[Fünfundfünfzig] - Thanksgiving

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Während sich meine Mutter und Lupita um den Truthahn kümmern und für den Ofen vorbereiten, schnippeln Amber und ich sämtliche Sachen für die Beilagen.
Dabei berichtet Johnnys Mutter, dass sowohl das Federvieh aus eigener Zucht als auch das Gemüse aus dem eigenen Anbau stammen.
Bedeutet also, ich werde alles viel intensiver schmecken, weil es weniger mit irgendwelchen Mitteln künstlich aufgezogen wurde.
Allerdings muss ich wegen mancher Gerüche die große Küche verlassen und an die frische Luft gehen, weil mich sonst wieder die Übelkeit erreicht.
Mit einem erfrischenden und vor allem selbstgemachten Eistee gehe ich nach draußen und blicke in die Ferne, in der Hoffnung die Gruppe zurückkommen zu sehen, aber weit und breit ist nichts zu erkennen, außer das Flimmern der warmen Luft am Horizont.
»Cait«, höre ich Lupitas Stimme. Fürsorglich legt sie eine Hand auf meine Schulter und lächelt mir entgegen; und doch ist ihr Blick ein wenig musternd. »Erwartest du ein Kind?«, fragt sie vorsichtig, aber höflich mit ihrem mexikanischen Akzent.
Diese Frage kommt für mich überraschend, weil ich davon ausgegangen bin, dass ihr Johnny davon bereits berichtet hat. Immerhin ist er ja der biologische Vater.
»Ja«, antworte ich lächelnd, frage aber auch, woraus sie das geschlossen hat.
Zunächst lacht sie erheitert auf. »Ich habe sechs Kinder zur Welt gebracht. Ich sehe sowas.«
Natürlich.
»Du legst ständig deine Hand auf deinen Bauch - so wie jetzt gerade. Dadurch sieht man den kleinen Ansatz. Außerdem hat Chester heute morgen erzählt, dass seine Schwester endlich wächst.«
Sofort geht mein Blick nach unten. Tatsächlich ist es mir gar nicht bewusst gewesen, es die ganze Zeit gemacht zu haben.
Heute morgen war die Wölbung für mich so unscheinbar, weshalb ich mir ja auch gar nicht sicher war, sie wirklich zu sehen. Ist sie etwa doch größer und sichtbarer, als angenommen?
Natürlich kann ich einer solch erfahrenen Mutter nichts vormachen. Solche Frauen haben dafür ein besonderes Gespür. Lupita hätte meine Schwangerschaft vermutlich auch ohne meine Geste bemerkt.
Sie beginnt davon zu schwärmen, wie schön es sich anfühlt, das Kind heranwachsen zu spüren - vor allem, wenn es groß genug ist und man seine Bewegungen mitbekommt. Wie wichtig es ist, schon sehr früh mit dem Kleinen zu reden und den Bauch zu streicheln.
Ich muss schmunzeln, weil ich mir Jolene vorstelle, wie sie für unser Kleines singt, und wie ihre Stimme nicht nur besänftigend auf das Baby wirkt, sondern auch auf mich.
Es amüsiert mich ein wenig, wie Lupita versucht, mehr über das Zustandekommen meiner Schwangerschaft zu erfahren, sich aber nicht traut, konkret nachzufragen, aus Angst, unhöflich zu sein.
»Johnny ist der Vater«, beantworte ich ihr schließlich ihre unausgesprochene Frage. »Ich wollte, dass unser Kind mit Chester Blutsverwandt ist.«
»Mein John?«, fragt sie überrascht, aber auch stolz zugleich. Trotzdem huscht eine gewisse Skepsis durch ihr Gesicht. »Und es wird ein Mädchen??« Anscheinend hält sie das ebenso für unwahrscheinlich, wie der Rest unserer Freunde.
»Das wissen wir nicht«, antworte ich und erkläre ihr, wieso Chester immer von einer Schwester redet.
Daraufhin schmunzelt sie. »Die Männer in unserer Familie zeugen überwiegend männliche Nachkommen«, führt sie kichernd aus. »Mein Mann hat auch drei Brüder. Mein ältester Sohn und John haben drei Söhne, der Mittlere zwei. Und ich habe auch erst drei Jungs geboren, ehe ich endlich ein Mädchen bekam.«
»Na, dann stehen die Prognosen doch gar nicht so schlecht für ein Mädchen«, scherze ich.
Lupita lacht erneut und zieht mich plötzlich in ihre Arme. »Eine große Familie ist wunderschön, und ich freue mich, dass John unsere Familie durch euch noch größer werden lässt. Nicht nur durch die Kinder. Auch deine Familie ist so herzlich und liebenswert. Ihr alle seid jederzeit willkommen.«
Diese Aussage rührt mich und erneut muss ich gegen Tränen ankämpfen.
Ich nehme einen kräftigen Schluck von meinem Eistee, um die Emotionalität zu kaschieren.

Es dauert tatsächlich bis zum späten Nachmittag, bis die Reitergruppe zurückkehrt. Lupita erzählte mir, wie viel Hektar Land sie haben und es Stunden dauert, all die Zäune zu überprüfen und gegebenenfalls zu reparieren.
Schon aus der Entfernung kann ich erkennen, wie verschwitzt und dreckig die Körper aller sind, weil diese im Licht der Sonne auffällig glänzen.
Chester kommt als erstes auf mich zugerannt, nachdem ihn Jolene vom Pferd geholfen hat, und berichtet mir voller Euphorie, was sie alles getan und erlebt haben. Nicht nur mir berichtet er davon, er wendet seine Aufmerksamkeit auch meinem Bauch zu, um auch sein Geschwisterchen daran teilhaben zu lassen.
Jolene schmunzelt lediglich, als sie auf uns zukommt und begrüßt mich mit einem sanften Kuss auf die Wange, ehe sie ins Haus hineingeht, um sich zu duschen.
Ich folge den beiden, weil Chester mit seiner Erzählung noch nicht fertig ist und setze mich auf die Kloschüssel, während sich beide den Dreck vom Körper schäumen.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt