[Siebenundneunzig] - Hochmut kommt vor dem Fall

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»Die Damen«, begrüßt uns der Senior und stellt sich zu uns, als wären wir seit Jahren gute Freunde. »Ich bin überrascht euch hier zu sehen, hatte eure Anwesenheit nicht erwartet.« Sein Blick wandert über jede einzelne von uns, bis er bei Jolene stehen bleibt. Obwohl er es freundlich ausspricht, zeigt sein Gesicht deutlich, wie überrascht und wenig begeistert er davon ist.
»Wo hatten Sie uns denn erwartet? Im Gefängnis etwa?«, entgegnet Jolene unterschwellig aber amüsiert.
Bilson lässt das unkommentiert, aber seine Mimik verrät trotzdem seine Gedanken.
Ehe er sich auf eine Unterhaltung mit Jolene einlässt, wendet er sich seinem Sohn zu, von dem er verlangt, jetzt gut zuzusehen und zu lernen.

»Mir ist zu Ohren gekommen, BNS soll Gelder veruntreut und Steuern hinterzogen haben. Wirklich fieses Gerücht. Sowas kann die ganze Existenz zerstören.« Er schüttelt den Kopf und tut, als wäre er fassungslos darüber.
»Sie meinen, es ist Ihnen aus dem Mund gekommen, anstatt in die Ohren«, korrigiert Jolene und erwidert sein überhebliches Grinsen.
Seine Augen funkeln, als sie ihm auf diese Art entgegenhält, durchaus zu wissen, wer für das ganze Dilemma verantwortlich ist.
»Wissen Sie, Mrs. Reid?«, beginnt er und schnalzt mit der Zunge. »Ich bin schon seit über 20 Jahren in dieser Branche tätig. Mit Ihrer naiven Überheblichkeit waren Sie von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Sie wissen einfach nicht, wie dieses Spiel funktioniert. Sie hätten auf Ihren Vater hören sollen, als er ihnen nahelegte, sich aus dieser Branche herauszuhalten und besser den Platz hinter dem Herd einzunehmen.« Sein Blick wandert zu mir und senkt sich zu meinem Bauch. »Ihre Frau könnte Ihre Unterstützung dort gut gebrauchen.«
Seine Worte sind nicht nur arrogant, sondern beleidigend, herablassend und diskriminierend. Aber damit legt er das offen, was Jolene bisher nur vermuten konnte: Bilson steht im Kontakt zum Admiral. Weshalb sonst hätte er des Admirals Worte so wiedergeben können?
Ich atme empört die Luft ein, spüre aber Jolenes Hand, die ihren Griff um meine Taille kurz festigt, um mir zu signalisieren, auf seine Provokation nicht zu reagieren.
Mein Blick hebt sich zu ihr und ich erkenne, wie unbeeindruckt sie von seinen Worten ist. Morgan verfolgt das ganze noch amüsiert und Amber tippt irgendwas in ihr Handy hinein und wirkt deshalb so, als würde sie sich wegen ihm langweilen. Respekt zollt ihm hier keiner.

»Warum denken Sie, dass ich gescheitert bin?«, fragt Jolene, ohne ihr amüsiertes Lächeln abzulegen.
»Ihr Ruf ist ruiniert. Ganz gleich, ob der Vorwurf stimmt, oder nicht.« Dann sieht er Morgan an. »Insbesondere die Kunden Ihrer Bank wird es nicht interessieren, ob es wahr ist oder nicht - die Skandale reichen aus. Veruntreuung, Steuerhinterziehung und eine Bankerin, die noch nichtmal einen Abschluss hat. Ihre Kunden werden ihr Geld sicherheitshalber woanders anlegen.« Er hält Morgans durchdringenden Blick stand und erwidert diesen sogar. »Aber keine Sorge, mein Sohn Wilson wird dafür sorgen, dass BNS erhalten bleibt.« Bedeutend klopft er diesem auf die Schulter.
»Wirklich?«, fragt Morgan und lacht. »Wilson Bilson? Wie oft wurdest du in der Schule dafür verprügelt?«
Wilson möchte darauf antworten, wird aber von seinem Vater davon abgehalten.

»Wissen Sie, Bilson?«, kontert Jolene jetzt und setzt ein ebenso überhebliches Schmunzeln auf. »Mein Vater hat mich durchaus etwas gelehrt, das in Strategiespielen besonders nützlich ist: Stets schnell, aber wohlüberlegt zu handeln.«
Bilson lacht laut und hämisch auf. »Strategiespiel? Denken Sie, wir spielen hier Schach?«
»Etwa nicht?«, fragt Jolene amüsiert. »Sie wollen meinen König zu Fall bringen, und ich Ihren.«
»Na, wenn das so ist«, gibt er lachend von sich. »Dann sollten Sie ja mitbekommen haben, dass ich Sie mit bereits drei Zügen Schachmatt gesetzt habe.«
»Nein, das haben Sie nicht«, entgegnet Jolene gelassen.
Das Lachen verschwindet aus Bilsons Gesicht und seine Augenbrauen schieben sich zusammen. »Mein erster Zug: Ich habe Aktien Ihrer Unternehmen gekauft und dadurch nicht nur Anteile erlangt, sondern auch deren Wert gesteigert. Mein zweiter Zug: Ich habe Ihren Unternehmen Angebote gemacht, die sie nicht ausschlagen können. Und mein dritter Zug: Ich habe der Schlange den Kopf abgeschlagen.« Er grinst siegessicher. Sein letzter Punkt ist eindeutig auf seine letzte Aktion gemünzt, wegen der Morgan und Jolene im Gefängnis saßen. »Schach-Matt. In nur drei Zügen.« Mit einem Grinsen führt er das Martiniglas an seine Lippen.
»Ich würde Ihnen Recht geben, wenn Sie denn Recht hätten, Bilson«, antwortet Jolene unbeeindruckt. »Aber Sie haben keine einzige Aktie meiner Unternehmen«, weist sie zunächst seinen ersten Zug ab. »Auch wird keines meiner Unternehmen eines Ihrer Angebote annehmen. Und drittens ...« Sie deutet mit dem Zeigefinger auf ihr Gesicht. »Die Schlange hat noch immer einen Kopf.«
Bilson übt sich sichtbar in Beherrschung. Seine Fassade bröckelt, dennoch versucht er, Haltung zu bewahren und behält sein Grinsen aufrecht.
»Dafür haben Sie nicht mitbekommen, wie ich Sie mit nur zwei Zügen Schachmatt gesetzt habe.« Sie neigt ein wenig ihren Kopf, während sie seine Reaktion mustert.
Erneut lacht er auf. »Schachmatt in zwei Zügen ist unmöglich.«
»Nicht, wenn der Gegner besonders dumm ist«, antwortet sie und führt ihrerseits ihr Glas an ihre Lippen. Ihre Worte provozieren ihn.
Wieder versucht er, sein Gesicht zu wahren, dennoch erkenne ich die Ader auf seiner Stirn, die sich deutlich unter seiner Haut hervor drückt.
»Sie waren viel zu sehr auf meinen König fixiert. Während Sie ihre 3 Züge gemacht haben, habe ich lediglich meinen Bauern von E7 auf E5 gestellt - nämlich Ihre Züge beobachtet und alle nötigen Informationen über Sie gesammelt.«
»Was bringt Ihnen der eine Bauer?«, fragt er abfällig und schüttelt verständnislos den Kopf.
Jolene sieht zu Amber, die ihr zunickt, bevor sie seine Frage beantwortet. »Er macht den Weg für die Königin frei.« Ihr Schmunzeln verebbt und ihr Ausdruck wird ernst. »D8 auf H4.« Sie deutet zum Eingang des Saals, durch den plötzlich ein Haufen Leute hereinkommen.
Ambers Ex-Mann Terance, neben ihm Heather, gefolgt von General Harvey, den Officers des NCIS, vier uniformierte Polizisten, sowie einem Mann und einer Frau, die sich als Agenten des FBIs entpuppen.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt