[Drei] Me vs. Minime

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Anscheinend bin ich dann doch eingeschlafen, denn ich werde von sanften Streicheleinheiten geweckt und befinde mich noch immer auf der Liege am Pool, als ich die Augen öffne.
Mein Blick fängt sofort Jolene ein, die neben mir kniet und mich ansieht. Wortlos aber mit deutlichem Blick hält sie mein fast leeres Whiskeyglas hoch.
»Kann damit niemandem mehr schaden, weil da nichts mehr ist«, brumme ich und setze mich aufrecht.
»Ja«, stimmt sie mir nickend, aber auch seufzend zu und stellt das Glas wieder an die Seite.
»Wo bist du gewesen, und wieso hast du mir nicht geantwortet?«, will ich dann von ihr wissen. Da sie aber weder nach Zigaretten noch Alkohol riecht, war sie zumindest in keiner Bar unterwegs gewesen, so wie ich es vermutet hatte. Ehrlich gesagt, beruhigt mich das, trotzdem frage ich mich erst recht, wo sie dann gewesen ist. Viele Möglichkeiten gibt es nicht. Bei Johnny? Nein, sie hätte keinen Grund zu ihm zu gehen, ohne Chester abzuliefern. Brandon, Ian oder Cormack? Eher nicht, denn auch mit ihnen wäre sie nur in der Bar gelandet. Ihre Mutter? Immerhin lebt Milly seit drei Jahren wieder in Miami und bewohnt Jolenes alte Wohnung. Aber Milly ist nicht gerade der Mensch, zu dem Jolene geht, um sich andere Gedanken zu verschaffen. Also was bleibt dann noch?
»Arbeiten«, beantwortet sie mir dann meine Frage und zeigt über das Wasser zur anderen Seite der Bucht auf die Passagierschiffe. »Ich musste zum Hafen. Bei einem der Schiffe ist das Netzwerk komplett ausgefallen. Wir haben die Verkabelungen und die Software überprüft«, erklärt sie mir. Dann wird ihr Blick liebevoll und ihre Hand legt sich auf meine Wange. »Tut mir leid, dass ich dir nicht Bescheid gesagt habe.«
»Mir tut es leid«, entschuldige ich mich dann. »Für mein Verhalten heute Nachmittag.«
»Du musst dich nicht entschuldigen«, wehrt sie ab. »Ich bin dir nicht böse.« Um dies zu verdeutlichen, lächelt sie mich an, beugt sich zu mir und küsst mich liebevoll. »Lass uns ins Bett gehen. Morgen wird ein besserer Tag.« Auffordernd hält sie mir ihre Hand entgegen, nachdem sie sich erhoben hat, um mir beim Aufstehen zu helfen.

»Morgen findet bei uns das Barbecue statt«, erinnere ich nun sie daran, während wir uns ausziehen und ins Bett legen. Denn mir scheint es, als hätte auch sie es vergessen. Und ihr verwunderter Blick bestätigt mir meine Vermutung, weshalb ich dann doch lachen muss.
»Ich werde erst später dabei sein können«, beichtet sie mir und legt sich neben mich. »Wir haben das Problem auf dem Schiff noch nicht behoben. Wir müssen weiter suchen.«
»Es ist Wochenende.«
Jolene beginnt frech zu schmunzeln. »Ich habe keine Wochenenden.«
Eine Antwort, die ich nicht gerne höre. Dennoch weiß ich, worauf sie anspielt und beginne zu grinsen, während ich mich auf sie lege. »Dann muss ich wohl mal ein Wörtchen mit deiner Chefin reden«, raune ich leise und lege meine Lippen auf ihre.
Ihre Arme legen sich um meinen Körper und für einen langen Moment verweilen wir einfach in dieser innigen Zweisamkeit.
»Das Problem ist«, beginnt Jolene, als wir unseren Kuss beenden, »dass das Schiff am Montag vom Stapel läuft. Mit Passagieren. Wir haben also wenig Zeit, das Problem zu finden und zu beheben.« Sie nimmt mein Gesicht in ihre Hände und zieht mich für einen weiteren Kuss zu sich. »Aber ich hoffe, wir finden es morgen schon, damit ich nicht das ganze Wochenende arbeiten muss.«
»Gib dein Bestes«, fordere ich sie auf und verlange einen weiteren Kuss; ebenso aber auch, jetzt nicht weiter zu reden.

***

Als ich am nächsten Morgen meine Augen öffne, ist der Platz im Bett neben mir leer und bereits kalt. Nur schwerfällig kann ich mich dazu aufraffen, aufzustehen, weshalb ich erstmal eine Weile auf der Bettkante sitzen bleibe und meine Augen solange reibe, bis sie durchblutet sind und von alleine offen bleiben.
Der gestrige Tag war wieder mal viel zu emotional, weshalb ich mich nun total gerädert fühle.
Um auch meinen restlichen Körper irgendwie aufzuwecken, strecke ich mich und genieße es mit einem genüsslichen raunen, wie sämtliche Gelenke und Wirbel hörbar in ihre Position zurück rutschen.
Schließlich schaffe ich es, aufzustehen, mir etwas anzuziehen und nach unten zu gehen.
Dabei streiche ich mir meine wilde Mähne nach hinten und reibe meine Augen erneut.
Völlig automatisiert steuere ich den Kaffeeautomaten an. Ein bisschen bin ich schon froh darum, endlich wieder Koffein zu mir nehmen zu können. Als ich wegen der Schwangerschaft damit aufgehört hatte, wusste ich lange nicht, wie ich morgens in die Pötte kommen sollte.
Während der Automat rattert, drehe ich mich und werfe einen Blick ins Wohnzimmer. Dort sitzt Chester auf der Couch und malt im Tablet herum. Den Fernseher mit seinen Cartoons ignoriert er dabei und dient nur der Hintergrundbeschallung.
»Wie lange ist Mama schon weg?«, frage ich ihn.
»Weiß nicht«, zuckt er ahnungslos mit den Schultern, ohne mir einen Blick zu würdigen. »Bin schon lange hier, hab' Mama aber nicht gesehen.«
Bedeutet also, Jolene muss bereits schon gegen sechs das Haus verlassen haben, da das in etwa die Zeit ist, in der Chester immer aufwacht.
Ich greife nach meiner Kaffeetasse und gehe zur Terassentür, aus der ich hinaussehe, rüber zu den Schiffen. Auf einem von ihnen ist sie gerade auf Fehlersuche.
Viel geschlafen hat sie dann nicht, denn es war drei Uhr in der Nacht, als sie nach Hause kam und wir ins Bett gegangen sind.

»Wir kriegen heute Besuch«, berichte ich dann Chester und drehe mich ihm zu.
»Okay«, kommt es lediglich von ihm.
»Um zwei. Wir machen ein Barbecue. Alle werden da sein. Auch Jay, Samantha und deine Brüder.«
Erst jetzt erlange ich seine Aufmerksamkeit, aber sein Blick ist unzufrieden. »Muss ich zuhause bleiben?«
»Ähm ...«, bin ich über diese Frage irritiert. »Ja?!«
»Aber das geht nicht!«, schmollt er.
»Wieso nicht?«
»Ich will mich mit Dina treffen.«
»Und seit wann verabredest du dich mit Freunden, ohne das mit uns vorher abzusprechen?!«, will ich dann strengen Wortes von ihm wissen.
»Ich ...«, beginnt er, hält dann aber inne, als er meinen durchdringenden Blick sieht. »Tut mir leid«, murmelt er.
»Wo wollt ihr euch denn treffen?«
»In Miami.«
»Miami ist groß, Schatz. Du musst schon genauer werden«, abwartend neige ich meinen Kopf. Längst hat er seinen Fokus wieder auf sein Tablet gerichtet und malt nun eher lustlos weiter darauf rum; tut es also nur, um mir nicht in die Augen sehen zu müssen.
»Beach.«
»Noch genauer«, fordere ich ihn auf.
»Am Strand.«
Leicht verzweifelt kratze ich mir die Stirn. »Der Strand ist lang.«
»Wie lang?«, fragt er.
»Sehr lang.«
»Unendlich lang?«
»Nein.«
»Dann werde ich sie finden.« Unbeeindruckt zuckt er mit der Schulter und malt weiter.
Innerlich seufze ich, auch wenn ich seinen Optimismus bewundere. »Für Dina gilt dasselbe, wie für Rambo. Nachname, Wohnort, Telefonnummer. Bis dahin: Nein.«
»Young, Miami Beach«, antwortet er. »Darf ich jetzt?«
»Nein.«
»Wieso nicht? Das sind zwei von drei!«
»Du kannst sie ja hierher einladen«, schlage ich ihm etwas spitzbübisch grinsend vor.
»Aber ich kann ihr nicht sagen, wo ich wohne, weil ich ihre Tele...« Er unterbricht sich selbst, als er das Problem versteht und lässt sich schmollend zurückfallen.
»Deswegen gibt es ein 'Ja' erst bei drei von drei«, antworte ich immer noch grinsend und schlürfe an meinem Kaffee.
Bockig schiebt er seine Unterlippe nach vorne und drückt seine Augenbrauen zusammen, während er mich ansieht.

»Du hast Sam und Jay zum Spielen hier«, zucke nun ich mit den Schultern.
»Sam ist doof!«
»Nur weil du dich nicht mit Dina treffen darfst?«, frage ich verdutzt.
»Nein, weil die viel zu alt ist!«
»Zu alt?? Sie ist nur drei Jahre älter.«
»Zu alt!«, beharrt er.
»Deine Mama ist auch zwei Jahre älter als ich«, erkläre ich ihm.
»Das ist was anderes«, tut er ab. »Ihr seid Erwachsene.«
»Okay«, lache ich. »Und was ist mit Jay?«
»Jay ist cool!«
»Aber er ist fünf Jahre älter, als du. Also sogar älter als Sam.«
»Das macht nichts«, winkt er erneut ab. »Jay ist ein Junge.«
Verwundert weiten sich meine Augen und schiebe grübelnd meine Lippen nach vorne. Jetzt fällt mir nichts mehr ein, weshalb ich mich einfach neben Chester auf die Couch setze und ihm eine Weile dabei zusehe, was er da malt. Einen Dinosaurier, natürlich.
Die Faszination über diese Tiere hat er bis heute nicht verloren. »Der ist wirklich gut«, lobe ich ihn deshalb; und ich meine mein Lob ernst. Er ist wirklich gut darin, zu malen. Ebenfalls etwas, das er bis heute nicht aufgegeben hat. Und für seine fünf Jahre sind seine Werke wahrlich gut.
Allerdings weiß er auch zu recherchieren und guckt sich Videos mit Zeichentipps an - oder aber er fragt mich, so wie jetzt. Diesmal scheint er sich mit Schattierungen auseinandersetzen zu wollen; dabei rückt er näher an mich heran und kuschelt sich an mich, während ich ihm ein wenig anleite und ihm zeige, wie er die Schatten natürlich rüberbringen kann.
Gewiss sieht das alles bei ihm nicht so professionell und natürlich aus, aber er ist erst fünf und ich bin mir sicher, dass seine Kunstwerke in ein paar Jahren sogar meine übertreffen; sofern er dieses Hobby nicht aufgibt.
Von seinen aktuellen Interessen her, sehen wir ihn entweder in einem kreativen Beruf, oder als Baseball-Profi. Aber wir wissen auch, dass sich Interessen ändern können und schließen deshalb noch keine Wetten ab.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt