[Vierundvierzig] - Ein kleines Wunder

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In der Nacht werde ich - mal wieder - von meiner Blase geweckt. Nach einem Blick auf die Uhr, empfinde ich es diesmal aber nicht als schlimm, denn in drei Minuten wäre ohnehin mein Wecker gegangen. Nur noch zehn Minuten, dann ist es zwölf in der Nacht und ich kann meiner Frau zum Geburtstag gratulieren.
Sanft streiche ich ihr über das Gesicht, als ich aus dem Bad zurück gekommen und zu ihr ins Bett gekrabbelt bin. »Mein feuchter Traum«, hauche ich ihr nebenbei ins Ohr.
Ich brauche nicht lange, bis sie ihre Augen aufschlägt und mich ansieht, denn seit ich schwanger bin, hat auch sie einen viel leichteren Schlaf, als sonst.
Ruckartig erhebt sich Jolene und sieht mich etwas panisch an. »Stimmt was nicht??«, fragt sie und legt ihre Hand auf meinen Bauch.
Diese Reaktion bringt mich zum lachen. »Nein«, sage ich, drücke sie ins Bett zurück und setze mich auf ihre Hüfte. »Alles ist in Ordnung«, beschwichtige ich sie und streichle ihr erneut über die Wange.
»Warum weckst du mich dann?«, brummt sie und schiebt ihre Augenbrauen zusammen.
Ungehindert sehe ich in ihre Augen und lächle sie an; meine Hände wandern sanft über ihren Oberkörper. »Weil ich die Erste sein will, die dir zum Geburtstag gratuliert.« Ich beuge mich erneut zu ihr. »Und jeder der mir jetzt zuvorkommt, wird sterben«, hauche ich bedrohlich.
Jolene reißt die Augen auf. Entweder sie ist noch zu müde, um zu begreifen, was ich hier gerade mache, oder aber sie ist einfach nur überfordert.
Dann aber scheint sie es zu begreifen und lacht. »Du bist verrückt. Das war dir sonst auch nie so wichtig.«
»Weil es bisher nie so wichtig war, wie jetzt«, argumentiere ich, werfe einen letzten Blick auf die Uhr und beuge mich dann zu ihr. »Alles Gute zum Geburtstag«, hauche ich, bevor ich meine Lippen auf ihre lege und sie für einen innigen und gefühlvollen Kuss vereine.
Bevor meine Lust aber ins unermessliche steigt, weil Jolenes Hände ihre Wanderung über meinen nackten Körper beginnen, unterbreche ich den Kuss.
Ihre Augenbrauen schieben sich zusammen und ihre Unterlippe schiebt sich leicht nach vorne. »Da weckst du mich, bringst mich in Fahrt und dann ...«
»Halt den Mund«, sage ich schmunzelnd, strecke mich zu meinem Nachttisch und ziehe aus dessen Schublade einen Umschlag hervor, den ich ihr nun entgegen halte.
Jetzt hebt sich ihre rechte Augenbraue.
»Sieh rein«, fordere ich sie auf und verdrehe leicht meine Augen.

Jolene bewegt sich und begibt sich in eine bequemere, sitzende Position. Ich lasse sie gewähren, bleibe aber auf ihr sitzen und beobachte jede noch so kleine Mimik in ihrem Gesicht, während sie den Umschlag öffnet.
Ihre Augen weiten sich und sie sieht mich überrascht an. »Ich dachte, du ...«, beginnt sie und stoppt, als sie mein Grinsen sieht.
»Konnte es ja schlecht verraten, sonst wäre es keine Überraschung gewesen«, antworte ich und beuge mich ihr wieder leicht entgegen.
In dem Umschlag befindet sich der Termin für die erste richtige Ultraschalluntersuchung unseres Kindes. Und diese Untersuchung findet heute, an ihrem Geburtstag, statt.
»Es ist dein Tag, was käme da besser, als den Herzschlag unseres Kindes zum ersten Mal zu sehen und zu hören?«, flüstere ich ihr zu.
Diese wunderschönen grünen Augen beginnen zu funkeln, aber ich kann nicht ganz bestimmen, ob sie es tun, weil sie Jolenes Freude zeigen, oder weil sie davon gerührt ist und gegen Tränen ankämpft.
Ohne ein Wort zu sagen, zieht sie mich wieder zu sich, um sich mit einem innigen Kuss zu bedanken. Plötzlich packt sie mich an der Hüfte und dreht mich ruckartig auf den Rücken.
»Alle Worte der Welt reichen nicht aus, dir zu sagen, wie sehr ich dich liebe«, flüstert sie, als sie unseren Lippen eine Pause gönnt.
»Du brauchst nicht mal ein einziges Wort. Dein Blick reicht aus«, wiederhole ich die Worte, die sie einst zu mir sagte.
Das bringt sie zum Lachen, weil sie sich genauso daran erinnert.
Sie stoppt unsere kurzweilige Leidenschaft, setzt sich wieder auf und greift nach dem Umschlag. »Das wird mein nächstes Tattoo«, sagt sie und hält den Termin bedeutend nach oben.
Ich muss deshalb lachen, weil es so unvorbereitet kam und richte mich auch ein wenig auf; stütze mich auf meine Ellenbogen. »Wo willst du es hinhaben?«
Wortlos deutet sie auf die Stelle unter ihrer linken Brust, wo sie bereits die Symbole der Sternzeichen von Chester und mir tätowiert hat. Jenes unseres Kindes wird ebenso einen Platz dort bekommen.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt