[Dreiundsiebzig] - Wie damals, nur besser

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Der Strandabschnitt, an dem Dennis parkt, ist kein unbekannter und mir alles andere als fremd.
Hier findet jedes Jahr im Juni immer die Strandparty statt, auf der ich vor etwas mehr als fünf Jahren Jolene am Lagerfeuer entdeckte, während sie Gitarre spielte und Lieder sang.
Wieder stoße ich ein Raunen aus, weil ich nicht weiß, wie ich ausgerechnet an diesem Ort einen schönen Abend haben soll. Er ist viel zu voll mit schönen Erinnerungen, die ich heute ganz sicherlich nicht genießen kann, weil der Mensch, der Grund für diese Erinnerungen ist, nicht an meiner Seite ist.
Naddy aber erlaubt es mir nicht, den Weg zum Strand zu verweigern und zerrt mich mit sich.
»Was für eine Party ist das hier?«, frage ich und sehe mich um. Wie auch bei der jährlichen Strandparty sind mehrere Bars aufgebaut, die diverse Getränke bieten. Aus Boxen ist Musik zu hören, überall stehen Fackeln und auch ein großes Feuer lodert am Strand, um das sich etliche Leute herum gesetzt haben.

»Ich bin mir ganz sicher, dass das hier keine gute Idee ist, Naddy«, murmle ich, als Dennis mit unseren Getränken zurückkommt und jedem ein Glas in die Hand drückt.
»Aber ich bin mir sicher«, antwortet Naddy kichernd.
Erneut sehe ich mich um und die Erinnerung von damals kehrt zurück und zeigt mir die Bilder, die sich seit damals in mein Gedächtnis gebrannt haben.
Wie wir hier zu dritt standen, über das Fest blickten und dann die Klänge einer Gitarre meine Aufmerksamkeit erregten; wie mich eine wunderschöne Stimme mit ihrem Gesang zu sich lockte. Diese roten Haare, die durch das Feuer noch intensiver leuchteten. Dieser freche Blick aus grünen Augen und dieses Lächeln ...
Mein Herz beginnt vor Schmerz zu brennen, aber auch vor Freude zu rasen. Es sind so schöne Erinnerungen.
»Willst du nicht hingehen?«, reißt mich Naddys Stimme aus meinen Gedanken.
»Wohin gehen?«, frage ich irritiert.
»Na, zum Feuer?«
Irritiert blinzle ich und sehe dorthin. Erst jetzt realisiere ich, dass die Gitarrenklänge und der Gesang gar nicht Teil meiner Erinnerung waren, sondern gerade tatsächlich zu hören sind.
Mein Herz beginnt noch schneller zu schlagen und unwillkürlich bewege ich mich vorwärts. Aber ich weiß gar nicht wieso? Immerhin kann Jolene es ja nicht sein, weil sie gerade BNS vor einem Cyberangriff beschützen muss.
Und doch zieht mich die Musik magisch an.
Bis ich die Stimme klar und deutlich höre. Eine so wunderschöne rockige Stimme, die mein Blut in Wallung bringt.
Ich gehe weiter und erkenne auch das rote Haar, das über ihre Schultern fällt, das lange Pony schräg durchs Gesicht; wie damals.

Tränen steigen mir in die Augen, weil das alles hier gerade keine Einbildung ist, sondern wahrhaftig passiert.
Zwischen all den Menschen, die ihr zuhören, bleibe ich stehen. Sofort richtet sich ihr Blick zu mir, ein freches Grinsen auf ihren Lippen - so wie damals.
Und so wie damals singt sie das Lied 'über sich selbst'; das Lied, das mein Leben veränderte.
Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Die Emotionen kochen in mir förmlich über, weil ich sowohl die selben Gefühle wie damals empfinde, als auch pure Freude darüber, dass mir Jolene nur etwas vorgespielt hat, um mich auf diese wunderschöne Art zu überraschen.
Und natürlich waren meine Freunde wieder eingeweiht.
Mein Blut erhitzt, weil mich ihre Stimme und ihr Blick noch heute genauso anmachen wie damals; dieser berühmt berüchtigte Tunnel bildet sich, in dem es nur sie und mich gibt.

Jolene beendet das Lied, ohne ihren Blick von mir abzuwenden und das Lächeln abzulegen.
Gerade, als ich einen Schritt auf sie zumachen will, um ihr in die Arme zu springen, wird mir der Boden unter den Füßen weggerissen, weil mich Dennis in seine Arme hebt.
Erschrocken stoße ich einen lauten Schrei aus und versuche, mich von ihm zu befreien. Dieses Mal hat er mich aus Rücksicht zu meiner Schwangerschaft nicht über seine Schulter geworfen, und auch aus Rücksicht wirft er mich nicht ins Wasser, sondern geht so tief rein, dass ich trotzdem vollkommen Nass werde und sogar zum Ufer zurückschwimmen muss.
Mit einer kurzen Beleidigung beschimpfe ich ihn, weil er mich daran gehindert hat, die Liebe meines Lebens zu küssen. Sauer bin ich aber nicht, weil ich durchaus begriffen habe, was hier vor sich geht und dies Teil von Jolenes Plan ist.
Sie stellt unsere Begegnung an diesem Strand nach, um auf diese Weise unseren Hochzeitstag zu feiern.
»Ihr seid scheiße«, fluche ich trotzdem, als ich mich aus dem Wasser gekämpft habe und das Kleid auswringe. Jetzt weiß ich auch, wieso sich Naddy so sicher war, dass ich ins Wasser gehen werde und deshalb einen Bikini anziehen sollte.
Naddy lacht laut auf. »Du bist immer noch nicht aus Zucker, also stell dich nicht so an.«
»Ihr hättet ja auf ein paar Details verzichten können«, raune ich und schenke ihnen eine hochgezogene Augenbraue.
»Wo wäre denn dann der Spaß für uns?«, antwortet Dennis grinsend. »Abgesehen davon, dass du genauso geglüht hast wie damals und tatsächlich eine Abkühlung brauchtest.«
Ich brumme leise und wringe weiterhin mein Kleid aus.
Plötzlich und unerwartet werde ich von beiden in ihre Arme gezogen; fest drücken sie mich an sich.
»Wir lieben dich«, sagt Dennis.
Naddy stimmt ihm zu und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
Dann lassen sie mich los und Naddy schlägt mir auf den Hintern; dabei deutet sie zu einer Bar. »Du weißt ja, was jetzt kommt«, spricht sie zwinkernd und schiebt mich ein Stück in diese Richtung.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt