Kapitel 70

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Der Vorausscheid zog sich über eine Spanne von insgesamt drei Tagen. Insgesamt spielten sie vier Spiele, eines am ersten, zwei am zweiten und eines am letzten Tag.

Die ersten drei Spiele waren jeweils nach zwei Sätzen vorbei und wahnsinnig kurzweilig. Sie spielten wirklich außerordentlich gut und sehr konzentriert, das fiel sogar mir als Laie auf, und unsere Anfeuerungsrufe ließen die Glut die auf dem Spielfeld angehaucht worden war in kürzester Zeit zu einem Lauffeuer werden.

Nachdem auch die Spiele des Semifinales vorüber waren, stand der letzte Gegner der Jungs fest: die Karasuno Oberschule. In Wakatoshis Augen konnte ein Meer aus Flammen auflodern sehen, als ihr End-Boss feststand, und mir wurde klar, dass dieses Spiel eines der besonderen Art werden würde.

Am Tag ihres letzten Matches, dessen Austragungsort wieder die öffentliche Sporthalle in Sendai war, erhielt ich zudem zwei Umschläge, einen von der Waseda und einen von der Keio. Es war an einem Freitag, und ich hatte schon die ganze Woche auf das Eintreffen der Briefe gewartete. Einige meiner Mitbewerber, die ich bei den Aufnahmetests kennengelernt und mit denen ich Nummern ausgetauscht hatte, waren bereits Anfang der Woche über Zu- bzw. Absage in Kenntnis gesetzt worden, ich kann gar nicht beschreiben auf welchen Drahtseilen ich die ganze Woche hindurch zu balancieren hatte und wie wild ich auf den Augenblick in dem mir jemand sagen würde 'Grace, da ist Post für dich' hin fieberte. Zu Mittag bekam ich ab Montag keinen Bissen mehr hinunter, und auch meine Konzentration war absolut im Keller, es kam mir also sehr gelegen, dass um den gleiche Dreh herum die Spiele des Vorentscheids stattfanden, die mich zwangen aus meinem Zimmer, in dem ich im ohnehin den ganzen Nachmittag wie ein kopfloses Huhn herumgerannt wäre, herauszukommen und etwas Frischluft (insofern man die von Schweiß getränkte Luft einer öffentlich Sporthalle, die nur spärlich mit Fenstern bestückt war, als Frischluft bezeichnen kann) zu schnuppern.

"Grace, bitte iss doch was", hatte mich Wakatoshi beim Essen am Dienstag aufgefordert.

"Du hast leicht reden! Mein Leben hängt am seidenen Faden und du sagst mir ich soll getrost Reis in mich hineinschaufeln? Ach du meine Güte, was ist wenn sie mich beide ablehnen?", erwiderte ich während ich auf meinem Stuhl immer tiefer sank und die Hände melodramatisch vor mein Gesicht schlug.

"Dann probierst du es in Osaka, Tohoku und Kyoto, ganz einfach", gab Wakatoshi zurück.

"Ach nein wirklich? Was du nicht sagst! Darauf wäre ich ja nie gekommen! Du weißt genau worauf ich hinaus will..."

Er winkte nur genervt ab und besprach weiter Taktiken mit dem Rest der Mannschaft. Ungefähr in dieser Weise ging es jeden Tag unmittelbar vor dem Erhalt der Briefe vor sich, Besserung war nicht in Sicht bis ich Klarheit haben würde.

Als es dann soweit war, und ich, noch im Morgenmantel und mit Turban auf dem Kopf nach unten ins Büro der Heimleitung stach um mir von der Sekretärin die Post zu holen, zitterte ich am ganzen Körper. Es hatte an meiner Tür geklopft und eine freundliche Männerstimme hatte gesagt: "Grace Ushijima? Unten im Sekretariat ist Post für dich von den beiden Unis aus Tokyo". Ich war gerade aus der Dusche gekommen und sah mich gezwungen im Eifer des Gefechts bloß im Bademantel und mit Handtuchturm auf dem Kopf schleunigst nach unten zu gehen, um schnellst möglich an die beiden Blätter verstorbener Bäume zu kommen. Obwohl ich frisch geduscht und eingecremt war, fasste ich nach wenigen Schritten aus meinem Zimmer hinaus den Entschluss nachher erneut unters kühle Nass zu springen, da mir so abartig heiß wurde und ich vor lauter Aufregung heftig zu schwitzen begann. Völlig aufgelöst kam ich also in dem Büro an und klopfte zaghaft an der Tür. "Ja, bitte", kam es von drinnen. Langsam öffnete ich die Tür und sah auf den Stapel Post der links neben einem gelben Ordner auf dem Schreibtisch lag.

"Ach Grace da bist du ja schon! Also warst du schon wach als mein Kollege bei dir angeklopft hat. Sehr schön!"
'Natürlich war ich wach du Zweistein, wenn ich seit einer verdammten Woche auf die bescheuerten Briefe warte und jeden Tag dreimal hier auf dem Plan stehe und Frage ob Post für mich gekommen ist'

"Jaja, ich fahre heute mit das Volleyballteam anfeuern, deswegen bin ich etwas früher aufgestanden!", antwortete ich.

"Ach das ist ja wunderbar! Wir dachten wir geben dir lieber gleich bescheid, weil du ja die schon die ganze Woche darauf wartest. Hier, bitte! Ich hoffe du hattest Glück!"
'Glück? Pah! Du träumst nachts wohl auch von Zuckerwatteschlössern! Mit Glück komme ich nicht an die Uni!'

"Ja, das hoffe ich auch!", bedankte ich mich und verbeugte mich, bevor ich wieder nach oben hechtete.

Oben angekommen sank ich der Tür entlang auf den Fußboden und blieb vor der Schwelle sitzen. Mein Turban war inzwischen auseinander gefallen und lag neben mir wie ein in sich zusammengestürztes Soufflé. Ich atmete drei Mal tief durch und dann öffnete ich die Umschläge. Feierlich und gerade zu zeremoniell nahm ich die beiden Blätter Papier aus ihrer Hülle und faltete sie auseinander.

Einige Sekunden später war ich aufgestanden, hatte mir mein Handy geschnappt und Darcy angerufen. Ich biss nervös auf meinen Fingernägeln herum, während ich auf ein klickendes Signal des Abhebens auf der anderen Seite des Ozeans wartete, meiner Mutter hatte ich nur eine kurze Nachricht geschrieben.

"Grace? Ist alles in Ordnung? Willst du reden?"

"Darcy...."

"Ja?"

"Ich hab's geschafft."

"Was hast du geschafft?"

"Sie wollen mich beide aufgnehmen!"

"Nein!"

"Doch!"

"NEEEIINN!!"

"DDDOOOCCHHH!!", kreischte ich in den Lautsprecher und begann wie wild auf und ab zu hopsen.

"Das ist-... Wow! Einfach nur wow! Ich weiß nicht was ich sagen soll! Das ist einfach so unglaublich! Ich freue mich so sehr für dich!"

"Ich freue mich auch so sehr, ich kann es dir gar nicht sagen!"

In diesem Moment fiel eine unglaubliche Last von meinen Schultern. Tatsächlich, ich hatte alles geschafft was von mir erwartet worden war und hatte nun offiziell die Lizenz zum Glücklichsein. Nichts hätte mir diesen Moment verderben können, wirklich gar nichts. Der einzige bittere Nachgeschmack, den die beiden Zusagen in sich trugen, war die endgültig gefällte Entscheidung aus Tohoku wegzugehen und die Gewissheit somit meilenweit weg von Satori zu sein, für sehr, sehr lange Zeit, wahrscheinlich sogar für immer.

Nachdem ich mich von dem plötzlichen Adrenalinschub wieder etwas erholt hatte und wieder auf den Erdboden zurückgekehrt war, ging ich erneut, aber um einiges leichter und befreiter, duschen und machte ich mich fertig um mich mit Haruka und Kuraiko beim Bus zu treffen, der uns zur Sporthalle bringen würde. So sehr ich mich bemühte, ich konnte mir das Grinsen nicht aus dem Gesicht wischen, was selbstverständlich auch meinen beiden Freundinnen auffiel. Sobald ich mit der Wahrheit herausgerückt hatte, fielen sie mir beide um den Hals und weinten mit mir Freudentränen. Im Bus bekam ich dann eine Antwort von meiner Mutter, in der sie mir gratulierte und mitteilte, dass sie mich alsbald über einen Videoanruf bezüglich meiner Unterkunft sprechen wolle.

"Und wo wirst du hingehen?"

"Ich glaube ich werde mich für die Waseda entscheiden, der Campus der rechtswissenschaftlichen Fakultät ist in einem meiner liebsten Teile Tokyos, und sie ist mindestens genauso gut wie die Keio", verkündete ich freudestrahlend. Als auch der Rest des Busses von meiner Aufnahme an beiden Unis erfuhr, wurde ich gehörig gefeiert. Es wurden Lieder gesungen, Glückwünsche ausgetauscht und ich vergoss seit langem ausnahmsweise keine Tränen der Trauer, sondern Tränen des Stolzes und der Freude.

Sakura - A Haikyu!! FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt