Am nächsten Morgen sind wir auf dem Weg zum Autohaus, um uns den 'kleinen' Cruze anzusehen. Erfreut bin ich immer noch nicht. Denn mein Aveo war mein erstes Auto und damit auch die erste große Anschaffung in meinem Leben, die ich mir monatelang zusammengespart habe. Der Abschied fällt mir entsprechend schwer.
Natürlich kann ich es mir jetzt, Jahre später und beruflich erfolgreicher mit einem schöneren Kontostand, eher leisten, ein neues Auto zu kaufen, aber ich will es eigentlich gar nicht. Mir würde auch ein kleines, altes Auto reichen. Hauptsache es bringt mich zuverlässig von A nach B.
Dann aber seufze ich, denn diese Zuverlässigkeit ist ab einem gewissen Alter schwindend gering, wie mir Jolene noch am Abend eingetrichtert hat. Und da sie der Autofreak von uns ist, glaube ich ihr das.Als wir auf dem Hof fahren, kann ich den metallic-blauen Cruze schon sehen. Durch seine Farbe fällt er zwischen all den silbernen und weißen Autos auf. Noch dazu wurde er augenscheinlich für uns extra dort platziert, damit er uns direkt ins Auge springt.
Während Jolene musternd um das Fahrzeug herumgeht, werfe ich einen Blick durch die Fahrerscheibe. Soweit sieht er ganz angenehm aus.
Wir müssen aber auch gar nicht lange warten, bis der Verkäufer zu uns stößt und den Wagen aufschließt, damit ich mich mal reinsetzen kann.
In der Zeit, in der ich den Wagen von Innen begutachte, den Sitz in eine für mich angenehme Position bringe und wichtige Handgriffe teste, hört sich Jolene an, was ihr der Verkäufer da erzählt. Ihr Blick dabei ist hart und skeptisch - vermutlich ihr Pokerface, um dem Händler direkt klar zu machen, seinen gewünschten Preis nicht zu bekommen.
Irgendwann fordert sie von mir, die Motorhaube zu öffnen und den Wagen zu starten. Und während ich warte, bis die da draußen fertig sind, sehe ich mich weiterhin im Inneren um; öffne alle Fächer, die ich finden kann und teste sämtliche Knöpfe.Nach unzähligen Minuten wird die Motorhaube wieder geschlossen, und das gequälte Gesicht des Verkäufers ist zu erkennen. Anscheinend hat Jolene mit der Verhandlung schon begonnen, wenn ich seinen verzweifelten Ausdruck richtig deute.
Dann geht Jolene zur Beifahrerseite und steigt ein. Grinsend sieht sie mich an und fordert mich dazu auf, mit dem Wagen ein kleine Probefahrt zu machen.
Ohje. Solange das Auto einfach nur stand, war es ja ganz nett, aber es jetzt zu fahren, macht mir Angst. Darum bitte ich Jolene, das Fahren zu übernehmen, zumal sie dabei eher etwas ungewöhnliches feststellen kann als ich.
Dies ist dann auch das Argument, mit dem ich sie dazu überredet bekomme.
»Aber auf dem Rückweg fährst du.« Schmunzelnd schiebt den Fahrersitz gefühlt zwei Meter zurück.Von dem Moment an, den die Reifen den Asphalt der Autobahn berühren, bereue ich, sie ans Steuer gelassen zu haben. Die Beschleunigung presst mich in den Sitz hinein und mein Magen rebelliert sofort.
»Kannst du bitte wie ein normaler Mensch fahren?!«, fauche ich sie an.
Kurz schweigt sie und schmunzelt nur. »Ich muss mir den Motor anhören«, begründet sie den rasanten Fahrstil.
»Du kannst dir gleich meine Kotzerei anhören!«, schieße ich zurück, weshalb sie mich kurz ansieht und direkt vom Gas geht.
»Morgenübelkeit?«, fragt sie fürsorglich.
»Fliehkraftübelkeit!«
Ihre Augenbraue schießt in die Höhe. »So viel Power hat der hier gar nicht.«
»Genug, um meine Eingeweide auf der Rückbank wiederzufinden.«
»Wenn ich mit dem Mustang Gas gebe, stört es dich auch nicht«, kommt es fast schon trotzig von ihr, dennoch geht sie meiner Bitte nach und fährt nun anständig, bis sie die Autobahn wieder verlässt und auf einen angrenzenden Parkplatz fährt, der zu verschiedenen Läden gehört.
Eines davon ist Gott sei Dank eine Cafeteria, in die ich schnell hinein renne und die Damentoiletten aufsuche.»Babe?«, höre ich die besorgte Stimme meiner Frau, die mir gefolgt ist. Da ich noch nicht fertig bin, meinen Mageninhalt in die Kloschüssel zu befördern, findet sie mich auch, ohne dass ich ihr antworte.
»Ich bin doch jetzt anständig gefahren«, rechtfertigt sie sich, als sie sich zu mir in die Kabine begibt und sich zu mir kniet. Sanft streicht sie mir über den Rücken.
»Jetzt ...« Kurz halte ich inne, um meine Atmung wieder zu beruhigen, »war es Morgenübelkeit.«
Ich muss schmunzeln, als ich erkenne, wie sie erleichtert ausatmet und sich wieder entspannt.
Sie hilft mir beim Aufstehen und streichelt mir sanft über die Wange.
»Jetzt geht es mir wieder gut«, sage ich, gehe nach draußen und spüle meinen Mund mit Wasser aus. »Und wo wir schonmal hier sind ... wenn die Cupcakes haben, hätte ich gerne eins oder zwei.«
»Cupcakes?« In ihrer Bewegung, mir die Tür aufzuhalten, hält sie inne, sieht auf die imaginäre Uhr an ihrem Handgelenk und dann zu mir.
»Ich bin schwanger, ich darf das«, gebe ich beleidigt von mir.
»Du hast dich gerade überge... ach, was solls«, seufzt sie und öffnet schließlich die Tür, um mich nach draußen zu lassen.
Während sie mir also in der Cafeteria die Cupcakes kauft, gehe ich zu dem Cruze zurück, um schonmal den Sitz auf meine Beinlänge einzustellen.»Die haben keine Cupcakes«, spricht sie, als sie zurückkommt, hält mir alternativ aber einen Smoothie entgegen.
»Muffins?«
»Nope.«
»Bagels?«
Wortlos schüttelt sie den Kopf.
»Pancakes?«
»Auch nicht.«
»Was haben die denn dann, außer eklige Smoothies?« Denn in der Tat schmeckt er mir nicht, weshalb Jolene diesen wieder an sich nimmt und für mich leer trinkt. Ihrem Ausdruck nach schmeckt er zumindest ihr.
»Fisch, Sandwiches, Steaks, Salate ...«, zählt sie auf.
»Und dann nennen die sich Cafeteria?!« Soweit gehen meine Gelüste dann auch wieder nicht, als dass ich um diese Uhrzeit etwas deftiges Essen möchte. Deshalb steige ich einfach ins Auto und spiele mit dem eingebauten Navi herum.
Denn ganz sicher werde ich den Weg zurück zum Händler nicht über die Autobahn nehmen, sondern jenen durch die Stadt. Nicht nur, weil ich die Autobahn nicht mag, sondern weil ich das Auto in der Umgebung kennenlernen möchte, in der ich mich hauptsächlich bewegen werde. Nämlich in der Stadt. Mit Kreuzungen und Ampeln.Ich muss tatsächlich zugeben, dass sich der Cruze wirklich angenehm fahren lässt. Und mit der richtigen Sitzeinstellung kommt er mir auch von innen gar nicht so wuchtig vor.
Selbstverständlich machen sich die 80 PS mehr bemerkbar, aber er lässt sich dafür doch sehr gut händeln.
»Ich mag ihn«, gestehe ich und erhalte von Jolene lediglich ein Schmunzeln. »Und er ist wirklich geräumig.« Längst stehen wir wieder auf dem Hof des Autohauses, und ich begutachte nochmal den Innenraum. »Ich gebe klein bei. Wir nehmen ihn, aber nicht zu diesem Preis.«
Erneut schmunzelt Jolene und nähert sich mir. »Den Preis habe ich bereits verhandelt.«
»Wieviel?«
»Fünftausend«, antwortet sie und geht auf ein anderes Auto zu, das ihr ins Auge gesprungen ist.
»Er verkauft ihn für Fünftausend??«, frage ich irritiert.
»Nein, er ging fünftausend runter.«
»Nur?«
»Für ein zwei Jahre altes Autos mit wenig Meilen ist das viel«, erklärt sie und linst durch die Scheibe des Sportwagens. Obwohl ich sie nur von der Seite sehe, kann ich das Funkeln in ihren Augen erkennen.
»Ein Camaro LT4«, hören wir die Stimme des Verkäufers. »650 PS, 6,2 Liter Maschine und V8-Motor. Von 0 auf 100 in 3,5 Sekunden.«
Mein Blick schießt zurück zu Jolene, weil ich sie lustvoll raunen höre.
»Ich kann Ihnen ...«
»Nein!«, unterbreche ich den Händler direkt und wende mich dann Jolene zu. »Du kaufst dir keinen Camaro! Wir sind wegen dem Cruze hier«, erinnere ich sie.
Jolene nimmt einen tiefen Atemzug und sieht mich an. So ganz gefällt es ihr nicht, aber sie diskutiert nicht und geht mit mir zu 'meinem' Auto zurück.
»Und wie sieht es mit dem neuesten Tahoe aus? Sie könnten Ihren alten in Zahlung geben und ...«
»In Zahlung geben?«, unterbricht ihn Jolene schmunzelnd und wirkt, als wäre das ein lächerliches Angebot.
»Nun«, gibt der Händler irritiert von sich.
»Kein Interesse«, lehnt sie dann ab und deutet auf den Cruze, um ihn aufs eigentliche Geschäft zurückzulenken.Noch einmal versucht er mit dem Preis wieder höher zu gehen, aber Jolene hat ihn bereits genug erzogen, um ihre gewünschten Konditionen ohne große Anstrengung beizubehalten.
Er verspricht ihr sogar, den Wagen bis morgen Abholbereit zu haben: Registriert, zugelassen und versichert.
Dieses Angebot gefällt uns beiden, denn tatsächlich freue ich mich darauf, meinen neuen Flitzer durch die Straßen der Stadt lenken zu dürfen.Im Anschluss halten wir noch bei dem Schrottplatz an, auf dem mein Aveo gestern gelandet ist. Da bricht es mir dann doch wieder das Herz und die Sehnsucht kommt auf. Ich empfinde sogar so etwas wie Reue. Als würde ich ihn betrügen und im Stich lassen.
Meine Gefühle werden sogar so heftig, dass ich den Platz wieder verlassen und außer Sichtweite meines ehemaligen Autos gehen muss, um nicht vollkommen in Tränen auszubrechen.
Jolene überträgt dem Schrotthändler derweil das Eigentum und lässt sich dies schriftlich bestätigen, damit wir das Auto abmelden können.
Kurz habe ich mit dem Gedanken gespielt, das zu verhindern und Jolene dazu zu überreden, den Aveo mit nach Hause zu nehmen und ihn in einfach dort stehen lassen. Auch wenn er nicht mehr fahrtauglich ist, so würde er mir noch einen schönen Anblick bieten. Letztlich aber weiß ich selbst, wie bescheuert das ist und halte mich davon ab, Jolene diesen Vorschlag zu machen.
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Jolene (+Family)
Romance{ Teil 3 von 'Jolene' } Kinder haben ist nicht schwer - Kinder kriegen dagegen sehr. Oder war es andersrum? Für Cait ist es jedenfalls so. Seit gut einem Jahr versuchen sie und Jolene ein gemeinsames Baby zu bekommen, aber das Glück war ihnen bisher...