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Nachdenklich lasse ich meinen Blick über das schmale, kaum sichtbare Gestein wandern, welches die große Fläche des Daches umrandet. Es ist nicht all zu groß, vielleicht das doppelte meines Balkons. Trotzdem liebe ich es jetzt schon hier. Ich hab mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wohin die letzten Treppen auf unserer Etage führen, und um ehrlich zu sein hab ich eher weniger erwartet, dass sich hinter der dunkelroten Stahltüre eine Dachterrasse verbirgt. Rundherum alles sehen zu können, freien Blick auf die Gebäude der Stadt zu haben, macht das ganze wirklich besonders. Vielleicht auch nur, weil mein Herz schon immer hierfür geschlagen hat. Schon als Kind, vielleicht mit zehn, elf Jahren war ich verrückt nach dem Gedanken, mein Leben in New York verbringen zu können.
"Ich mag es hier oben.",murmel ich, als ich merke, wie Isaacs Finger sich wieder um meine legen.
"Dachte ich mir schon."
Mein Kopf lehnt sich wieder gegen Isaacs Brust, weil alles andere mir gerade als zu anstrengend vor kommt.
Die kuschelige Decke wird über uns ausgebreitet, weswegen ich ein kurzes, aber zufriedenes Brummen von mir gebe.
"Ich war noch nie in Amerika. Ich bin hierher, ohne auch nur ein einziges Mal in New York gewesen zu sein. Trotzdem war es immer irgendwie ein Traum von mir, hier irgendwann zu leben.",erzähle ich nachdenklich.
"Nichtmal für organisatorisches?"
Ich schüttel den Kopf. Nichtmal für organisatorisches.
"Ich war mir nicht sicher, was ich tun soll, weißt du? Klar, Jura- Menschen zu helfen, ein abwechslungsreiches Leben führen, war für mich von Anfang an interessant. Im anderen Moment hab ich mich schon Jahrelang unbeschreiblich für Immobilien interessiert, der Gedanke, vielleicht auf Architektur zu setzen, war also auch immer irgendwie in meinem Kopf. Auch, wenn ich wirklich Monatelang gezögert hab, was ich beruflich machen werde, für mich war klar, dass ich hier in New York studieren möchte."
"Architektur?"
"Ja. Ich tätowiere, ich kann demnach wirklich recht gut zeichnen und- ich denke, die Vorstellung, irgendwann in meinem selbst entworfenen Haus zu leben- lässt mich selbst jetzt noch irgendwie hibbelig werden."
"Wieso hast du dich dagegen entschieden?"
"Vor ein paar Jahren war meine Tante Väterlicherseits in einen- recht schwierigen Unfall verwickelt, mit Fahrerflucht, fehlerhafter Diagnose daraufhin im Krankenhaus. Ich- keine Ahnung. Niemand hat ihr helfen wollen, weil es zu lapidar war, für die meisten Anwälte. Nicht genug Geld für den Fall. Ich denke, ich hab mich letztendlich für Jura entschieden, um in der Lage zu sein, soetwas zu vermeiden.",erkläre ich und zucke nachdenklich mit meinen Schultern. Mir ist mittlerweile nur bewusst, dass ich das nicht kann. Dass ich nicht im Stande sein werde, Leuten zu helfen, die wirklich Hilfe brauchen, denn letztendlich dreht sich alles um Geld. Alles dreht sich darum, zu verdienen, die Penthousewohnung und den luxuriösen Sportwagen bezahlen zu können. So ist unsere Generation, unsere Gesellschaft.
"Bereust du deine Entscheidung?"
Überrascht schaue ich Isaac an. Ich setze mich etwas auf und lasse meinen Blick wieder auf die glitzernden Gebäude vor uns gerichtet.
Bereue ich meine Entscheidung? Ich sehe, wie Liam lebt. Ich sehe, wie Diane und Harvey leben. Und so verlockend der Ruhm mittlerweile auf mich wirkt, manchmal bin ich mir wirklich nicht sicher, ob ich mein restliches Leben damit verbringen kann, Schreiben auf zu setzen, um Recht und Unrecht zu streiten und vielleicht auch damit, Verbrecher zu verteidigen, die letztenendes keine Chance auf ein Leben in Freiheit verdient haben.
"Ja. Ich denke, ich bereue es, mich gegen Architektur entschieden zu haben."
"Wieso?"
"Weil ich mir vorstellen kann, dass mein Leben glücklicher und- lebensfroher verlaufen würde, hätte ich mich Jura entschieden."
"Du bist unglücklich?",hinterfragt Isaac sofort und setzt sich dann ebenfalls auf. Seine Arme legen sich von hinten wieder um mich, so, dass seine Finger wieder meine berühren.
"Nein. Ich meine- ich bin gestresst. Aber ich denke, dass ich irgendwann, in einigen Jahren an dem Punkt sein könnte, an dem ich mich als unglücklich bezeichnen würde."
"Und daran änderst du nichts?"
"Was soll ich daran schon ändern, Isaac? Ich hab eine Entscheidung getroffen und mit dieser werde ich jetzt wohl leben."
"Ganz egal, wieviele Umwege man auf sich nehmen muss, am Ende ist Zufriedenheit das wichtigste, um ein gutes Leben führen zu können, Madison."

Maybe.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt