[Siebenundzwanzig] - Vielleicht ja doch nicht

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Aus diesem intensiven und verspielten Blickkontakt werden wir durch Chester gerissen, der uns auf unsere Hände klopft, die immer noch einander halten.
»Oma redet mit euch!«, weist er uns zurecht und deutet auf das Handy.
Mit einem Räuspern entschuldige ich mich bei ihr und verspreche, ihr nun zuzuhören.
»Christian hat nächste Woche das Probearbeiten am Flughafen«, berichtet sie mit einem amüsierten Unterton, weil sie vermutlich weiß, weshalb weder Jolene noch ich eben auf sie reagiert haben.
»Er könnte schon ab Oktober dort anfangen, wenn alles stimmt.«
»Wirklich?«, freue ich mich und wende mich nun gänzlich dem Gespräch mit ihr zu. »Das würde ja bedeuten, dass ihr direkt hier bleiben könnt?«
»Wenn das möglich ist, würde es mich freuen«, gesteht sie. »Denn ich vermisse euch. Noch dazu würde ich gerne dabei sein, wenn sich eure Familie vergrößert und möchte euren Nachwuchs von Anfang an erleben.«
Mit dieser Aussage treibt sie mir die Röte ins Gesicht. Nicht vor Scham, sondern weil sie es so selbstverständlich sagt und meine Vorfreude damit steigert.
»Mama und Mom machen die ganze Zeit Liebe, damit der Storch bald kommt«, plappert Chester dazwischen.
Jetzt
ist die Röte in meinem Gesicht der Scham geschuldet, während Jolene wieder nur darüber lacht und ihm durchs Haar wuschelt.
»Ihr seid immer Willkommen«, spricht sie dann an meine Mutter gewandt.

»Ich kann dir und Naddy auch bei CaddySign helfen«, bietet mir meine Mutter dann an, nachdem auch sie fertig damit ist, sich über Chesters Aussage zu amüsieren. Ehrlich gesagt habe ich an diese Möglichkeit noch gar nicht gedacht. Immerhin ist sie gelernte Raumgestalterin und hat diesen Job über zwanzig Jahre ausgeübt, bevor sie den Autounfall hatte, der sie in den Rollstuhl katapultiert hat. Deshalb kann sie nicht mehr jeden Auftrag annehmen, sondern nur jene mit barrierefreien Objekten.
Das ist auch der Grund, wieso wir an den Treppen der Veranda Rampen haben anbauen lassen. Ebenso haben wir den großen Raum hier unten dazu genutzt, Wände zu ziehen, um ein Gästezimmer zu schaffen, damit sie bei uns sein kann, wenn sie uns besucht.

»Wieso siehst du mich so an?«, will ich von Jolene wissen, nachdem wir das Telefonat beendet haben und ich von ihr einen merkwürdigen Blick erhalte.
»Du könntest deiner Mutter wirklich einen Job geben«, spricht sie ihren Gedanken aus. »Für meine Marketingabteilung. Sie kommt aus einem kreativen Beruf, und es wäre etwas, bei dem der Rollstuhl sie nicht hindert.«
»Ich weiß nicht«, murmle ich unsicher und senke meinen Blick; hebe ihn aber wieder als Jolene ein merkwürdiges Grunzen von sich gibt.
»Komm' mir jetzt nicht wieder mit 'Privates und Berufliches trennen'. Du führst gemeinsam mit deiner besten Freundin ein Unternehmen und bist mit deiner Chefin verheiratet«, argumentiert sie grinsend, setzt Chester ab, während sie aufsteht und holt aus den Schränken sämtliche Utensilien, die sie benötigt, um das Abendessen zuzubereiten.
»Es ist aber was anderes, die Chefin der eigenen Mutter zu sein und tagtäglich mit ihr zu arbeiten«, widerspreche ich und helfe ihr dabei. »Du und ich sehen uns hauptsächlich nur abends, selten mal beruflich bedingt - wenn nicht gerade eine größere Veränderung ansteht, so wie jetzt.«
»Ich denke nicht, dass du Probleme mit deiner Mutter haben wirst«, äußert sie überzeugt. »Sie wäre wirklich eine Bereicherung und könnte dir gute Ratschläge geben. Im Gegensatz zu meiner Mutter würde sie das Ruder nicht an sich reißen und dir sagen, wie du was zu machen hast.«
Mit einem tiefen Atemzug nicke ich zaghaft. »Ich denke darüber nach«, verspreche ich ihr. Allerdings hat Jolene eine überaus gute Menschenkenntnis. Wenn sie glaubt, meine Mutter wäre eine gute Angestellte und könnte zwischen Privat und Beruf ebenso differenzieren, brauche ich wenig Zweifel daran haben. Es hat also durchaus etwas zu bedeuten, wenn selbst sie bereit wäre, meine Mutter einzustellen.
»Warte bis sie da ist und rede mit ihr darüber«, macht Jolene den Vorschlag, zieht mich zu sich und küsst mich kurz, aber sanft.

Während dem Essen sind unsere Ohren ganz auf Chester gerichtet, der nochmal von seinem Tag erzählt - immerhin waren Jolene und ich vorhin ein wenig abgelenkt und haben nicht alles mitbekommen.
Dabei offenbart er, dass nun Linn seine neue Freundin ist und sie sowieso viel besser zu ihm passt, als Dina. Er zählt uns die Unterschiede der beiden Mädchen auf und erklärt anhand dessen, wieso Linn die bessere Wahl ist: Sie spielt wie ein Junge, sie weint nicht so schnell und sie rülpst.
Skeptisch hebt sich meine Augenbraue. Chesters Ansprüche sind also noch sehr überschaubar, wie mir scheint. Aber ich bin mir sicher, ich wünsche mir genau diese dann in zehn Jahren zurück, wenn die richtigen Probleme mit den Mädchen anfangen und sich sein Blickwinkel ändert.
Allerdings hoffe ich nicht, dass er seine Freundinnen dann so schnell wechselt wie jetzt.

»Kommt Oma?«, fragt Chester, als ich ihn gerade in sein Bett packe und zudecke.
»Ja«, lächle ich, beuge mich zu ihm, um ihm einen Kuss zu geben. »Am Wochenende.«
»Also nur noch ...« Er hält kurz inne und zählt mit seinen Fingern, »dreimal schlafen.«
Auch ich überlege kurz und nicke, als ich auf dasselbe Ergebnis komme.
»Und dann bleibt sie für immer?«
»Das müssen wir abwarten, aber sie haben es vor.«
»Voll cool!«, freut er sich und zieht seinen Stoffdino in seine Arme.
»Gute Nacht«, verabschiede ich mich schmunzelnd von ihm und gebe ihm erneut einen Kuss.
»Nacht, Mom. Lieb' dich.«
»Lieb' dich auch«, schmunzle ich, streichle ihm kurz über die Wange und erhebe mich.
Im Türrahmen steht Jolene mit verschränkten Armen und wartet darauf, ihren Part zu übernehmen. Im Vorbeigehen gebe ich auch ihr einen Kuss und gehe ins Bad unseres Schlafzimmers, um mich ebenfalls bettfertig zu machen.

Mit einem frechen Schmunzeln im Gesicht betritt Jolene unser Schlafzimmer. Während sie Chester eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen hat, habe ich mir mein aktuelles Buch zur Hand genommen und darin gelesen.
Jetzt aber lege ich es zur Seite und beobachte meine Frau dabei, wie sie sich auszieht und zu mir ins Bett krabbelt.
Sie legt sich auf den Rücken, streckt ihren Arm aus und lädt mich zu sich ein. Natürlich zögere ich keine Sekunde. Betten möchte ich mich aber noch nicht, weshalb ich ihr in die Augen sehe und zärtlich über ihre Wange streichle.
»Ich liebe dich«, hauche ich und lächle sie an.
Ihre Antwort ist ein sanfter und von Liebe gefüllter Kuss.
Weder sie noch ich denken daran, ihn zu beenden. Stattdessen intensivieren wir ihn, ebenso unsere Berührungen, die wir einander schenken.
Ihre Hände gleiten über meinen Rücken und meiner Seite entlang, während meine Linke durch ihr Haar streicht und die Rechte auf ihrer Wange liegt
Unsere Atmung wird immer schneller und unsere Berührungen intensiver. Sowohl ihr, als auch mir entkommt zwischendurch ein kleines Seufzen.

Die aufkeimende Lust wird aber durch ein Ziehen in meinem Unterleib unterbrochen, weshalb ich schmerzerfüllt raune, meine Hand auf meinen Bauch lege und mich ein wenig krümme.
»Was ist los?«, will Jolene direkt besorgt wissen und das Feuer in ihren Augen erlischt.
Mein Raunen wird zu einem frustrieren Schnauben. »Ich kriege dann wohl meine Periode«, zische ich und stehe auf, um ins Badezimmer zu gehen.
Jolene richtet sich im Bett auf und schmunzelt mir entgegen. »Wenn von all den Versuchen keiner geglückt ist, trete ich Johnny in die Eier.«
Diese Aussage bringt mich zum Lachen. »Dass ich mich verrechnet habe, oder du nicht getroffen hast, steht außer Frage?«, kommt es amüsiert von mir, als ich aus dem Badezimmer zurückkehre und mich wieder zu ihr lege.
»Natürlich«, grinst sie und beugt sich direkt über mich. »Denn wenn ich so könnte, wie ich wollte, würdest du bereits unser viertes Kind in dir tragen.« Sanft streichelt sie mir über den Bauch und legt ihre Lippen auf meine.
»Oh, Gott«, japse ich, »ich hoffe, das hast du nicht wirklich vor?«
Jolene aber grinst lediglich und vereint unsere Lippen erneut.

Ich bin überrascht, dass mich diesmal keine Enttäuschung oder deprimierende Gefühle ereilen. Vielleicht liegt es aber auch daran, weil ich mir bei meiner Rechnung ja von Anfang an nicht sicher war und die Wahrscheinlichkeit sehr hoch war, es zur falschen Zeit zu versuchen.
Natürlich hätten wir das vorab von einem Arzt abchecken lassen können, aber wir wollten diesen ja außen vor lassen und es einfach selbst versuchen. Zumal wir festgestellt haben, dass es auf diese Art einfach entspannter und bei weitem viel schöner ist. Vielleicht ist auch dies einer der Punkte, weshalb ich nun deutlich entspannter damit umgehe.
Und natürlich auch, weil mir Jolene gar nicht die Möglichkeit gibt, mir darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen. Ihre Küsse und Berührungen reißen mich zu sehr in diesen Tunnel und lassen mich alles um mich herum vergessen.

Diese kleine und auch unschöne Unterbrechung hat unserer Lust keinen Abbruch getan. Ungehindert küssen und berühren wir uns trotzdem und schmusen uns förmlich in den Schlaf. Wobei das bei mir nicht all zu lange dauert, weil mich die Müdigkeit ganz plötzlich übermannt; weshalb ich ebenfalls unzufrieden Raune.
»Es tut mir leid«, murmle ich, weil ich nicht mal mehr die Kraft habe, sie zu kraulen.
Jolene lacht leise. »Ist schon gut«, beschwichtigt sie, küsst meinen Kopf und krault mir diesen anschließend, bis ich vollends einschlafe.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt