SIEBENUNDDREIßIG

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Der gestrige Abend wurde dann doch noch ziemlich gut. Auch wenn Kev sich in seiner Ehre gekränkt fühlte, als wir ihn dazu zwangen mit uns einen Schnulzenfilm zu schauen. Deshalb fühlte er sich dazu verpflichtet sich über jede halbwegs romantische Szene lustig zu machen.

Anfangs versuchten wir noch seine Sprüche zu ignorieren, aber irgendwann gaben wir uns geschlagen und lachten mit. Das musste man ihm einfach lassen, Kevins Sprüche passten auch einfach immer verdammt gut zu den Situationen im Film.

Jetzt saß ich also an einem Samstagabend allein zu Hause und überlegte was ich anstellen sollte. Einen Film hatte ich schließlich gestern schon gesehen. Allein in eine Bar gehen klang auch nicht wirklich attraktiv. Vielleicht hatte Becci ja wieder Zeit für mich? Oder einer der Jungs aus ihrer Band, mit denen ich mich mittlerweile auch echt gut verstand.

Ich könnte auch zu Hause auf dem Sofa bleiben und ein gutes Buch lesen. Das hatte ich schon länger nicht mehr gemacht und draußen sah es ohnehin so aus, als würde es bald anfangen zu regnen. Das perfekte Lesewetter also, denn so langsam merkte man nicht nur an den kälter werdenden Temperaturen, dass es Herbst geworden war.

Gerade als ich aufstand, um in meinem Bücherregal nach geeignetem Lesestoff zu suchen, klopfte es an meiner Wohnungstür. Etwas verwirrt machte ich mich auf den Weg in den Flur. Es hatte doch gar nicht geklingelt, also konnte eigentlich nur einer meiner Nachbarn vor der Tür stehen. Aber was sollte jetzt ein Nachbar von mir wollen? Eine Beschwerde zwecks Lärmbelästigung los werden ja wohl kaum.

Bei der Tür angekommen löste sich meine Verwirrung nicht auf. Im Gegenteil, sie wurde eher noch größer. „Elias, wie bist du ins Haus gekommen?"

„Unten ist gerade jemand raus, da konnte ich zu dir hoch laufen."

„Okay. Aber was genau machst du hier?", immer noch verwirrt trat ich einen Schritt zur Seite und ließ ihn in die Wohnung. „Sag mal hast du getrunken?"

„Ich bin allerhöchstens etwas beschwipst", gab Elias zurück. „Aber darum geht es gerade nicht. Die viel wichtigere Frage ist, warum mit ihm?"

„Hä?", machte ich äußerst intelligent und führte Elias ins Wohnzimmer, wo wir uns schließlich setzten. „Warum was mit wem?"

„Na, warum du es mit ihm gemacht hast, aber mit mir damals nicht."

„Elias, es tut mir leid, aber ich versteht immer nicht wovon du gerade sprichst. Was hab ich mit wem gemacht, aber mit dir nicht?"

„Mit Noel natürlich", angewidert spuckte Elias den Namen regelrecht aus. „Weiß du nicht mehr? Damals in Norwegen meintest du, du hättest noch nie etwas Illegales gemacht. Deshalb sind wir doch extra an diesen einen Fjord gefahren, der eben eingezäunt war. Aber du wolltest einfach nicht über diesen Zaun klettern, da es ja illegal gewesen wäre. Mit Noel bist du aber über einen Zaun geklettert. Und das war nicht mal ein Zaun irgendwo im Nirgendwo, wie damals in Norwegen. Nein, es war der Zaun eines öffentlichen Freibads. Was natürlich viel legaler war, als die Sache die ich vorgeschlagen hatte und außerdem..."

„Hol mal Luft", unterbrach ich Elias schnell, was ihn tatsächlich in seinem Redeschwall stoppte. „Hast du noch mehr Vorwürfe, die du mir an den Kopf werfen möchtest? Nein? Gut. Dann kann ich nämlich auch mal was dazu sagen", nun schaute Elias mich leicht verwirrt an, gab mir aber zu verstehen, dass er mir zu hörte.

„Ja, ich bin mit Noel in ein Freibad eingebrochen. Aber erstens habe ich keine Ahnung woher du dass eigentlich weißt und zweitens waren wir beide zu dem Zeitpunkt total besoffen. Jetzt zu der Norwegen Sache. Ja, ich wollte damals nicht über diesen Zaun klettern, der uns den Weg zu dem Fjord versperrt hat. Ich weiß nicht, ob du dich noch erinnern kannst, aber bevor wir mir unserer Diskussion, ob wir jetzt über diesen Zaun klettern oder nicht, fertig waren hat es anfangen zu regnen."

„Was hat denn jetzt der Regen damit zu tun?"

„Wenn es nicht angefangen hätte zu regnen, dann hättest du mich sehr wahrscheinlich noch dazu gebracht über diesen verdammten Zaun zu klettern. Weil ich deinen verdammt schönen Augen einfach nicht länger hätte wiederstehen können."

Nicht nur Elias war überrascht, als ich mit meinem Redeschwall am Ende war. Hatte ich ihm gerade wirklich gesagt, dass ich seine Augen schön fand? Da wir beide wohl nicht wirklich wussten, was wir jetzt sagen sollten breitete sich Stille in meinem Wohnzimmer aus. Bis mir ein neuer Gedanke kam.

„Sag mal, warst du wegen dieser Sache ernsthaft beleidigt?"

„Nein ... ja ... vielleicht. Ach ich weiß es doch nicht", mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht wirklich deuten konnte, ließ Elias sich tiefer ins Polster sinken. „Die Sache mit Noel und dann auch noch der Kerl, der dich neulich noch so spät besucht hat. Und ich ... man ich ... keine Ahnung."

Elias dabei zu zuhören, wie er laut seine Gedanken versuchte zu sortieren brachte mich leise zum Kichern. Irgendwie war das ja schon süß, wie er immer wieder seine Brille auf der Nase etwas nach oben schob und sich verlegen im Nacken kratzte.

„Beruhigt es dich, wenn ich dir sage, dass mit Noel nichts läuft und der Kerl neulich Abend nur der Vater der Freundin meiner Nichte war, der einfach nur seine Tochter bei mir abholen wollte, auf die ich aufgepasst habe?"

Elias schaute zu mir auf und nickte dann langsam. „Gut, dann hätten wir das ja jetzt geklärt. Ich brauch jetzt einen Scotch. Willst du auch einen?"

Das Gespräch war dann doch anspruchsvoller als gedacht und da es Elias wohlbauch so ging organisierte ich gleich zwei Gläser mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit.

„Ich mach dich sowas von fertig", lachend versuchte ich dem angriffslustigen Elias zu entkommen, was mit erstaunlicherweise gut gelang.

„Ha, von wegen. Ich werde dich fertig machen", geschickt drehte ich um und rammte Elias tatsächlich kurz darauf in die Seite, woraufhin er leise vor sich hin fluchte.

Viel zu schnell verging die Zeit, denn kurz darauf war unsere Autoscooter-Runde auch schon vorbei und wir mussten aussteigen.

„Jetzt weiß ich auch, warum dein Sportwagen kaputt gegangen ist."

„Wie meinst du das?", verwundert blickte Elias zu mir. „Ich hab doch so gut wie nichts getroffen."

„Genau das ist es ja", kicherte ich leise. „Beim Autoscooter ist es das Ziel möglichst viel zu rammen und du hast höchstens mal die Band gestreichelt. Beim Autofahren sollte man nichts rammen, aber genau das hast du mit deinem Sportwagen gemacht. Ich glaube du solltest diese zwei Fahrmethoden mal tauschen, dann sollte das alles besser klappen."

Aufmunternd klopfte ich Elias auf die Schulter. Dieser schien kurz zu überlegen, bis er schließlich grinste und mich mit zu der nächsten Bude zog. „Das klingt nach einem guten Plan, aber jetzt schlagen wir erstmal den Rekord beim Entenangeln. Na komm schon, Pandabärchen."

„Ist ja gut, du Flasche", grinsend ließ ich mich mit ziehen.

Wie genau wir auf dem Jahrmarkt gelandet waren war mit immer noch etwas schleierhaft. Aber nach ein paar Drinks in meinem Wohnzimmer erschien uns das als guter Einfall. Und bisher bereute ich die Idee nicht, auch wenn es langsam anfing zu regnen.

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