Kapitel 64

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Die Drohung, die meine Freundin mir gegenüber ausgesprochen hatte, wurde wahr gemacht, und um 05:30 Uhr morgens klingelte mich der Wecker aus den Federn. "Findest du diese Zeit nicht etwas zu brutal? Es sind Ferien...", maulte ich, als sich die Vorhänge öffneten und das zarte Sonnenlicht des frühen Morgens mein Zimmer durchflutete. "Raus aus den Federn! Der Tag ist jung, die Sonne lacht, die Luft ist frisch! Auf den Malediven bin ich jeden Tag so früh aufgestanden um am Strand meine Yogaeinheiten hinter mich zu bringen!", erklärte mir Darcy, die nun tatbereit vor meinem Bett Position bezogen hatte und mir die Decke wegriss. Seufzend rollte ich mich auf die andere, noch etwas schattigere Seite des Bettes. Auf einmal spürte ich eine Hand an meinem Rücken, die mich sanft näher an die Bettkante drückte. Ehe ich mich versah, plumpste ich auf den Teppich rechts neben mir auf dem Fußboden und war, das Gesicht zu den Wollraten unter meinem Bett gedreht, endlich wach. "Na vielen Dank auch! War das nötig?", fragte ich genervt, während ich mich meinen armen gestoßenen Kopf rieb. Versöhnend streckte mir Darcy die Hand entgegen und half mir auf die Beine. "Na los! Anziehen, fertig machen, losgehen. Frühstück holen wir uns, wenn wir wieder runtergehen!", verkündete sie strahlend und gab durch ihr breites Lachen die ebenmäßigen Reihen ihrer strahlendweißen Beißerchen preis.

Gesagt, getan: Wir zogen uns wandermäßig an, packten eine Tasche mit Trinkflaschen, unseren Handys und einigen Erste-Hilfe-Utensilien die ich in meinem Medizinschrank gefunden hatte (nur um sicher zu gehen), und brachen in aller Frühe auf. Auf dem ganzen Areal war es still, und ich kam mir zeitweise vor wie in einer Geisterstadt. Um uns herum vernahm ich nur das Zwitschern der Vögel, das spätsommerlicher Rascheln einiger Blätter und Darcys Geplapper. Während wir durch den Teil der Stadt, welchen man durchqueren musste um zu dem Weg der hinauf zur Burg führte zu gelangen, marschierten, sprach vorwiegend meine Freundin. Es war mir ein absolut unergründliches Rätsel, wie man zu solch einer grausamen und menschenunwürdigen Zeit freiwillig aufstehen, und dann auch noch so putzmunter und gesprächig sein konnte. Insgeheim dachte ich mir, sie würde vielleicht doch gar nicht so ein schlechter Match für Wakatoshi sein, dann würde er nicht bis in alle Ewigkeit dazu verdammt sein seine selbst auferlegten morgendlichen Laufrunden alleine zu absolvieren...
Sie erzählte und fragte, teilte witzige Anekdoten mit mir und witzelte, bis wir am Fuße des Hügels angekommen waren. Dann hielt sie kurz inne, blieb stehen und verkündete: "So, da wären wir also.... Hör mir jetzt ganz genau zu: Ich verlange nicht, dass du mich verstehst, oder dass du all dem hier einen tieferen Sinn abgewinnen kannst. Alles, worum ich dich bitte, ist die ganze Zeit über, in der wir da nach oben kraxeln, kein Wort mit mir zu sprechen, sondern in dich zu gehen. Du hast jetzt, wenn ich die Karte richtig verstanden habe, zwei Stunden Zeit um völlig alleine mit dir und deinen Gedanken zu sein, in dich zu kehren, und unter meiner Beobachtung und Präsenz in meiner Obhut nur über dich, ihn, und eure Beziehung nachzudenken. Ich gebe dir jetzt keine Tipps woran du bzw. woran du nicht denken sollst, sondern lasse dich zumindest in Gedanken alleine. Solltest du eine Pause brauchen, oder mal eine Runde an meiner Schulter herumrotzen müssen, machst du dich still bemerkbar, und wir legen sozusagen ein heul- oder schnaufbedingtes Intermezzo ein. Ich bin bei dir, wenn du mich brauchst, und denke nicht daran dich alleine zu lassen, bitte gib meinem Einfall aber eine Chance, ich meine es nur gut." Ich nickte nur zur Antwort, dann begannen wir unseren Marsch.

Mir schossen während des Gehens unglaublich viele Gedanken durch den Kopf, und all die Akteure des Zirkus' in meinem Oberstübchen lieferten sich einen erbitterten Kampf um die Oberhand. Die Gouvernante schimpfte und wies mich mit anklagendem Finger zurecht, der Violinen-Virtuose zupfte deprimiert an seinen Seiten herum, und ein eigenartiger Kerl in einem weißen Fechtanzug, der erst jetzt dem Spektakel beigetreten war, kämpfte mit seinem dünnen Säbel, der sich unter der Last meiner Gedanken und Gefühle zu biegen schien, gegen eine Windmühle. Allesamt überschlugen sie sich, wetterten und gaben ihre Hetzreden zum besten, ermahnten und bemitleideten meine blutende Seele, die auf dem Operationstisch des Doktors lag und mit einem Pneumothorax im Hals vor sich hin hechelte. Es gab ein unglaublich chaotisches Bild ab.
Satoris und Wakatoshis Worte sausten mir immer wieder die Gehörgänge hinauf und hinunter, ließen meine Ohren klingeln und traten mit der Wucht einer Abrissbirne gegen Hammer, Amboss und Steigbügel. Was würde ich irgendwann verstehen? Was hatte Satori damit gemeint? Gab es da Dinge von denen ich nichts wusste? Wann würde man mich endlich aufklären? Wut, Verzweiflung, Angst und Trauer wechselten sich ab und tanzten mal einen aggressiv-schwungvollen Jive unter dessen pointierten Schritten mein Schädel zu zerbersten drohte, bevor sie in einen sehnsüchtigen Tango-Argentino abdrifteten und sich wild vor Tobsucht und Verzweiflung aufeinander stürzten. Mein Inneres als Gefühlschaos zu bezeichnen war noch ein lieb gemeinter Bilderbuch-Ausdruck. Die Schlacht von Waterloo traf das Bild schon eher...

Sakura - A Haikyu!! FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt