[Sechsunddreißig] - Ein perfektes Häuschen

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Chesters Augen leuchten freudig, als er nicht nur mich erkennt, sondern auch seine Oma.
Da sie heute die Besichtigung des Hauses hat, das sich in der Nähe seiner Schule befindet, haben wir vereinbart ihn auch von dort abzuholen.
Er hinterfragt nicht mal, wieso es nicht seine Mama ist, die ihn holt, sondern plappert direkt los, um von seinem Schultag zu berichten.
Ich komme nicht umhin, mir einzugestehen, dass dieser Schulwechsel wirklich etwas richtig Gutes gewesen ist. So viel hatte Chester nicht mal in einer Woche der alten Schule zu berichten, wie an einem Tag der Neuen.
Jeden Tag erlebt er etwas aufregendes und hat etwas zu berichten. Dadurch, dass die Kinder den Unterricht mitbestimmen- und gestalten dürfen, haben sie entsprechend wenig zu beklagen.
»Wo fahren wir hin?«, unterbricht er seine eigene Erzählung selbst, als er feststellt, dass wir nicht nach Hause fahren.
»Oma guckt sich ein Haus an«, antwortet meine Mutter und dreht sich zu ihm um.
»So nah an meiner Schule? Voll cool!« Freudig hüpft er auf und ab. »Darf ich Oma dann nach der Schule besuchen, Mom?«
»Hin und wieder«, antworte ich ihm.
»Voll cool!«, wiederholt er und sieht nun aus dem Fenster, um sich zu merken, wo wir sind und wie der Weg geht.

Schon auf den Fotos vom Exposé war zu sehen, dass dies kein großes Haus ist, aber dennoch all das bietet, was sich meine Mutter wünscht. Dass es nicht so riesig ist, gefällt ihr sogar, da es weniger Aufwand bedeutet, es sauber und ordentlich zu halten.
In erster Linie war ohnehin nur ein ebenerdiger Eingang die wichtigste Voraussetzung, damit sie mit ihrem Gefährt alleine rein und raus kann und somit auf niemanden angewiesen ist.
Ich bin unsagbar froh, dass meine Mutter einen wirklich leichten Rollstuhl hat, der sogar zusammengefaltet in den kleinen Kofferraum meines Chevis passt - zwar gerade so, aber er tut es. Gott sei Dank, denn sonst hätte ich den Tahoe fahren müssen.

Die Maklerin steht ebenfalls schon vor dem Haus und lächelt uns freudig zu. Offensichtlich erinnert sie sich noch an uns, denn sie bestaunt, wie groß Chester mittlerweile geworden ist.
Als wir uns unser Haus damals angesehen haben, war er immerhin noch ein kleiner Stöpsel von zwei Jahren gewesen und bevorzugte es, von mir getragen zu werden.
Mrs. Rosenberg öffnet die Haustür und entblößt damit den breiten und hellen Flur, in dem sich meine Mutter mit ihrem Rollstuhl tatsächlich ohne Probleme bewegen kann.
Von diesem geht es links in einen weiteren Flur, an den dann die drei Zimmer und ein Badezimmer grenzen. Ein weiteres Badezimmer ist vom Schlafzimmer aus erreichbar und bietet sogar eine ebenerdige Dusche - ebenfalls Ideal für meine Mutter.
Der Wohnraum ist tatsächlich so groß, wie auf den Bildern zu sehen war. Eine offene Küche grenzt direkt an diesen an und wird durch die Kücheninsel quasi etwas abgetrennt.
Von dieser aus geht es in einen kleinen Hauswirtschaftsraum, von dem aus es wiederum in die große Garage geht.
Die Terrasse nach draußen ist ebenfalls ebenerdig und sogar überdacht. Der Garten selbst ist groß und bietet viele Gestaltungsmöglichkeiten.
Meine Mutter schwärmt bereits jetzt schon von Hochbeeten in denen sie Gemüse anpflanzen kann. Aber auch Chester und unser zukünftiges Kind sollen hier ein Spielgerät bekommen, an dem sie sich ordentlich austoben können.
Die Maklerin schwärmt zusätzlich von der Nachbarschaft und berichtet, wie freundlich, offen und hilfsbereit sie hier untereinander alle sind - und auch, dass hier sogar zwei weitere deutsche Familien leben.
In den funkelnden Augen meiner Mutter kann ich sehen, wie sehr sie sich in dieses Haus verliebt hat, denn zusätzlich fallen nur kleinere Renovierungsarbeiten an, aber nichts großes und aufwendiges, weshalb vermutlich nicht viel Platz für Verhandlungen ist, was den Kaufpreis angeht.
Mrs. Rosenberg offenbart aber, dass der Verkäufer durchaus bereit ist, etwas runterzugehen.
Zunächst reagiert meine Mutter auf das Angebot nicht und scheint in Gedanken zu rechnen. Derweil sieht mich Mrs. Rosenberg musternd an, weshalb ich sie fragend ansehe.
»Möchte Ihre Frau dieses Haus auch noch sehen?« Die Art, wie sie das fragt ist sonderbar. Fast schon, als fürchte sie sich vor der Antwort.
»Weiß nicht. Wieso?«, frage ich unwissend.
»Um den Preis noch weiter zu drücken.« Ihrer Mimik entnehme ich, wie sie hofft, diese Konfrontation nicht noch einmal erleben zu müssen.
Innerlich muss ich lachen. Jolene hat damals bei unserem Haus wirklich hartnäckig verhandelt und die Maklerin ordentlich in die Verzweiflung getrieben, bis sie so weit mit dem Preis runter ist, wie Jolene es gewollt hat.
»Kann man den Preis denn noch weiter drücken?«, will ich deshalb schelmisch grinsend wissen. Wenn sie das nämlich so schon andeutet, scheint ja wohl noch mehr Verhandlungsspielraum vorhanden zu sein, als sie zunächst erwähnt hat.
»Nein«, sagt sie ganz schnell und versucht dabei standhaft zu wirken.
»Ich muss das eben mit meiner Tochter besprechen«, schaltet sich meine Mutter dann ein und bittet auf diese Art höflich, uns alleine zu lassen.
Freundlich nickt Mrs. Rosenberg und geht ins Haus zurück.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt