VIERUNDDREIßIG

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„Nanu, du bist heute aber spät dran“, wurde ich am nächsten Morgen verwundert von Anna begrüßt. „Lange Nacht gehabt?“

„Sowas in der Art“, gab ich müde lächelnd zurück. „Ich bin es einfach nicht mehr gewöhnt mein Bett zu teilen.“

„Dein Bett zu teilen?“, fragte Anna irritiert nach. „Sag nicht, das hat schon wieder was mit Herr Thalbach zu tun.“

„Nein“, entgegnete ich schnell. „Meine Nicht hat bei mir übernachtet. Was du immer gleich denkst.“

„Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass dieser Gedanke gar nicht so abwegig war“, grinste Anna. „Als du das letzte Mal so spät kamst, war es immerhin mit ihm zusammen.“

„Apropos spät, ich muss jetzt wirklich hoch ins Büro. Treffen wir uns nachher in der Mittagspause?“

„Klar, da kannst du diesem Thema dann nicht so einfach entkommen.“ Kopfschüttelnd stieg ich in den Aufzug, konnte mir ein amüsiertes Grinsen aber nicht verkneifen.

Oben angekommen hastete ich an Elias Bürotür vorbei und steuerte mein Eigenes an. Gerade als ich mit einer Tasse Kaffee zu meinem hoch gefahrenen PC zurück kam klingelte auch schon mein Telefon.

Allein die Nummer ließ mich schon aufseufzen. Dieser Kunde war milde ausgedrückt, kompliziert. Noch einmal seufzte ich tief und nahm das Telefonat an. Als es rund 35 Minuten später an meiner Tür klopfte war  ich immer noch in das Gespräch verwickelt, wank Elias aber dennoch zu mir herein.

„Natürlich werde ich diesen Wunsch berücksichtigen“, sprach ich höflich in den Hörer. „Ich werde Ihrem Werbepartner die neuen Bedingungen noch heute mitteilen … Vielen Dank für ihren Anruf. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“

Kaum hatte ich das Telefonat beendet verzog mein Gesicht sich zu einer Grimasse. Manchmal war es echt schwierig die Wünsche der Kunden und ihrer Werbepartner so ab zustimmen, dass am Ende beide zufrieden waren und keiner glaube er wäre zu kurz gekommen.

„So, was kann ich für dich tun?“, wandte ich mich schließlich an Elias.

„Öffne mal die Mail von mir und klick auf den Link“, wies Elias mich an, was ich daraufhin auch machte.

Sofort erschien eine Reihe an Online-Artikeln auf meinem Bildschirm. Schnell überflog ich die Titel: Hat der beliebte Vloger eine Freundin?, der nächste Artikel hieß: Noel Martin (Webvideoproduzent) nun auch in festen Händen. Ich scrollte weiter und fand noch etliche ähnliche Überschriften.

Schließlich klickte ich auf einen der obersten Artikel und konnte mich selbst auf einem Bild sehen. Ich, wie ich lachend eine braune Tüte in  der Hand hielt und Noel, wie er mich auf seinem Rücken trug. Auf dem nächsten Bild saßen wir essend auf einer Wiese. Bilder von unserem Freibadeinbruch gab es glücklicherweise keine, was mich kurz aufatmen ließ. Dann überflog ich den Inhalt des Artikels und sackte dabei sofort wieder etwas in mich zusammen.

Noel Martin (Vloger/Webvideoproduzent) wurde am Freitag nach der Kurzfilmpremiere gemeinsam mit einer jungen Frau gesichtet. Die beiden wurden dabei gesehen wie sie durch die nächtliche Stadt streiften (Bild 1) und anschließend noch ein romantisches Mitternachts-Picknick abhielten.  (Bild 2) Nach eigenen Angeben in einer seiner Instagram-Storys handle es sich bei seiner Begleitung um seine Managerin Malin Böttcher. Doch ist diese Beziehung wirklich rein geschäftlich? Beobachter berichten die beiden seien sehr innig mit einander umgangen. Auch das Bildmaterial bestätigte diese Beobachtungen. Trennen die beiden berufliches und privates strikt, oder bahnt sich da etwa eine Beziehung an? Wir bleiben für Sie dran!

„Könntest du mir das bitte erklären“, verlange Elias mir gegenüber, in einem Tonfall welcher alles andere als freundlich war. „Und sag jetzt nicht, dass es nicht das ist wonach es aussieht. Denn das hoffe ich, um deinetwillen, sowieso stark.“

„Wo nach sieht es denn für dich aus?“, fragte ich unsicher nach. „Doch nicht etwa nach einem Kündigungsgrund, oder?“

Ich wusste er war ein Fehler den Drink von Noel an zu nehmen. Immerhin war es offiziell in meiner Arbeitszeit. Und ist Trunkenheit auf der Arbeit nicht ein Kündigungsgrund? Verdammt, Noel hatte Recht. Seine Follower sind manchmal echt ein bisschen verrückt. Warum sonst sollten sie solche Bilder der Presse weiter geben? Die Bilder fungierten als 1-a Beweisstück dafür, dass ich während meiner Arbeitszeit besoffen war.

Während sich in meinem Kopf die Gedanken regelrecht überschlugen starrte Elias mich nur entgeistert an. Bis er schließlich langsam den Kopf schüttelte.

„Ich glaub das einfach nicht. Du und … nein … Malin, warum … ? … Gestern Abend noch …“ Noch bevor Elias den richtigen Satzanfang finden konnte erschien die Sekretärin in meiner Tür. „Ach hier sind Sie Herr Thalbach, Sie werden in Konferenzraum 423 erwartet.“

„Vielen Dank für die Information“, antwortete Elias ihr und verließ kurz nach ihr mein Büro, ohne mich noch einmal an zu schauen.

Verwirrt lehnte ich mich auf meinem Stuhl nach hinten. Was hatte das jetzt zu bedeuten? Die Zeit weiter darüber nach zu denken hatte ich leider nicht, denn mein Telefon klingelte erneut und ich versank bis zur Mittagspause in Arbeit.

„Endlich, ich dachte schon du lässt mich hier allein“, meinte Anna, als ich mich, ein paar Minuten später als gewöhnlich, zu ihr an den Cafeteria-Tisch setzte. „Und ist an den Gerüchten was dran?“

„Nein, ich bin nicht Elias Büroaffäre“, gab ich seufzend von mir. „Ich dachte das hätten wir schon geklärt.“

„Haben wir doch auch“, entgegnete Anna. „Ich meinte nämlich eigentlich dieses Künstler-Manager-Ding. Du weißt schon, Noel Martin und du …“

„Ich hätte es mir ja eigentlich denken können, dass du sowas natürlich gehört hast.“

„Und ist an der Sache was dran? Nun sag schon“, mit einem fast quengelnden Unterton in der Stimme blickte Anna mich interessiert an.

„Noel und ich haben nach der Filmpremiere einfach nur ein bisschen zu viel getrunken“, erzählte ich ihr schließlich. „Wir waren einfach besoffen, so sind die Bilder entstanden. Ende der Story.“

„Glaub ich dir nicht“, provokant schaute Anna mich an, lehnt sich in ihrem Stuhl nach hinten und verschränkt die Arme vor der Brust. „Da ist noch mehr passiert an dem Abend. Also, ich höre.“

Darauf antwortete ich erst mal nicht und versuchte mich auf mein Essen zu konzentrieren. Doch mein Gegenüber gab sich damit nicht zufrieden.

„Och komm schon Malin, erzähl  es mir“, nun quengelte Anna endgültig. „Habt ihr euch geküsst?“ Rumgemacht? Oder hattet ihr sogar Sex?“

„Meine Güte Anna“, leicht genervt ließ ich mein Besteck sinken. „Nichts von alledem.“

„Was dann?“

„Später in der Nacht sind wir noch in ein Freibad eingestiegen.“

„Nicht dein Ernst“, lachte Anna nun auf. „Ihr seid echt wo eingebrochen?“

„Nicht so laut“, zischte ich ihr peinlich berührt zu. „Das muss jetzt wirklich nicht gleich jeder wissen, dass ich über diesen Zaun geklettert bin.  Immerhin scheint es davon keine Fotos zu geben, worüber ich auch echt froh bin.“

„Verständlich“, versuchte Anna erst zu sagen, grinste dabei aber immer noch. „Davon möchten die Wenigsten Beweisfotos haben.“

Noch bevor ich darauf etwas entgegnen konnte rauschte Elias mit einer wütenden Miene an uns vorbei. „Welche Laus ist dem denn über die Leber gelaufen?“, wollte Anna mit einem verwirrten Blick in seine Richtung wissen.

„Ihm haben die Artikel nicht so gut gefallen wie dir“, antwortete ich ihr tonlos.

„Ist er etwa eifersüchtig?“

„Keine Ahnung. Zumindest redet er seit heute morgen nicht mehr mit mir.“

„Irgendwie ist es ja süß“, meinte Anna nur.

„Süß? Du findest es süß, dass ich wegen dieser Geschichte vielleicht gefeuert werde?“, ungläubig blickte ich meine Freundin an.

„Glaub mir, Herr Thalbach ist nicht aus irgendwelchen geschäftlichen Gründen so drauf“, meinte Anna und lächelte mich wissend an. „Das ist definitiv was Privates.“

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Sorry für die Verspätung. Ich bin auf einem Zeltlager und hatte mein Handy nicht am Start

Kurzes Treffen am TagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt