[Fünfundzwanzig] - Aufregung

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»Tante Ninnie!«, ruft Chester euphorisch, als er Winnie an unserem Tisch sitzen sieht und stürzt sich voller Freude auf sie. Ich muss ihn direkt ein wenig zur Ruhe rufen, damit er Ellie nicht weckt und erkläre ihm dann auch, dass er deshalb nicht in sein Zimmer kann.
»Was hat Ellie?«, fragt er treuherzig.
»Sie hat Ohrenschmerzen und schläft gerade«, erkläre ich und erwidere den Kuss, den mir Jolene zur Begrüßung gibt.
»Wie lief die Prüfung?«, fragt diese dann an Winnie gewandt, während sie eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank holt und sich etwas in ein Glas gießt.
»Du hast dir das gemerkt?«, fragt Winnie verwundert, während sie beiläufig Chester den Hinterkopf krault. Der aber sitzt unruhig auf ihrem Schoß und ist ganz ungeduldig, weil er von seinem ersten Tag an der neuen Schule erzählen will.
»Jolene ist ein personifizierter Kalender«, grunze ich.
»Eigentlich nicht«, schüttelt Jolene den Kopf. »Du hast es nur neulich beim Barbeque erwähnt«, zwinkert sie.
»Ich hab' verkackt«, beantwortet sie dann und scheint sich dem immer noch sicher zu sein.
»Hast du nicht«, widerspreche ich und schenke Jolene einen Blick, der sie verstehen lässt.
»Du hast drei Versuche«, tut Jolene es ab und setzt sich zu uns an den Tisch. »Spätestens beim Dritten hast du volle Punktzahl.«
»Ich muss direkt bestehen und darf nicht zweimal durchfallen!«
»Bist du mit dieser Einstellung an die Prüfung gegangen?«, fragt Jolene.
»Ja.«
»Dann wirst du es beim ersten Mal bestehen«, grinst sie nun und trinkt einen Schluck aus ihrem Glas.

»Mama!«, meldet sich Chester lautstark zu Wort, der nun auch anfängt zu zappeln. Bevor mir der Junge also gleich Platzt, erlaube ich ihm, endlich von seinem Tag zu erzählen.
Was er dann auch tut; so euphorisch und aufgeregt, weshalb er sich in seinen eigenen Sätzen verhaspelt und sie mehrmals neu anfangen muss. Sämtliche Versuche von Winnie, ihn ein wenig zu beruhigen, misslingen.
Trotzdem können wir ihm folgen. Sein ganzer Tag bestand daraus, ein Abenteuer zu erleben und zu spielen. Diese Erzählung ist ganz anders, als jene, der vorherigen Schule.
Dennoch interessiert mich eine Frage: Ob er einmal ärger mit jemanden hatte, oder das Klassenzimmer verlassen musste. Immerhin hat er davon auch zuvor nie berichtet gehabt. Aber das verneint Chester und seine Augen beginnen noch stärker zu funkeln, als er davon berichtet, wie viel Spaß er hatte und was er alles in den Regalen und Schränken des Klassenzimmers entdeckt hat. Unter anderem ganz viele Dinosaurier Figuren mit denen er spielen wollte, aber anstatt einem schlichten Verbot, dies zu tun, hat man ihm wohl versprochen, es ein andermal zu dürfen und dann seinen Freunden auch zu erzählen, wie welcher Dino heißt.
Mir fällt ein Stein vom Herzen. Auch wenn die Umstände vielleicht keine schönen waren, so bin ich doch froh, dass es so gekommen ist. Der Wechsel zu dieser Schule war jedenfalls keine Fehlentscheidung.

Nachdem er dann fertig ist, meldet sich auch Ellie, die sofort nach ihrer Mutter schreit. Umgehend springt Winnie vom Stuhl auf und geht nach oben, um ihre Tochter zu holen.
Chester folgt ihr direkt, weil er auch nach dem kleinen Mädchen gucken will. Allerdings bleibt er dann oben in seinem Zimmer, während Winnie zurückkommt.
Sofort inspiziert sie das Ohr ihrer Tochter, die noch müde und quengelig ist, sich aber direkt an ihre Mutter schmiegt.
»In etwa zwei Stunden soll sie die nächste Ration einnehmen«, berichte ich ihr und gebe ihr die Flasche mit dem Saft.
Seufzend nickt sie und dreht sich der Haustür zu. Auf dem Weg dorthin hört sie nicht auf, sich für meine Hilfe zu bedanken. All meine Versuche, ihr zu erklären, dass sie mir dafür nicht danken braucht, weil sie auch oft genug wegen Chester eingesprungen ist, ignoriert sie einfach.
»Ich bin immer für euch da«, verspreche ich ihr und verabschiede sie nun gänzlich.

Jolene ist zwischenzeitlich auch aufgestanden und widmet sich dem Rucksack von Chester, um seine Brotdose herauszuholen und sie in die Spüle zu legen.
»Ich hab' dir da was mitgebracht«, schmunzle ich und lege ihr den Stapel an Bewerbungen für die Marketingstellen auf den Tisch. Bedeutungsvoll klopfe ich auf diesen.
Sie stöhnt genervt und blättert gelangweilt mit nur einer Hand in der ersten Mappe herum, während sie mit der anderen das Glas an ihre Lippen führt - und ohne sich hinzusetzen. Dabei sucht sie gezielt die Seite, auf der die Qualifikationen aufgelistet sind. »Nope«, spricht sie und wirft die Bewerbung zur Seite, um in der nächsten herumzublättern. »Nope«, wiederholt sie und wirft die Mappe auf die vorherige. »Eventuell«, sagt sie bei der dritten und startet mit ihr einen neuen Stapel.
Und so geht sie alle fünfzehn Bewerbungen in nur zwei Minuten durch. Und von diesen fünfzehn Bewerbungen schaffen es nur drei auf den 'Eventuell-Stapel', der Rest landet auf dem der abgelehnten.
Skeptisch beobachte ich sie und bin nicht so glücklich mit der Art und Weise, wie sie über die Bewerber entscheidet. Vermutlich hat sie nach all den Jahren soviel Erfahrung, genau zu wissen, worauf sie achten muss, während Naddy und ich noch jede einzelne Seite lesen. Andererseits denke ich mir, haben sich die Bewerber Mühe gegeben und sich den Kopf zerbrochen. Irgendwie empfinde ich es als respektlos, sich dann ebenfalls keine Mühe beim durchsichten zu geben.
»Du willst fünf«, erinnere ich sie und verschränke meine Arme, um ihr zu verdeutlichen, mit ihrer Art nicht einverstanden zu sein. Zumal ich mir sicher bin, dass gewiss mehr bei rausgekommen wäre, hätte sie genauer geguckt.
»Jupp«, antwortet sie und trinkt ihr Glas leer, »aber nicht heute.« Dann stellt sie ihr Glas auf die Anrichte, lehnt sich mit dem Rücken gegen diese und hält mir ihre Hände entgegen; bedeutet mir so, zu ihr zu kommen.
Seufzend komme ich ihrer Forderung nach. Sofort legt sie ihre Hände auf meine Taille und zieht mich zu sich, um mir einen liebevollen Kuss zu geben. Dann gleiten ihre Hände über meinen Po nach unten und bleiben unter diesem auf meinen Oberschenkeln liegen; sanft drückt sie mich so noch dichter an sich.
Erneut seufze ich, diesmal aber aus Genuss.

»Hast du schon was Neues von unserer neuen Immobilie gehört?«, frage ich sie, ohne diese innige Nähe zu beenden. Meine Arme habe ich ebenfalls um sie geschlungen und ich streichle ihr sanft über den Rücken. »Naddy und ich würden gerne vor Ort gucken, ob unsere Einrichtung so umsetzbar ist, wie wir es Planen, und wenn ja, was und wieviel wir kaufen müssen.«
»Heute«, antwortet sie schmunzelnd, dreht sich leicht und greift hinter sich. Ohne ihr Schmunzeln abzulegen, wedelt sie mit ihrem Schlüsselbund vor meinen Augen herum, wobei sie nur einen Schlüssel zwischen ihren Fingern hat.
»Ist das der Schlüssel für ...?«
»Ja«, unterbricht sie mich und zieht ihn vom Ring ab, um ihn mir zu geben. »Das ist der Generalschlüssel«, erklärt sie. »Es gibt insgesamt drei von ihnen und zu jeder einzelnen Tür auch drei. Aber die befinden sich im Gebäude in dem Safe.«
»Dann können Naddy und ich ja morgen direkt loslegen«, freue ich mich und ziehe direkt mein Handy aus meiner Hosentasche, um ihr die frohe Kunde zu überbringen.
Ganz frech nutzt Jolene das aus, um mit ihren Lippen über meine Wange zu meinem Hals zu wandern und mir sanft in diesen zu beißen. Für diesen Moment verschwindet alles um mich herum, weshalb ich meine eigentliche Handlung aus dem Fokus verliere und ein unwillkürliches Raunen von mir gebe.
Ihre Lippen wandern wieder zu meinen, um sie für einen Kuss zu vereinen.

»Mama? Mom?«, werden wir von Chester unterbrochen und drehen uns zu ihm. »Ich geh' rüber zu Nelson«, berichtet er.
»Nein«, kommt es von Jolene und mir gleichzeitig, weshalb Chester vollkommen irritiert reagiert.
»Wieso nicht??«, fragt er und verzieht sein Gesicht, um seine folgende Bockigkeit anzukündigen.
»Weil du nicht in deiner Schulkleidung rausgehen wirst«, begründet Jolene.
»Aber ...«, beginnt er und sieht an sich herunter und wieder zu uns auf, »die ist voll cool. Ich will sie ihm zeigen.«
»Nein«, kommt es wieder zu gleichen Zeit von uns. Jolene zeigt mit ihrem drehenden Zeigefinger nach oben, und signalisiert ihm so, sich erst umzuziehen.
»Na guuut«, stöhnt er genervt und geht die Treppen wieder nach oben - beziehungsweise trampelt.
Ich drehe mich wieder zu Jolene um und erkenne einen belustigten Ausdruck.
»Das war gut«, spricht sie lobend und spielt auf unsere einheitlichen Worte an. Dabei beugt sie sich erneut zu mir, um den unterbrochenen Kuss fortzuführen.

»Wann soll ich nachhause kommen?«, werden wir erneut unterbrochen.
Entweder die Zeit ist geradezu gerast, oder er hat sich beeilt, denn Chester sitzt in anderen Klamotten an der Haustür auf dem Boden und zieht sich seine Schuhe an.
»In zwei Stunden«, antwortet ihm Jolene dann, nachdem wir uns einen kurzen Blick geschenkt haben.
Rätselnd sieht Chester auf seine blau-rote Dinosaurier Uhr, die er am linken Handgelenk trägt.
»Wenn die Zeiger in einer Linie stehen«, erkläre ich ihm.
»Okay!« Freudig erhebt er sich und greift nach dem Türknauf. »Bis dahin habt ihr ja genug Zeit, Liebe zu machen für ein Baby«, gibt er ratschlagend von sich und verlässt das Haus viel zu schnell, als dass wir darauf reagieren könnten.
Geschockt sehe ich die Tür an, durch die er gerade noch verschwunden ist, ehe ich zu Jolene aufsehe, die mich ebenfalls ansieht und dann zu Lachen beginnt.
»Der ist wirklich frech!«, gebe ich empört von mir.
»Ganz die Mama«, grinst Jolene, als wäre sie stolz darauf.

Das Handy in meiner Hand vibriert, weshalb ich auf dieses sehe.

Naddy (4:12pm): »Kannst du das bitte übersetzen oder bist du betrunken?!«

Irritiert blinzle ich und sehe dann, dass meine eben angefangene Nachricht an sie herausgeschickt wurde, bevor ich damit fertig war. Mitten im Satz endet sie mit unzähligen anderen Buchstaben, die kein existierendes Wort bilden.
Offensichtlich bin ich ausversehen auf den Sende-Button gekommen, als mich Jolene mit ihrer Innigkeit überrumpelt hat. Deshalb sehe ich sie ein wenig tadelnd an und schreibe die Nachricht erneut und in klaren Worten; verbiete Jolene solange, mich nochmals davon abzulenken.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt