[Siebenundachtzig] - Gar nicht so übel

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Irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen. Wirklich viel Schlaf habe ich aber trotzdem nicht bekommen und jetzt ist es auch meine drückende Blase, die mich wach reißt.
Im Bett liege ich alleine, weil die Kinder längst wach sind; und die Stimmen aus Chesters Zimmer verraten mir auch, wo sie sich befinden.
Unten hingegen ist es leise, als ich die Treppe vorsichtig runter gehe.
Da finde ich Cormack vor, der mit seinem Kopf auf der Tischplatte liegt und schläft, während es sich Ian auf der Couch bequem gemacht hat. Ersterer ist wohl während der Recherche einfach eingeschlafen.
Ich versuche, leise zu sein, aber ich weiß, spätestens der Wasserkocher wird die Männer aus ihrem Schlaf reißen.
So schön ich diesen großen und offenen Bereich von Küche, Wohn- und Esszimmer auch finde, in solchen Fällen ist er ungünstig.
Cormack wird aber wach, da habe ich den Wasserkocher noch nicht mal berührt.
»Wir haben ein Gästezimmer«, flüstere ich ihm zu und zeige zu dem Raum.
»Keine Zeit für Schlaf«, lehnt er ab und setzt sich aufrecht. Ich kann sämtliche Gelenke und Wirbel hören, die wieder in ihre Position zurückspringen, als er sich streckt. Dann dreht er einmal seinen Kopf und auch sein Nacken knackt hörbar laut. Ein so unangenehmes Geräusch, dass sich mir sämtliche Haare aufstellen.
»Kaffee?«, frage ich ihn und schmunzle, weil seine Augen so klein und sein ganzes Gesicht so zerknautscht aussieht.
»Wenn du ihn mit Energy kochst, anstatt mit Wasser.« Er zeigt auf all die leeren Dosen, die auf dem Tisch stehen.
Zu all dem Koffein noch mehr Koffein? Eher nicht. »Ich mache dir eine warme Schokolade«, gebe ich schmunzelnd von mir.
»Mir auch, bitte!«, kommt es mit gedämmter Stimme von Ian, von dem ich nur den Arm sehe, den er unter der Decke hervor nach oben streckt.

»Habt ihr Neues herausgefunden?«, will ich wissen, als bei beiden die Lebensgeister einigermaßen wieder erwacht sind.
Ian verzieht das Gesicht. »Ich weiß es nicht. Wirklich beantworten kann es nur Jolene, aber ich habe herausgefunden, dass dieser Parker Evans in Coronado stationiert war, bevor er in den Einsatz nach Somalia geschickt wurde.«
»Coronado?«, frage ich überrascht. »Dort ist Jolene aufgewachsen.«
»Richtig«, raunt Ian. »Und Morgan auch«, fügt er hinzu und sieht mich vorsichtig an.
Mein Herz beginnt wie wild zu schlagen, als ich Eins und Eins zusammenzähle und begreife, wer dieser Parker Evans ist. Es kann kein Zufall sein, dass er den gleichen Nachnamen trägt, wie Morgan auch. Außerdem weiß ich, dass ihr Vater starb, bevor sie geboren wurde. Sie kam im April 1994 auf die Welt, und er ist im Februar 1994 gefallen.
»Wieso recherchiert Jolene über Morgans Vater?«, frage ich verwundert.
»Ich weiß es nicht«, antwortet Ian. »Vielleicht hat Morgan sie dazu beauftragt?«
»Nein, das denke ich nicht«, sage ich und schüttle den Kopf. Morgan hatte keinen Bezug zu ihm, für sie war er schon immer lediglich ein toter Mann gewesen; noch dazu ist sie ein sehr rationaler Mensch. Sie hätte also schon früher Recherchen über ihn angestellt, wenn sie das Bedürfnis gehabt hätte, mehr über ihn zu erfahren. »Und ich bin mir auch nicht sicher, ob es Morgan gefallen wird, wenn sie davon erfährt«, füge ich skeptisch hinzu.
Ian zuckt ahnungslos mit den Schultern. »Dann wird Jolene entscheiden, ob Morgan davon erfährt, oder nicht. Sie weiß schon, was sie tut und wird sich was dabei gedacht haben.«
Ja, Jolene tut nichts ohne Grund, und genau deshalb wird mir mulmig bei der Sache.

Als es an der Haustür klingelt, stoße ich ein Seufzen aus und gehe dorthin.
Ich bin überrascht, als ich sehe, wer dort vor mir steht. Ich habe ja eher mit Amber oder nochmal mit der Steuerfahndung gerechnet, vielleicht auch mit Terance, nicht aber mit Heather.
»Guten Morgen, süßer Cocktail«, begrüßt sie mich mit einem fröhlichen Grinsen. Hinter ihr drei kräftige Männer, die auf mich direkt angsteinflößend wirken. »Bereit, deine Frau wieder in Empfang zu nehmen?«, fragt sie und bittet mit einer Geste um Einlass ins unser Haus.
»Habt ihr sie schon rausgeholt?«, frage ich mit nervöser Stimme und sehe an ihr vorbei, auf der Suche nach meiner Frau.
»Nein, noch nicht, aber es wird nicht mehr lange dauern«, antwortet sie, als ich sie herein lasse. »Das sind Petty Officer Green und Petty Officer Hanks vom NCIS«, stellt sie mir die ersten zwei Männer vor. »Und das ist unser Rechtsverdreher der Navy, General Harvey«, fügt sie grinsend hinzu und zeigt auf den dritten. »Sie werden sich gleich den Richter vorknöpfen, und ihm den Fall abnehmen, da es hier um die Tat eines ehemaligen Soldaten der U.S. Navy geht und es somit unter unsere Zuständigkeit fällt«, berichtet sie und zwinkert. Ihr Plan also, um Jolene und Morgan aus dem Gefängnis zu holen. »Bevor wir das aber tun, brauchen wir Beweise, aus denen klar hervorgeht, dass wirklich Bilson dahinter steckt«, merkt sie an. »Keine Sorge, wir kriegen deine Frauen auch so da raus, aber mit Beweisen ist es leichter.«

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt