[Fünfundachtzig] - Täglich grüßt das Militär

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Als wir in unsere Einfahrt fahren, erkenne ich bereits Ian und Cormack auf unserer Veranda vorm Haus. Ersterem habe ich während der Fahrt geschrieben und zu uns bestellt, damit ich ihm den Zettel von Jolene geben kann.
Die ganze Zeit habe ich überlegt, was das sein soll und was Ian daraus schlussfolgern wird, aber vermutlich ist das irgendeine Geheimsprache aus alten Zeiten, die nur sie verstehen.
Vorher haben wir noch die Kinder bei meinen Eltern abgeholt, und wurden von meiner Mutter länger festgehalten, als ich eigentlich verweilen wollte.
Sie leidet mit mir und konnte ihre Umarmung einfach nicht lösen.
Wie oft sie gesagt hat, wie gerne sie helfen würde, wenn sie nur wüsste, wie. Aber letztlich kann uns niemand helfen, denn diejenigen, die einflussreiche Kontakte haben, sind bereits dabei, diese zu nutzen, oder ... sitzen handlungsunfähig im Gefängnis.

Kyle ist sehr erfreut, seinen Vater zu sehen und auch Cormack empfängt seinen Sohn mit offenen Armen. Wie er berichtet, ist das der Grund, wieso er Ian begleitet hat.
»Ich hab' gesagt, ich helfe dir«, spricht er an mich gewandt und verdeutlicht die Ernsthaftigkeit seiner Worte. Dabei deutet er auf die Reisetasche, die er auf der Veranda abgestellt hat.
Skeptisch ziehe ich eine Augenbraue nach oben. »Du willst dich bei uns einnisten?«
»Ich werde.«
Ich habe keine Kraft zu debattieren und nehme seine Entscheidung hin. Vielleicht hilft es mir ja wirklich, nicht gänzlich alleine in diesem Haus zu sein.

»Jolene gab mir etwas für dich mit«, sage ich, als wir alle im Haus sind und überreiche den Zettel an Ian.
Dieser nimmt ihn mit fragendem Blick entgegen und sieht es sich an. Plötzlich weiten sich seine Augen, als er begreift, was das ist.
»Deine Frau ist ein Genie!«, äußert er und eilt plötzlich zu ihrem Arbeitsplatz.
Irritiert blinzle ich. »Ich weiß, auch wenn ich nicht verstehe, was das mit diesem Bild zu tun hat.«
»Hast du es nicht erkannt?«, fragt er und hält den Zettel nach oben. »Das sind Einser und Nullen. Binärcode.«
»Was steht drin?«, will Cormack dann wissen, der Kyle wieder absetzt, weil dieser mit Chester draußen im Garten spielen will.
»Ich hab' nicht so ein irres Superhirn, wie Jolene, die ganz offensichtlich Binärcode aus dem Kopf kann. Ich brauche einen PC zum entschlüsseln.« Er öffnet ein Programm, in das er die Zahlen geduldig und sorgsam eintippt; bemüht, keine Zahl zu vergessen oder einen Zahlendreher zu machen. »Das sind Zugangsdaten zu einem Fileserver«, verkündet er dann, als er Jolenes Code entschlüsselt vor sich auf dem Monitor sieht. Gemeinsam gehen wir zu ihm und sehen ihm über die Schulter. Er öffnet ein weiteres Programm und gibt diese Zugangsdaten ein.
»Sie hat bereits Recherchen über Bilson gemacht. Das ist eine Akte über ihn«, teilt er uns überrascht mit.
Fasziniert sehen wir ihm dabei zu, wie er Datei für Datei öffnet.
Amber und mir fallen bald die Augen aus dem Kopf, als wir sehen, was Jolene bereits über diesen Mistkerl herausgefunden hat.
Mir kommt das alles nicht ganz unbekannt vor und wirft mich wieder vier Jahre zurück. Damals war es die Akte meines Vaters gewesen, die sich Jolene besorgt und durchforstet hat. Jetzt ist es die eines Arthur Bilson. Ehemaliger Soldat der U.S. Navy. Vor zehn Jahren wegen Betrug, Erpressung und Verrat unehrenhaft entlassen.
Zu dieser Zeit gab es Bilson & Son schon, und trotz seiner militärischen Verurteilung, hatte er es geschafft, sich in dieser Branche einen Namen zu machen.

Wir finden Artikel und Berichte, die von dem schon damals existierenden Kampf zwischen BNS und Bilson handeln. Weit, bevor Jolene das Unternehmen übernommen hat.
»Hier ist noch ein Ordner«, berichtet Ian dann. »Parker Evans«, liest er vor und klickt auf das Symbol.
»Parker Evans«, murmle ich nachdenklich und überlege, ob mir der Name irgendwas sagen sollte. Irgendwie kommt er mir bekannt vor, aber ich kann es noch nicht genau zuordnen. Dann öffnet Ian die darin befindlichen Dateien ebenfalls und liest daraus vor. »Er war ebenfalls ein Soldat der Navy. Navy SEAL, um genau zu sein«, brummt Ian. »Ist im Februar 1994 beim Einsatz in Somalia gefallen.«
»1994 gefallen?«, fragt Amber verwundert. »Wieso spielt er in dieser Angelegenheit eine Rolle?«
Ahnungslos zuckt Ian mit den Schultern.
»Vielleicht hat er nichts mit Bilson zu tun?«, werfe ich ein. »Vielleicht hat sie was ganz anderes recherchiert?«
»Es ist eine versiegelte Akte des Militärs«, kommentiert Ian. »Unwahrscheinlich also, dass es irrelevant für uns ist.« Seufzend lehnt er sich in den Stuhl zurück und sieht uns der Reihe nach an, bis sein Blick auf mir hängen bleibt. »Sie hat dir nicht gesagt, was das hier alles ist?«
»Nein«, sage ich und schüttle den Kopf. »Es waren drei Wärterinnen im Raum. Sie gab mir nur den Zettel, und bat mich, ihn dir zu geben«, erzähle ich. »Oh, und ich soll dir sagen, dass sie dich lieb hat«, füge ich hinzu, als mir das einfällt. »Wobei ich nicht weiß, ob das lediglich der Verschleierung diente, oder ich es dir wirklich ausrichten soll«, grüble ich.
Ian grinst lediglich und widmet sich wieder den Akten, die Jolene dort gesammelt hat. »Ich werde mir alles genau ansehen, vielleicht finde ich in den Dokumenten, wer dieser Parker Evans ist und wieso ihn Jolene in dieser Sache für wichtig hält.«
»Und ich kümmere mich um die anderen Scheißkerle«, zischt Cormack, packt seinen Laptop aus und setzt sich an den Esstisch.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt