Ich seufze und ziehe das kleine Fach über mir auf, so, dass sich der Spiegel dahinter zeigt. Skeptisch schaue ich mein Spiegelbild an. Das schmale, goldene Gestell meiner Brille liegt eng auf meiner Nase und um ehrlich zu sein, könnte ich schlichtweg umdrehen und nach Hause fahren. Wieso ich mich heute so verdammt unwohl damit fühle, weiss ich nichtmal. Vielleicht liegt es auch einfach nicht daran, dass ich ohne meine Kontaktlinsen unterwegs bin, sondern daran dass heute generell nicht so wirklich mein Tag ist. Mit einem erneuten Seufzen greife ich nach meiner Tasche und steige aus meinem Auto aus. Die Türe knalle ich hinter mir zu, mit vielleicht etwas zu viel Wucht, solang mein Wagen davon aber keinen Schaden nimmt, ist mir das auch recht egal. Ich laufe mit schnellen Schritten über den Parkplatz und nähere mich somit dem Gerichtsgebäude, vor welchem Liam schon steht. Seine blauen Augen schauen mich abwartend an, weswegen ich etwas schneller laufe und ihn einfach mit durch die Eingangstüre ziehe.
"Wir haben noch Zeit.",merkt er sofort an, worauf ich nicke. Wir haben Zeit, Lust in der Kälte stehen zu bleiben, hab ich aber keine. Zumindest nicht, wenn wir genauso gut einfach schonmal rein, ins Warme, können. Ich lege meine Tasche auf das Band für die Wertsachen und schiebe mich durch den Scanner, was Liam mir unverzüglich gleich tut.
"Bist du vorbereitet?"
"Ich hab- rein gelesen, Diane will sicherlich sowieso nur, dass ich Notizen mache also-",erkläre ich und zucke mit meinen Schultern.
"Keinen Harken gefunden?"
"Nein, nichts."
Besonders konzentriert war ich die letzte Nacht nicht. Mein Schlafzimmer scheint Wand an Wand an dem, meines Nachbars zu sein. Normalerweise lasse ich mich nicht so einfach von Geräuschen ablenken, wirklich nicht, im Gegenteil, meistens hab ich noch irgendeine Serie im hintergrund laufen. Trotzdem waren meine Nerven gestern wirklich gereizt und ich kann mir eins zu eins vorstellen, was für eine Art Mädchen auf der anderen Seite war. Ich meine, halt doch einfach die Klappe und schrei nicht, bis dir die Stimmbänder reißen. So eine Wichtigtuerei.
Davon abgesehen bin ich mir sicher, dass es Diane selbst aufgefallen wäre, hätte es unentdeckte Beweise gegeben. Immerhin sitzt sie seit mehreren Wochen an dem Fall, und dass ihr Mandant schuldig ist, hat er doch selbst zu gegeben.
Ich verdrehe meine Augen, weil allein der Gedanke an das Gejammer meine Aggressionen schon wieder aufkochen lässt.
Ich schnappe mir meine Tasche und blicke Liam still an, bevor wir den Aufzug betreten.
"Geht es dir gut?",hinterfragt er worauf ich nur mit meinen Schultern zucke, dann aber nicke. Natürlich ist alles gut. Eigentlich.
"Sollte was sein-"
"Ich bin nur müde.",murmel ich, verlasse den Aufzug sobald die Stahltüren sich öffnen und lächel Liam entschuldigend an. Immerhin kann er nichts dafür. Nichts für meine schlechte Laune und auch nichts dafür, dass ich nicht mehr als eine Stunde Schlaf bekommen habe.
"Madi, hey."
Ich zucke zusammen, weil ich mal wieder kurz davor war, in meinen Gedanken zu versinken.
Statt etwas zu erwidern nicke ich Isaac nur kurz zu und lasse mich auf einem der Sitze nieder.
"Du ignorierst mich."
"Ich bin einfach beschäftigt."
"Du hast mich vorhin nichtmal gegrüßt.",merkt Isaac an. Er mustert Liam, lässt sich dann aber mit einem teils abwertenden Schnaufen neben mich fallen.
"Ich geh mal- schauen wo wir hin müssen.",murmelt Liam worauf ich nicke und ihm erneut einen entschuldigenden Blick zu werfe.
"Ich hab einfach viel zutun.",wiederhole ich dann und verschränke meine Arme vor der Brust.
"Wir reden jeden Morgen."
"Ich hab sogut wie gar nicht geschlafen, weil deine Freundin sich so dermaßen wichtig tun musste. Jetzt lass mich in Frieden, ich hab heute keine Lust zu reden. Mit niemandem, dir eingeschlossen."
"War nicht meine Freundin."
"Mich interessiert nicht wirklich wer sie war, unter der Woche hätt ich nur gern die ein oder andere Stunde Ruhe."
"Ich wusste nicht, dass dich das- so stört."
Ich schüttel den kopf:"egal."
"Du siehst hübsch aus."
"Damit kannst du dich jetzt auch nicht gut stellen. Mit der rose auch nicht."
"Brille steht dir."
"Ist ungewohnt."
Isaac schaut mich still an, was ich einfach hinnehme. Soll er doch. Nicht meine Sache. Ich meine, natürlich irgendwie schon. Aber um ehrlich zu sein, ist mir gerade alles egal. Ich will nur nach Hause und meine Ruhe haben.
"Du siehst aus, als würdest du jede Sekunde explodieren.",bemerkt er.
"Dein Gerede macht meine Kopfweh nicht besser."
"Brauchst du irgendwas?"
"Ruhe."
"Kakao?"
"Hatt ich schon."
Ich lehne meinen Kopf gegen seinen Oberarm und seufze. Nichtmal der wirklich leckere Bananenkuchen aus dem Cafe hat meine Laune heute aufmuntern können.
"Hast du später Zeit?"
Seine Finger schieben meine Haare zurück hinter mein Ohr, weswegen ich ihn fragend anblicke.
"Wir könnten irgendetwas machen. Ich meine- keine Ahnung, was magst du so?"
"Zum Skaten sind die Straßen zu nass und- ins Fitnessstudio hab ich keine Lust."
"Essen?"
"Ich ess nach der Arbeit nicht gerne auswärts."
"Du könntest rüber kommen und- wir schauen einen Film?",schlägt er vor, worauf ich erneut nur mit meinen Schultern zucke.
"Vielleicht."
"Vielleicht?"
"Ich überlegs mir."
Langsam stehe ich auf und gähne kurz.
"Wir sehn uns, Isaac."
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Maybe.
Teen FictionArbeit. Einer der Hauptbestandteile in Madison's Leben. Die junge Jurastudentin steckt voll und ganz in den Vorbereitungen für das nächste Semester, als sie eines Abends das Haustier ihres Nachbarn auf ihrem Balkon auffindet. Das kleine Kätzchen mac...