[Fünfundsechzig] - Let's Rock 'n Roll

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Zunächst schlendern wir gemütlich durch den Park, während die Bühnen noch von sämtlichen Schulbands besetzt sind, die das Mittagsprogramm füllen, bis die eigentlichen Bands ab sechs Uhr auftreten werden.
Neugierig studiere ich das heutige Abendprogramm auf dem kleinen Flyer in meinen Händen. Ich kenne so ziemlich keine Band, bis auf den Headliner des Abends. Eine Linkin Park Tribute Band aus Europa, die mir sogar nicht unbekannt ist.
Da aber auch Jolene die meisten Bands nicht kennt, brauche ich mich deshalb nicht ganz so schlecht fühlen. Immerhin ist sie eine laufende Wissensdatenbank der Musik.

Als die ersten Soundchecks der gebuchten Bands zu hören sind, nähern wir uns einer der drei Bühnen, auf der eine Band Namens Jetfighter 666 auftritt. Keiner von uns kennt die Jungs, aber laut dem Programmheft scheint es eine Band zu sein, die Musik mit Wums macht. Genau unser Geschmack also.
In die Menschenmenge vor der Bühne stürzen sich aber nur Amber und Morgan. Jolene bleibt bei mir und genießt einfach nur die Atmosphäre des Festivals - mich in ihren Armen, während wir der Band lauschen, die ordentlich die Bühne rockt und nicht zu viel versprochen hat.
Aber selbst wenn ich nicht schwanger wäre und mich ebenfalls in die Masse stürzen würde, würde Jolene hier an diesem Stehtisch stehen und warten, bis wir wieder zu ihr zurück kämen. Sie hasst Menschenmassen - und vor allem hasst sie unfreiwilligen Körperkontakt zu fremden Menschen.
Aber unser Platz ist optimal genug, um alles zu sehen und insbesondere zu hören. Vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, abseits der großen Boxen zu stehen. Der Bass hätte mich vermutlich in die Menge gefegt und einen unfreiwilligen Pogo ausgelöst. Abgesehen davon, dass ich danach vermutlich taub gewesen wäre.

»Jolene!«, hören wir dann eine männliche Stimme brüllen, als die Band ihren letzten Song beendet hat.
Brandon kommt wild winkend auf uns zugelaufen. Mit im Schlepptau einen uns unbekannten Mann, der verzweifelt aussieht.
Zur selben Zeit tauchen auch Morgan und Amber aus der Menge auf, die sich zu uns zurückgesellen und sehnsüchtige Schlücke aus ihren mit Bier gefüllten Plastikbechern nehmen.
»Ich wusste, ich würde dich hier irgendwo finden«, berichtet Brandon völlig außer Atem. »Ich suche dich schon seit einer Stunde und versuche, dich anzurufen.«
Verwundert fischt Jolene ihr Handy aus ihrer Hosentasche. Auf dem Display leuchten fünf verpasst Anrufe von Brandon auf.
»Was gibt's?«
»Das hier ist Danny, mein Cousin«, stellt er uns den Fremden vor. »Er ist einer der Organisatoren dieses Festivals und er hat gerade ein verdammt großes Problem.«
»Eine Band wird es nicht rechtzeitig zu ihrem Auftritt schaffen«, berichtet dieser Danny völlig abgehetzt. »Dadurch habe ich eine Lücke im Programm.«
»Und wieso ist das ein Problem? Verschiebt doch einfach die anderen Bands nach vorne, oder lasst sie noch zwei weitere Lieder singen, um den Zeitplan zu füllen«, schlägt Jolene vor.
»Das geht nicht«, lehnt Danny direkt ab. »Alles ist strikt getaktet. Eine Vorverlegung der Bands und weitere Songs, würde ein noch größeres Chaos verursachen.«
Jolene atmet tief durch. »Okay. Und wieso denkt ihr, ich könnte euch bei dem Problem helfen?«
»Ich habe ihm vorgeschlagen, dass wir einspringen könnten. Du, Ian, Cormack und ich«, beichtet Brandon etwas schüchtern und lächelt Jolene entschuldigend entgegen.
»Instrumente sind vorhanden. Ihr müsstet nur einen kurzen Soundcheck machen und ...«
»Nein«, unterbricht Jolene. »Du wirst dir eine andere Lösung einfallen lassen müssen.«
»Jolene ...« Brandon sieht sie flehend und hilfesuchend an. »Ian und Cormack sind dabei, sie warten bereits.« Er deutet zu der Bühne, auf der der Auftritt stattfinden soll.
»Ihr könnt das auch ohne mich.« Jolene zieht ihre rechte Augenbraue nach oben und verschränkt ihre Arme vor der Brust.
»Nein, können wir nicht. Du bist der Magnet«, versucht es Brandon weiter. »Wir brauchen deine Stimme da oben.«
»Ihr bekommt diesen Auftritt auch bezahlt«, fügt Danny hinzu. »Alle Künstler erhalten eine Gage.«
»Mir ist die Gage egal«, antwortet Jolene und ich erkenne an ihrer Stimme, dass es nicht mehr lange dauert, bis ihr der Geduldsfaden reißt. »Ich bin als Besucher hier und nicht, um auf der Bühne zu stehen und vor tausenden zu singen.«
»Komm schon, Jolene«, fleht Brandon erneut und sieht nervös zu der Bühne auf der sie auftreten sollen. »Die Band spielt gerade ihre letzte Zugabe. Danny bleibt nicht mehr viel Zeit. Wir müssten danach schon auf die Bühne.«
»Ja, komm schon, Jolene«, mischt sich Morgan frech grinsend ein und schlägt ihrer Cousine auffordernd auf die Schulter.
Jolene schenkt ihr zunächst einen bösen Blick, dann sieht sie mich an, als wolle sie meine Meinung dazu wissen.
Ich aber weiß auch nicht, was sie machen soll und schenke ihr mit einem entschuldigenden Lächeln ein Schulterzucken. Immerhin ist Brandon einer ihrer besten Freunde, der sie um Hilfe bittet. Noch dazu hätte ich tatsächlich nichts dagegen, meine Frau auch mal auf einer Bühne stehen zu sehen und nicht immer nur am Lagerfeuer.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt