Kapitel 44

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In der Schule in London hatten wir einmal die Aufgabe erhalten im Rahmen des Biologieunterrichts einen Frosch zu sezieren und ihn in all seine Einzelteile zu zerlegen. Unser Lehrer stattete uns mit scharfen Skalpellen, Laborkitteln, Schutzbrillen und anderem Schnick-Schnack aus, den man sonst entweder auf einem OP-Tisch findet oder bei einem ausgiebigen Grey's-Anatomy-Marathon unbewusst auswendig lernt. Ich war immer eine derjenigen gewesen, die sich aus Ekel und Abscheu aus dem ganzen Vorgang des Herumschnippselns an der leblosen Hülle der kleinen, grünschimmernden Kerlchen und dem Maltretieren derselben zurück- bzw. gänzlich heraus gehalten hatte. Primär aufgrund des bereits erwähnte Ekels, sekundär jedoch auch aus Mitleid. Etwas tief in mir drinnen, widersetzte sich aus einer tiefen moralisch-ethischen Überzeugung heraus diesem unschuldig getöteten Wesen etwas anzutun, geschweige denn es mit einem OP-Messer auseinanderzunehmen. Was hatte mir der Frosch Schlimmes angetan, dass er es verdient hatte ein solches Ende zu finden? In seinem eigenen Blut dahinsuppend auf den mit Waschbecken ausgestatteten Labortischen, auf die irgendein besonders kreativer drittklassiger Schmierfink "Bio stinkt" geschmiert hatte, lag das misshandelte und entwürdigte Tier vor mir und sah mich durch seine glasigen Augen an. Ich weigerte mich vehement in der schillernden Haut herumzuschneiden, und verbrachte die ganze Stunde lang mit Diskussionen in die ich meinen Lehrer verwickelt hatte. Die ganze Zeit über stellte ich, während meine Klassenkameraden ihre versteckten sadistischen Triebe an der Tierleiche ausließen, ihm die immer gleiche Frage wieder und wieder: Was ermächtigt uns Menschen dazu uns anzumaßen den Frosch umzubringen, ihn auf einen kalten Labortisch zu legen und ihn anschließend wie irgendwelche Satanisten in einem diabolischen Ritual, das wir dem Dienst und dem Geist der Wissenschaft zuschrieben, zu zerschneiden? Hätte ihn ein Storch mit seinem Schnabel aufgepickt, wäre er eines zumindest ansatzweise würdevollen Todes gestorben. Ja, ich war eine selbsternannte Frosch-Rechts-Aktivistin, die ihren Dienst in die Grund- und Freiheitsrechte der Frosch-Gesellschaft stellte. Und alles, was ich dazu zu sagen habe ist: "Vive la Révolution! Vive la Résistance!"

Das Mitleid, das ich eigentlich für solche Kreaturen empfand, verflüchtigte sich jedoch schlagartig, als ich mit ansah, wie die Spieler der Aoba Johsai auf dem Spielfeld von unserer Mannschaft auseinander genommen wurden. Systematisch zerlegten sie sie in ihre Einzelteile, durchbrachen ihre Verteidigung  und ruinierten ihre Formation. Auf einmal schwieg mein innerer Revoluzzer, legte sowohl Fackel als auch Mistgabel nieder und entledigte sich seiner Culotte. Stattdessen setzte er sich seelenruhig an den Spielfeldrand und sah dem Treiben belustigt zu. Oikawa blieb nach außen hin die Ruhe selbst, in seinen Aufschlägen kam jedoch seine zunehmende Gereiztheit und Aggression zum Ausdruck. Wakatoshi schmetterte beinahe jeden Angriff auf den Boden des gegenüberliegenden Felds, und Satoris Blocks wehrten absolut alles ab, was da versuchte die lackierte Holzfläche auf der Seite der Shiratorizawa zu erreichen. Shirabu schien so präzise wie eh und je zu spielen, Yamagata nahm fast jeden Ball an wie ein junger Gott und von Semis meisterhaft-majestätischen Aufschlägen, die so unberechenbar waren, wie ein stillschweigender Mafia-Boss, will ich gar nicht erst anfangen!

Die hervorragende und beinahe überirrdisch gute Spielweise, die die Jungs an den Tag legten, riss das Publikum total mit. Aus vollen Lungen brüllten wir bei jedem Punkt "Shi-ra-to-ri-zawa!", jeder Aufschlag wurde von einer gigantischen Publikumswelle begleitet. Keiner, weder die Spieler, noch wir, hielt sich zurück, die Stimmung und die Atmosphäre waren einfach gigantisch. Alle Euphorie und Kraft legten wir in unsere Anfeuerungsrufe, die Luft war erfüllt von Schweiß, Anstrengung und dem nicht zu bändigenden Willen zu siegen. Selbst Washijo, sonst mit nichts zufrieden und immer der Meinung es ginge noch besser, richtete in einer Auszeit lobende Worte an die Mannschaft: "Macht weiter so, zwingt ihnen genau diese Spielweise auf, gut gemacht."

Am meisten überraschte mich jedoch Satori. In schien nur das Spiel, der Sieg und vor allem die Abwehr sämtlicher Schläge zu interessieren, seine kraftvollen und präzisen Blocks brachten die Angreifer, vor allem Iwaizumi, der von Schlag zu Schlag frustrierter zu werden schien, komplett aus der Fassung. Hin und wieder riskierte er einen Blick zu mir hoch, ich hob dann vielsagend die Augenbrauen und zwinkerte ihm auffordernd zu, was er mit einem verschmitzten und siegessicheren Grinsen erwiderte. Die Seijoh konnte sowas von einpacken!
Natürlich spielte er ohnehin auch so ausgezeichnet, aber der Zwischenfall mit Oikawa schien in wahrhaft zur Weißglut getrieben zu haben. Satori erschien mir wie jemand, der bei solchen Dingen nicht der Hau-Drauf-Typ war, der solche Auseinandersetzungen mit seinen Fäusten oder gar mit hitzigen aber zwecklosen Wortgefechten löste. Weder wurde er laut, noch aufbrausend, viel mehr schien er beängstigend ruhig zu werden, um dann den perfekten Zeitpunkt für einen Gegenschlag zu warten. Seine Ruhe die er da unten auf dem Spielfeld ausstrahlte, waren fast gespenstisch, eine andere Art des Terrors, beinahe so als ob man den Donner schon hören könnte, und der alles zerstörende Sturm nun jederzeit losbrechen könnte. So zurückhaltend war er nur zu jener Zeit gewesen, in der wir noch eher distanziert zu einander gestanden waren. Er gab alles, und noch viel mehr.

Auch Wakatoshi wirkte angespannter als sonst. Seine Schläge waren aggressiver, und teilweise sprang er absichtlich etwas sachter weg, um den Ball danach unerwartete hart auf den Boden des Spielfeld zu dreschen. Ich hatte schon so eine Vermutung, dass er etwas Grundlegendes gegen Oikawa zu haben schien, und dass dieser Vorfall nur ein weiterer Stein in dem Mauerwerk der Abneigung gegen ihn war, die er um sich herum aufgezogen hatte.

Sie gewannen schließlich nach zwei gespielten Sätzen und gingen somit ein weiteres Mal als Sieger vom Feld. Oikawa waren Zorn und Enttäuschung nicht nur ins Gesicht geschrieben, viel mehr trug er sie auf einem grässlichen selbstgebastelten Shirt mit sich herum und überlegte sich es eventuell einmal ins Gesicht tätowieren zu lassen. Der auseinander genommene Frosch im grün-weißen Trikot lag nun in seinen Einzelteilen auf dem Spielfeld und die Shiratorizawa putzte hämisch ihr Skalpell. Die Sauerei sollte ein anderer wegmachen...

Nach der Siegerehrung wurden wir sogleich von der Tribüne herunter beordert, es ging zurück zur Schule. Ehe ich mich versah, standen jedoch schon Shirabu, Semi und Ohira unmittelbar neben mir, und bedeuteten mir zu ihnen zu kommen. Unauffällig stahl ich mich aus der Menge und zog Kuraiko gleich mit mir mit. Letztere sah mich verdutzt an und protestierte anfangs, ich ließ mich aber keineswegs beirren. Bei den dreien angekommen gratulierte ich erst einmal: "Jungs ich gratuliere euch! Das war einfach der Hammer, was ihr da abgeliefert habt! So kraftvoll, präzise und konzentriert! Ich bin schwer beeindruckt!" Verlegen nahmen sie die Komplimente entgegen. Semi sprach dann den Grund ihres Auftauchens an:" Wir wollten dich fragen, ob du vielleicht mir uns wieder zurück fahren willst, Wakatoshi hätte es gerne so, und wir würden uns im übrigen auch freuen. Mit Washijo ist alles geklärt, der ist einverstanden, und deine Freundin", er deutete dezent mit dem Kopf zu Kuraiko, "kann natürlich auch mit." Schnell sah ich über meine Schulter zu ihr, sie nickte nur. An ihrer Zustimmung hatte ich nie gezweifelt, ergab sich unter diesen Umständen immerhin die Gelegenheit in der Nähe ihres Schwarms, Yamagata, zu sein. "Klar, gerne. Wir sagen nur noch kurz dem Lehrer Bescheid, danke Semi!", sagte ich und lächelte ihn dankbar an. Dann verschwanden wir kurz wieder in der Menge, und sagten der ersten Aufsichtsperson, derer wir habhaft werden konnten, Bescheid, dass wir mit der Mannschaft gemeinsam nach Hause fahren würden, die Trainer wüssten davon und waren einverstanden. Zugegeben baten wir weniger um Erlaubnis, mehr schmissen wir ihnen diese Tatsache einfach hin und ließen den verdutzten Alumni an Ort und Stelle stehen um uns gegen Strom in Richtung der Umkleiden durch zu kämpfen.

Bei den Umkleiden angekommen, hörten wir schon von drinnen laute Freudenrufe und diverse Ausrufe der Siegeseuphorie. Als wir nach drinnen kamen, stand ausgerechnet Satori ohne Trikot vor der Tür, was mich für einen Moment ziemlich baff werden ließ. Kuraiko begrüßte den Rest der Mannschaft und stieg einfach, nach einem kurzen Schreckmoment aufgrund von Satoris freiem Oberkörper, an ihm vorbei in Richtung der übrigen, bereits angekleideten, Jungs. Ich jedoch blieb kurz vor meinem geheimen Liebhaber stehen, biss mir auf die Unterlippe und sah auffordernd zu ihm hoch. Er sah mich provokant belustigt an und raunte mir kaum hörbar zu: "Na Prinzessin, gefällt dir was du da siehst? Oder hab ich dich schon zu oft mit diesem Anblick verwöhnt, dass du dem jetzt so still bist..." Ehe ich etwas antworten konnte, wurde ich von Shirabu angesprochen: "Grace! Na, wie fandest du es?" Ruckartig rissen mich die Worte des Setters aus meinen (verbotenen) Gedanken, und ich schritt an Satori vorbei in die Mitte des restlichen Teams. Auf die Gespräche die danach folgte, konnte ich mich aber nicht mehr konzentrieren.....

Sakura - A Haikyu!! FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt