Kapitel 72

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Tendous PoV - Timeskip [nach dem Spiel gegen Karasuno]

Niedergeschlagen ließen wir uns auf die Bänke in der Umkleide hinabsacken, und seufzten alle gleichzeitig auf. Für eine sehr lange Zeit sprach niemand ein Wort, es war muchsmäuschen still. Nachdenklich sah ich mir die silberne Medaille an, die man jedem von uns um den Hals gelegt hatte, und drehte sie im weißlichen Licht, das aus den Leuchtstoffröhren über meinem Kopf kam. Goshiki vergoss gerade die letzte Träne des Frustes, als Wakatoshi das Wort an uns richtete: "Lasst uns duschen und dann alles einpacken, der Bus wird nicht ewig auf uns warten." Von den Bänken kamen nur vereinzelt ein paar halbherzige Ja-s als Antwort zurück, und meine Mitspieler erhoben sich nur zaghaft von den Bänken.

Egal wie sehr mich unsere Niederlage auch wurmte und ich jeden einzelnen meiner Fehler bereute, in Gedanken war ich nur bei Sakura. Auch wenn ich es ihr nie gesagt hatte, sie war noch immer meine Motivation um auf dem Spielfeld alles zu geben. Ihr Auftauchen hatte für mich eine neue Zeitrechnung eingeläutet, es gab nur noch vor Sakura (v.Sak.) und nach Sakura (n.Sak.), ein vollkommen neues Zeitalter war eingeläutet worden, sie war meine Dampfmaschine, meine merowingische Königskrönung, meine Entdeckung Amerikas. Bis zu ihr, hatte ich immer nur weiter gekämpft und durchgebissen, weil ich der Welt und all ihren Einwohnern die mich immer verschmäht und verachtet hatten, zeigen wollte, dass in mir so viel mehr steckt als ein Freak oder irgendein abnormer Vollidiot. Ich wollte beweisen, dass auch ich gebraucht werde, dass auch ich Talente und Stärken hatte, und dass es mir möglich war, alles was sich mir in den Weg stellte zu besiegen. Es war mir ganz einfach ums Prinzip gegangen: Alle, die gegen mich gewesen waren, eines besseren belehren. Auf dem Volleyballfeld hatte ich mich immer stark gefühlt, da wir selten als Verlierer vom Platz gingen, und ich demonstrieren konnte, was in mir steckte. An ihrer Seite erschien mir diese Bestätigung durch irgendwelche anderen so trivial, so unbedeutend und klein, es zählte nur sie. Der Grund warum ich gewinnen wollte, war um sie stolz zu machen, das alleine hatte mich angetrieben. Es war so als wir noch zusammen waren, und war auch bei diesem letzten offiziellen Spiel so gewesen, es hatte sich rein gar nichts geändert, das war auch die Tatsache, die sich mir auf der Holzbank in der Umkleide zu erkennen gab.

Ich rief mir in Gedanken versunken und immer noch monoton auf die Medaille starrend das Bild von ihr auf der Tribüne ins Gedächtnis, als sie mir zunickte. In diesem Moment hatte ich reflexartig einfach zu ihr hoch gelächelt, es hatte sich nichts daran falsch angefühlt. Wie sie dort oben stand, uns anfeuerte, unsere Namen voller Inbrunst und Hingabe schrie und wie ihre Augen regelrecht zu funkeln begannen und sie am lautesten gejubelt hatte, wenn ich durch einen Kill-Block einen Punkt erzielen hatte können. Das war wohl eines der letzten Male gewesen, einer der letzten Momente in denen ich sie in so einer euphorischen Hochstimmung der Ekstase beobachten hatte dürfen, der Gedanke gab mir einen Stich.

"Hey, Tendou, los geh schon duschen! Wir wollen bald los!", forderte Eita mich auf.

"Ja, ja, ist schon gut Semisemi, ich bin schon unterwee-hegs!", posaunte ich ihm entgegen und begab mich in Richtung der Duschen.

Ich hatte von einem Stein gesprochen, der mir auf den Kopf gefallen war, und mit dem ich schlussendlich die Glasscheibe, hinter der die Whiskyflasche meiner Gefühle aufbewahrt worden war, einschlagen konnte. Nun, die Gedanken die mir dort in der Umkleide durch den Kopf gingen und mich auch unter der Dusche beschäftigten, waren die kleinen Kieselsteine die schon von der Felswand bröckelten, sozusagen ein paar Vorboten, jedoch noch lange nicht der entscheidende Brocken, der stark genug gewesen wäre um endlich die verdammte Scheibe zu zerdeppern. Meine Gedanken fuhren nicht einfach nur Achterbahn, sondern schienen eher den ganzen Freizeitpark mit all seinen Attraktionen gleichzeitig zu erkunden während sie Berge an Zuckerwatte und Karamell-Popcorn in sich hineinfutterten.

"Alles gut? Du siehst irgendwie blass aus und wirkst niedergeschlagen... Trifft dich die Niederlage so sehr?", fragte mich Reon besorgt. Abwehrend hob ich eine Hand, während die andere dafür sorgte, dass mein Handtuch an seinem Platz blieb, und erwiderte: "Wenn's nur das wäre.... Mach dir keine Sorgen, Reon. Mir geht's gut." Er sah mich fragend an, zuckte dann aber nur die Schultern und sprach Wakatoshi an: "Wann fahren wir los, Wakatoshi?"

"Ich muss noch kurz auf Grace warten, sie hätte eigentlich heute die Ergebnisse der Aufnahmetestungen bekommen sollen. Dann können wir jederzeit los, wenn ihr soweit seit", erwiderte der Angesprochene.

Die Aufnahmetests... die hatte ich völlig vergessen. Einerseits war ich neugierig und drückte ihr die Daumen, dass sich ihr großer Traum endlich erfüllen würde. Andererseits bedeutete eine Zusage auch, dass sie nach dem Abschluss wirklich weg sein würde - für immer. Sie hatte die ganze Woche darüber gesprochen, im Eifer des Gefechts hatte ich dann vollkommen vergessen, dass sie sie spätestens an diesem Tag erhalten hätte sollen.

"Weiß sie denn schon etwas genaueres?", fragte ich Wakatoshi, der mich prüfend ansah. "Nein, wie gesagt, sie hätte heute ihre Ergebnisse bekommen sollen. Warum fragst du?", er musterte mich mit seinem stoischen Blick. Ich antwortete, so belanglos wie möglich:" Nur so, interessiert mich einfach." Dann wandte ich mich um und zog mich an. Ich konnte mich nicht einmal entscheiden, was genau ich mir für sie wünschte. Natürlich sollte ihr nur das Beste widerfahren und alles, was sie sich vorgenommen hatte, und wofür sie so hart gearbeitet hatte, sollte in Erfüllung gehen und endlich Früchte tragen. Aber ich vermisste sie ja schon in der Schule, oder nachts, wenn ich fühlte, dass da niemand neben mir lag, und dabei war sie in diesen Situationen quasi nebenan. Wie sollte ich damit klar kommen sie so lange nicht wieder zu sehen, geschweige denn mit der Vorahnung leben, sie vielleicht ÜBERHAUPT nie mehr zu sehen?

Als alle soweit fertig waren, versammelten wir uns noch einmal um Wakatoshi herum, der noch ein paar Abschlussworte von sich gab, an die ich mich jedoch allesamt nicht erinnern kann. Irgendetwas von wegen "eine Ehre im selben Team zu spielen", "haben immer unser Bestes gegeben", "alles endet irgendwann" und so weiter und sofort. Näheres, versprach er, würde dann, wenn wieder an der Schule waren gemeinsam mit Washijo in der Sporthalle besprochen werden. Es war irgendwie episch eine Ära zu Ende gehen zu sehen, immerhin hatten wir nun drei Jahre lang beinahe ausnahmslos immer den Vertreter der Präfektur Miyagi bei den nationalen Turnieren gemimt, keiner von uns hatte erwartete gegen einen so unbekannten Gegner wie die Karasuno es war zu verlieren. Wakatoshi wirkte sogar, als wäre ihm ein Zacken aus seiner schweren Krone gebrochen, weil er gegen den Knirps und dessen Mannschaft verloren hatte. Er hatte es uns ja schon in einer der Auszeiten erklärt, warum er ihn unbedingt besiegen wollte und um nichts auf der Welt eine Niederlage gegen die Karasuno hinnehmen würde.

Dann gingen wir nach draußen. Auf dem Weg zum Bus näherte sich von hinter uns eine Stimme die hysterisch und aufgedreht "Wakatoshi! Wakatoshi! Ich hab sie heute gekriegt! Die Ergebnisse sind gekommen!" schrie. Als ich mich umwandte, sah ich Sakura auf uns zu sprinten, ihre Haare und die Schleife ihrer an Uniform im zarten Lüftchen der herbstlichen Brise flatternd. Ruckartig machte die Karawane halt und unser Herr Kapitän wandte sich zu ihr um. "Und? Was ist rausgekommen? Hast du einen Platz?", er wirkte beinahe aufgedreht und es verwirrte mich irgendwie ihn so gespannt und offensichtlich interessiert am Schicksal einer anderen Person zu erleben. Sakura ging zwischen uns durch und blieb vor ihm stehen, wir standen im Reigen mit etwas Abstand um sie herum. Das vom Himmel schon angedeutete Abendrot tauchte sie in ein angenehm rötlich-goldenes Licht, da wie gemacht schien für epische, tiefgreifende und gefühlvolle Momente.

"Sie wollen mich beide nehmen", verkündete sie freudestrahlend und fiel Wakatoshi in die Arme. Ich sah ihn das erste Mal jemanden umarmen.

Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen und der Stein auf meinen Kopf.

Das Ende naht..... ;)

Sakura - A Haikyu!! FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt