[Fünfundsiebzig] - Hodor.exe

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Ambers Äußerungen über ihren Unmut scheint aber auch Jolene erreicht zu haben, denn sie hat bereits einen Tag später ihre Spätschicht nach Hause verlagert und arbeitet jetzt von dort.
Zuvor befürchtete sie, zu sehr abgelenkt zu werden, wenn sie die zweite Schicht des Tages von zu Hause aus arbeitet, aber Chester hat verstanden, seine Mama in dieser Zeit in Ruhe zu lassen und ich verwöhne sie lediglich mit frischem Kaffee, wenn ihre Tasse leer ist.
Tatsächlich legt sie dann sogar eine Pause ein, in der sie Chester zu Bett bringt und ihm etwas vorsingt, oder liest - so, wie unsere Routine auch eigentlich ist.
Im Anschluss nimmt sie sich dann sogar auch ein paar Minuten für mich, in denen sie mir ein wenig Liebe schenkt.
So wie jetzt.
Ihr Kuss ist zärtlich und liebevoll, wird aber vom Klingeln ihres Handys unterbrochen. Zunächst ignoriert sie das, weil sie nicht aufhören will, raunt dann aber unzufrieden, als der Anrufer hartnäckig bleibt.
Nareshs Name leuchtet auf dem Display. Sie drückt den Anruf weg, setzt ihr Headset auf und aktiviert es.
»Sprich«, fordert sie mit strenger, unzufriedener Stimme.
Ungehindert hält sie mich im Arm, aber ihr Blick wirkt, als würde sie durch mich hindurch sehen, während sie ihm zuhört.
Plötzlich lässt sie mich los, eilt zu ihrem Arbeitsplatz und stützt sich auf den Tisch. Schnell klickt sie mit der Maus herum und ihre Augen rasen über den Monitor, der sich in ihnen spiegelt.
»Wo?«, fragt sie und klickt wieder wild herum.
Von Neugier getrieben stelle ich mich zu ihr. Ich kann zwar mit diesen Logs nichts anfangen und ganz sicher nicht das sehen, was Jolene sieht, aber doch interessiert es mich, was sie mit Hilfe von Naresh gleich findet.
Diesen kann ich sogar auf dem Monitor sehen, ebenso auch all die anderen, die in der Spätschicht sind. Unter anderem auch Ian, Cormack und sogar mein Bruder. Ich bin wahrlich überrascht, ihn in dieser Runde zu sehen. Anscheinend hat er sich mittlerweile bewiesen, weil er Jolene bei der ganzen Sache hier helfen darf.
Diese hat ihre Kamera offensichtlich auch an, weil Naresh plötzlich grinst und mich mit einem Winken euphorisch begrüßt.
Aus Höflichkeit grüße ich winkend zurück.
»Naresh«, sagt Jolene in einem dunkleren Ton. »Augen von meiner Frau!«
Der reagiert sofort und ich erkenne, wie sein Fokus zum Wesentlichen zurückkehrt. In seiner Brille spiegelt sich die helle Schrift auf dunklem Grund.
»Du hättest mich vorwarnen können«, murmle ich Jolene entgegen. Denn hätte ich gewusst, dass sie ihre Kamera eingeschaltet hat, hätte ich mich nicht so neben sie gestellt.
Jolene stellt ihr Mikrofon stumm und sieht mich an.
»Sie arbeiten konzentrierter, wenn sie wissen, ich sehe sie«, erklärt sie mir schmunzelnd, haucht mir einen kurzen Kuss auf die Lippen und wendet sich wieder ihrem Monitor zu. Zuvor legt sie das Headset ab und schaltet den Ton auf die Lautsprecher um.
Jetzt kann ich auch hören, was die anderen so sagen.

»Wir haben es offensichtlich mit einem Game of Thrones Fan zu tun«, sagt Ian. »Die Befehle sind alles Zitate und Namen von Protagonisten.«
»Ein richtiger Scherzkeks also«, sagt Jolene und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Komm schon, Jolene«, spricht er kichernd. »Ist schon wahnsinnig kreativ, den Trojaner Hodor zu nennen.«
»Das ist nicht wahnsinnig kreativ, sondern wahnsinnig dumm«, antwortet sie und setzt sich wieder auf ihren Stuhl. Auf dem linken Monitor öffnet sie ein anderes Fenster und dort einen Chat, in den sie die Informationen hinein tippt, die sie durch die Recherche mit ihrem Team herausgefunden hat.
»Dafür wahnsinnig gut für uns«, sagt Cormack.
»Was ist Game of Thrones?«, fragt Naresh unwissend und erhält empörte und spöttische Reaktionen aus dem Team.
»Eine Serie und Buchreihe, in der einfach alles und jeder stirbt«, erklärt Ian.
»Bitte nicht spoilern, ich bin erst bei Staffel 5!«, vermeldet Cormack.
»Erst bei Staffel 5?«, fragt Ian entsetzt. »Unter welchem Stein bist du denn hervorgekrochen?«
»Unter dem, unter dem Naresh noch sitzt«, schießt Cormack zurück.
»Ich hab' so gelitten, als die Drachen gestorben sind«, sagt Karen, eine der wenigen Frauen bei BNS, und neben Jolene die einzige in dieser Runde.
»Ja!«, stimme ich ihr direkt zu. »Vor allem Drogon tat mir so leid.«
Von Jolene erhalte ich wegen meiner Aussage einen skeptischen Blick mit hochgezogener Augenbraue.
»Die Drachen sterben??«, fragt Cormack laut und entsetzt dazwischen. »Ihr sollt mich nicht spoilern!« Aufgebracht verschränkt er seine muskulösen Arme vor der Brust und zieht einen Schmollmund wie ein Fünfjähriger. In diesem Moment kann ich sowas von Kyle in ihm sehen, wenn der seine Lippen zu einer Schnute verzieht.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt