach halb 8, danach dehnte sich die gesamte Mannschaft noch gemeinsam in der Mitte der Sporthalle. Im Hintergrund hatten sie leise Musik laufen, sie führten Gespräche untereinander. Um viertel nach acht waren sie schließlich entlassen, Wakatoshi beorderte mich via Handzeichen von der Tribüne zu ihm herunter und sagte: "Der Trainer will noch kurz was mit mir besprechen, es wird nicht lange dauern. Danach zieh ich mich und wir können gehen. Warte bitte vor der Halle auf mich." Als Antwort bekam er ein kurzes Nicken von mir, was ihn ganz kurz verdutzen ließ. Die Grace, die er kannte, hätte wahrscheinlich lauthals protestiert und gemeint sie finde schon alleine zurück in ihr Zimmer. Zugegeben, war ich aber noch etwas überfordert mit der Größe und der Weitläufigkeit des Schulgeländes, und einen der anderen Jungs wollte ich nicht fragen, das kam mir irgendwie befremdlich vor, kannte ich die meisten doch erst seit etwa fünf Stunden. Außerdem wollte ich Wakatoshi danken, dass er mich mitgenommen hatte. Die Tatsache, dass ich jetzt zumindest ein paar meiner Schulkameraden schon beim Namen kannte, würde meinen ersten Schultag um einiges leichter machen. Also bezog ich artig draußen vor der Halle Stellung, und wartete auf meinen Cousin...

Tendos PoV

Endlich war das Training vorbei. An diesem Tag kam es mir wie eine Ewigkeit vor, und jede Minute, die ich auf dem Spielfeld stehen musste, in der ich gezwungen war mich auf das Spiel, meine Technik, die Blocks und alles drumherum zu konzentrieren, kamen mir wie eine nie enden wollende Tantalusqual vor. Nicht bloß einmal hatte der alte Tanji mich ermahnt: "Satori was ist den heute los mit dir? Hier spielt die Musik! Träumen kannst du später!" Ich hatte wie immer nur gegrinst, es war einfach ermüdend.

Der Grund weshalb ich während dieses Trainings so unkonzentriert war, saß in der Mitte der Tribüne und beobachtete das Treiben auf dem Volleyballfeld. Sie saß einfach nur da, sah uns zu und beobachtete. Nicht einmal hat sie auf ihr Telefon gesehen, ihre Nägel inspiziert oder ein Buch hervorgeholt, keine einzige Sekunde wollte sie unkonzentriert sein. Ihre Augen ruhten abwechselnd auf jedem meiner Mitspieler, jeden nahm sie so genau es von dort oben möglich war unter die Lupe. Ich glaube aber, sie hat bemerkt, dass ich sie nie länger als den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen verloren habe, ich konnte meinen Blick nicht von ihr losreißen. Nicht nur, weil sie eine Augenweide war, sondern viel mehr, weil sie so anders war, als jedes Mädchen an der Schule, als jedes Mädchen, das ich je kennengelernt habe. Das war mir schon nach den wenigen Stunden, seit denen wir uns kannten, und den paar Worten, die wir gewechselt hatten, absolut klar.

Sie wirkte nicht scheu, nicht wie eine graue Maus, die sich hinter ihrem großen, starken Cousin verstecken wollte. Unangenehm, aufbrausend, laut, übertrieben, unhöflich oder gar schlecht benommen, also das krasse Gegenteil, passten genauso wenig zu ihr. Ihren Nachnamen wollte sie auch nicht als Schutzschild oder als gesellschaftlichen Anstecker benutzen, ganz im Gegenteil, sie wollte, dass wir sie Grace nennen, bei ihrem Vornamen, um sie nicht automatisch mit Wakatoshi zu assoziieren. Sie hatte sich getraut ihn zu unterbrechen, selbst für sich das Wort zu ergreifen. Welches andere Mädchen hier würde auch nur eine Sekunde einen Gedanken daran verschwenden, ihn, das große Ass Ushijima, zu unterbrechen? Das flößte mir Respekt vor dieser Frau ein.

Yamagata riss mich aus meinen Gedanken, die immer noch bei dem Tribünen-Mädchen waren, die jetzt einige Meter weit weg gegenüber unserem Kapitän stand: "Tendo, komm! Wir wollen uns umziehen. Es ist schon spät, oder willst du etwa noch weiter trainieren?" Von dem plötzlichen Riss, den er in meinem Gedankenstrang verursacht hatte, ließ ich mir nichts anmerken und erwiderte mich ihm und den Umkleiden nähernd:" Weiter trainieren? Ich will doch nicht sterben! Ich hab auch noch ein Leben außerhalb dieser deprimierenden Sporthalle, außerdem reichen vier Stunden."

Yamagata zuckte mit den Schultern, als ich an ihm vorbei ihn die Umkleide schlurfte. Sobald wir Jungs unter uns waren, gab es, da Wakatoshi noch bei Tanji war, nur noch ein Gesprächsthema: Grace. Wäre er da gewesen, hätten sich die meisten von uns das flapsige Gerede wohl verkniffen.

Taichi fing an: "Wakatohis Cousine ist echt heiß..." Hayato stimmte sogleich in die Lobgesänge ein, während ich in der Dusche verschwand:" Total! Man merkt, dass sie zur Hälfte Europäerin ist, sie zieht sich anders an und hat sich doch tatsächlich getraut Ushijima ins Wort zu fallen! Ich meine welches Mädchen an dieser Schule würde auch nur im Entferntesten daran denken?" Yunohama ergänzte jedoch das wichtigste Detail an Grace, das jedem von uns ohne Zweifel aufgefallen war: "Und ihre Figur... Habt ihr schon mal so einen unglaublichen Hintern gesehen? Die Frau hat Kurven zum Dahinschmelzen...." Ein Raunen ging durch die Menge, Kenjirou und Tsutomu konnten sich ein Erröten ganz einfach nicht verkneifen. Kenjirou tat zwar so, als ob es ihm nichts ausmachte, wenn man ihn aber genauer beobachtete, konnte man sehen wie sehr ihm die Neue gefiel.

Als ich mit einem Handtuch um meine Hüften aus der Dusche kam, warf ich mit einem leicht provokanten Lächeln, das in meinen Mundwinkeln hang, jedoch ein ganz wichtiges Detail ein, das uns zwar allen bewusst war, die meisten aber nur zu gerne einfach ignoriert hätten: "Euch ist schon klar, dass sie als Wakatoshis Cousine absolut tabu ist? Ich meine denkt ihr denn wirklich, er wäre besonders begeistert einen von uns an der Seite seiner Cousine zu sehen? Diese Dame ist absolutes Sperrgebiet für jeden von uns, daran besteht kein Zweifel." Semisemi wollte schon etwas einwerfen, doch ich wusste allzu gut worauf er hinauswollte und ergänzte mich selbst: "Auch wenn unser werter Herr Kapitän es nicht ausdrücklich gesagt hat, impliziert er wohl, dass wir das mit einkalkulieren. Also Finger weg, Jungs."

Reon unterstützte mich natürlich tatkräftig, wie man es von Mr. Wise-Guy erwartete: "Er hat recht. Grace mag ein außergewöhnlicher Neuzugang sein, aber Wakatoshi wäre davon sicher nicht gerade begeistert."

"Also gefällt sie dir gar nicht, Tendo? So wenig wie du sie während des Trainings aus den Augen gelassen hast.....", Semisemi hatte sich zu mir gedreht und auch der Rest des Teams sah mich jetzt an, es fühlte sich wie ein verdammtes Kreuzverhör an.

Bevor ich antwortete, strich ich mit meiner Handfläche über mein Gesicht und lächelte in meine Faust. Nun hatte ich zwei Optionen, entweder ich log, oder ich gab zu, dass die hübsche Neue auch mein Interesse geweckt hatte. Kurzerhand entschied ich mich für Option zwei. Meine Gedanken mögen für viele unergründlich sein, und die meisten werden nie wissen wie ich ticke, ich denke oder was in mir vorgeht, aber zu lügen, war einfach nicht mein Stil. Und was sollte schon passieren? Immerhin war ich nicht der einzige, der offenkundig an ihr interessiert war. Außerdem hatte ich mich durch meinen fehlenden Fokus im Training und meine ständigen Blicke in ihre Richtung sowieso verraten...

"Ich bin weder blind noch blöd, Semi. Natürlich ist sie super heiß und bildschön.... Das ändert aber nichts an der Situation oder an dem gleichen Blut, das durch ihre und Wakatoshis Adern fließt. Denkt ans Team, Jungs."

Zustimmendes Nicken von Ohira, einsichtiges Seufzen von den anderen, was hatte ich anderes erwartete. Um nicht mehr ganz so offensichtlich abgelenkt und gedankenversunken zu wirken, kehrte ich wieder zu meiner gewohnten Art zurück, ich musste versuchen einfach ganz normal weiter zu machen, auch wenn Grace mir jetzt schon jeden klaren Gedanken raubte.

"Oi Semisemi, bist du etwa verliebt?", zog ich ihn auf und knuffte in seine Wangen.

"Nenn mich nicht immer so...", knurrte Semi.

"Oder bist du verliebt, Tsutomu? Dein Pony kann deine roten Bäckchen nicht verstecken! Kenjirou warum bist du denn so still, hats dir denn die Sprache verschlagen?", nach der Reihe bekamen sie alle auf meine gewohnt herausfordernd sarkastische Weise ihr Fett weg.

Ich wollte, dass alles seinen gewohnten Gang ging. Auch nachdem ich an Grace vorbei in der Abenddämmerung verschwunden war und mich mit einem flüchtigen "Man sieht sich dann morgen, Grace" verabschiedet hatte. Mir lief ein kalter Schauer über meinen Rücken, als sie sich von mir verabschiedete, und ich ihren Blick auf mir spürte. Das war neu....

Sakura - A Haikyu!! FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt