[Siebenundsechzig] - Zwei sind einer zu viel

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Ein klein wenig nervös sitze ich auf dem Stuhl im Behandlungszimmer des Frauenarztes und warte auf seine Ankunft.
Heute ist der große Tag, auf den wir die letzten Wochen hingefiebert haben. Obwohl ich mich gut fühle und auch keine Bedenken wegen des Babys habe, bin ich aufgeregt und verspüre Angst, heute etwas zu erfahren, das meine heile Welt in Stücke reißt. Die Warterei macht es nicht besser.
Jolene sitzt neben mir und lächelt mir zu, während sie meine Hand hält und versucht, mir Mut zuzusprechen, in dem sie mir sagt, dass alles gut sein wird.
Mit Sicherheit hat sie Recht, aber die Angst nehmen kann sie mir trotzdem nicht gänzlich. Dennoch bin ich froh, sie an meiner Seite zu haben. Ihre Ruhe und Zuversicht mildern meine Nervosität ein wenig. Ohne sie würde mich das Warten wohl vollkommen fertig machen.
Für uns beide ist der heutige Termin eine willkommene Ablenkung. Heute das Baby auf dem Monitor zu sehen - bereits als Mensch deutlich erkennbar - ist wie eine Auszeit von der harten Realität, die aktuell nicht sonderlich schön ist.

Über Silvester sind wir zu Morgan nach New York und haben den Jahreswechsel dort mit ihr, Amber und unseren beiden Jungs verbracht.
Nach drei Jahren habe ich auf diese Weise endlich meine romantischen Abende mit Jolene über den Dächern New Yorks bekommen. Ein Erlebnis, das ich damals verspürt habe, als ich das erste Mal bei Morgan war.
Leider hatte Amber aber auch eine nicht so schöne Nachricht im Gepäck, die sie eigentlich nicht an diesen festlichen Tagen offenbaren wollte - aber die Zeit spielt gegen uns und ihr blieb keine andere Wahl.
Der Admiral bekommt tatsächlich seine Kautionsverhandlung - und das schon nächste Woche. Alle Versuche von Amber, dies zu verhindern sind an der eigensinnigen Politik des Militärs gescheitert. Damit bestätigen sie jedes Klischee, ihre eigenen Gesetze zu haben.
Dass uns der Richter nochmal anhören will, und wir Amber deshalb nach Washington begleiten müssen, sehen wir auch nicht wirklich als positiv. Immerhin liegen ihm unsere Aussagen schriftlich vor, noch dazu ist all das, was der Admiral angerichtet hat, zweifelsfrei belegt. Warum also will er all das nochmal hören? Es hat sich in den letzten drei Jahren schließlich nichts geändert.
Um das Ausmaß und die Konditionen der Freilassung bestimmen zu können - so die Begründung des Richters.
Sie hat demnach keine Zweifel daran, dass der Admiral frei kommt, aber sie will alles versuchen, damit er so viele Einschränkungen wie möglich bekommt und für uns keine Gefahr darstellt. Denn ein freier Mann ist handlungsfähig, und wir alle kennen die Verbindungen, die er hat. Es wäre für ihn also ein Leichtes, wieder sämtliche Hebel in Bewegung zu setzen, um uns das Leben schwer zu machen.
Dies gilt es zu verhindern.

Seit dieser Hiobsbotschaft ist Jolenes Laune unterirdisch. Nicht mal ich komme wirklich an sie heran, weil sie unentwegt in Gedanken versunken ist, um eine Lösung zu finden - oder einen Ausweg. In den Nächten ist sie ruhelos und auch den ganzen Tag über sehr fahrig. Sie anzusprechen ist, als würde man vor einer Bombe sitzen und müsste sich zwischen dem blauen und dem roten Kabel entscheiden.
Kurz hat sie sogar wahrlich in Erwägung gezogen, zu meinen Großeltern nach Griechenland auszuwandern, bis der Admiral seinen Hauptprozess hat. Einfach nur, um aus der Schusslinie zu sein.
Denn in einem sind wir uns alle sicher: Er hat noch nicht aufgegeben, und er wird es auch nicht tun.
Vermutlich ist seine Wut über die Jahre im Militärgefängnis sogar gestiegen und wird uns wie ein Tsunami der übelsten Art überrollen.
Das Gefährliche daran, so sagt Jolene, wird sein, dass auch er einen Fehler kein zweites Mal begeht und dann deutlich vorsichtiger vorgehen wird.
Davor habe ich ehrlich gesagt Angst. Denn damals konnten wir ihn auch nur wegen der Akte von Benji Glorth überführen. Ohne diese Akte hätte er vermutlich sein Ziel erreicht und niemand wäre ihm auf die Schlichte gekommen.
Ich wäre in Deutschland, Jolene noch immer im Exil und Chester hätte eine traumatische Kindheit. Vielleicht hätten auch Morgan und Amber all ihr Hab und Gut verloren. Johnny wäre wieder unschuldig im Knast oder vielleicht sogar nach Mexiko ausgewiesen.
Und niemand hätte beweisen können, dass der Admiral für all das verantwortlich gewesen wäre.
Ganz sicher also wird er diesen Fehler nicht noch einmal begehen.
Jolene begibt sich seit dieser Botschaft wieder in die gefährlichen Gefilde des Darkwebs, um jetzt schon die Leichen zu finden, die ihr Vater versteckt hat, bevor er die Möglichkeit hat, sie verschwinden zu lassen. Zudem ist sie sich sicher, dass er in all den Jahren hinter Gittern nicht untätig geblieben ist. Für ihn, als Soldat mit dem Status 'Admiral', ist es in einem Militärgefängnis sicherlich kein Problem, seine Macht und seinen Rang auszunutzen.
Weder Amber noch ich sind begeistert von Jolenes Handeln, wissen aber auch, dass dies uns vermutlich am Ende den Arsch retten kann - mal abgesehen davon, können wir das Jolene auch gar nicht ausreden. Jeder Versuch, sie davon abzuhalten, würde uns vermutlich den Kopf kosten.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt