[Zwölf] - Überstimmt

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Seit gefühlt fünf Minuten bemerke ich den Blick, den ich von Jessica bekomme.
»Sprich es aus«, fordere ich dann von ihr und verdrehe leicht die Augen. Ich weiß, was sie wissen möchte, aber sie ist sich unsicher, ob sie es ansprechen kann. Immerhin weiß sie vom Barbecue-Abend, wie empfindlich das Thema ist.
»Wie geht es dir?«, will sie zunächst wissen und deutet auf meinen Bauch; deutet damit an, meinen Zustand zu meinen.
»Besser.«
»Wann werdet ihr es wieder versuchen?« Diese Frage stellt sie sehr vorsichtig, weil sie nicht neugierig und aufdringlich wirken möchte.
Meine Reaktion scheint unbeabsichtigt negativ zu sein, denn Jessica weicht direkt zurück und entschuldigt sich, das gefragt zu haben.
Allerdings ist es nicht die Frage selbst, die mich gestört hat. Viel mehr ist es, weil auch ich gerade nicht weiß, wie es weitergehen wird und ihr diese Frage daher gar nicht beantworten kann. Meiner Meinung nach ist das zwischen Jolene und mir noch nicht ausgesprochen; schließlich haben wir noch keine Lösung gefunden. Wir haben nicht mal über Kompromisse geredet, und so lange das alles so leer im Raum steht, kann ich nicht mal mir selbst eine Antwort auf diese Frage geben.

»Cait will Johnny als Spender«, kommt es unerwartet von Jolene; ihre Stimme und ihr Ausdruck dabei kühl und fast schon gleichgültig. Man hört deutlich heraus, dass dies nicht in ihrem Interesse ist.
Geschockt sehe ich sie an, denn immerhin haben nicht mal wir beide eine Einigung gefunden, und ehe ich nicht ihre Zustimmung habe, wollte ich das bei Jessica und Johnny gar nicht ansprechen. Wieso also tut sie es? Und vor allem ohne Rücksprache mit mir zu halten?
Das fühlt sich für mich gerade wie ein Messer im Rücken an, das zudem auch noch das Herz durchbohrt hat.
Ich spanne sämtliche Muskeln in meinem Gesicht an, um zu verhindern, dass mir die Tränen kommen. Und am liebsten würde ich aufstehen und einfach gehen.
Sie verletzt mich damit nicht nur, sie macht mich auch wütend.

Selbst Johnny und Jessica scheinen geschockt über diese Aussage. Zumindest deute ich deren Schweigen so, denn ansehen kann ich sie nicht, weil ich deren Blicke ganz sicher nicht ertragen könnte.
»Wieso eigentlich nicht?«, kommt es plötzlich von Jessica. »Es ist im Grunde naheliegend.«
Überrascht hebe ich meinen Blick und sehe sie nun doch an. Dabei finde ich ein Grinsen auf Johnnys Gesicht, während Jessica zu überlegen scheint. »Chester und euer Kind wären dann richtige Geschwister.« Auch sie hat da wohl direkt denselben Gedanken, wie ich.
»Ich mache gerne mit«, gibt Johnny sein Einverständnis.
Vorsichtig sehe ich zu Jolene, um zu sehen, wie sie auf deren Reaktion reagiert, aber sie gibt ihre Gedanken nicht preis. Ihr Ausdruck ist versteinert und emotionslos, sie lässt einfach nicht erkennen, was sie empfindet.
»Oh, vielleicht schaffe ich es ja, mit Cait ein Mädchen zu bekommen!?«, sinniert Johnny fröhlich.
Jetzt reagiert dann auch Jolene, wenn auch kaum zu erkennen. Aber ihre Augenbrauen haben sich bewegt und auch ihre Kiefermuskeln zuckten, weil sie ihre Zähne aufeinander beißt.
Die Aussage von Johnny schmeckt ihr überhaupt nicht.
»Als ob!«, lacht Jessica und schlägt ihrem Mann gegen die Schulter. »Du bist kein Büchsenmacher!«
»Aber Caits Talent, sich durchzusetzen kann vielleicht helfen!«, grinst er weiter. »Ich hätte wirklich gerne ein Mädchen. Und alle guten Dinge sind drei, sagt man doch.«
»Du wirst gar nichts haben«, kommt es nun von Jolene. »Maximal machen«, betont sie und macht ihm direkt klar, was seine Aufgabe dabei wäre. »Du hast keine Ansprüche und auch keine Rechte.«
Erneut sehe ich sie geschockt an, weil sie solch einen Ton auflegt.

Meine Gedanken sind das reinste Chaos. Was soll das hier jetzt? Was hat Jolene vor und wieso tut sie das? Hat sie sich damit erhofft, dass Johnny nein sagt? Oder ist sie letztlich doch einverstanden?
Nicht mal mich lässt sie wissen, was in ihrem Kopf vor sich geht und am liebsten würde ich sie zur Rede stellen. Aber ich möchte das nicht im Beisein der anderen ausfechten, weshalb ich ihr Handeln zunächst toleriere. Dennoch sehe ich jetzt schon die Fetzen fliegen, sobald wir alleine sind.
»So war das nicht gemeint«, rudert Johnny beschwichtigend zurück. »Ich wollte damit nur sagen, dass ich mich freuen würde, wenn ...«
»Ich weiß, was du meintest«, unterbricht sie ihn.
»Jolene.« Jetzt wird seine Stimme dunkel und sein Blick ernst. Eine Seite von Johnny, die man nur selten zu Gesicht bekommt. Er steht auf, holt aus dem Kühlschrank zwei Flaschen Bier und stellt eine vor Jolene.
Vorsichtig sehe ich diese an und muss tief schlucken. Denn ich weiß, dass sie es gar nicht mag, wenn man ihr so die Stirn bietet.
»Mir ist bewusst, dass dieses Kind unter anderen Umständen und Voraussetzungen gezeugt werden würde, als es bei Chester war. Mir ist auch bewusst, dass ich dann weder Ansprüche, Rechte oder Pflichten haben werde. Dennoch werde ich für dieses Kind genauso da sein, wie für Chester. Erwarte von mir also nicht, dass ich es ignorieren werde, während Chester in vollen Zügen seinen Vater genießen darf.
Aber ich verspreche dir, mich in die Erziehung nicht einzumischen. Nicht in die Schulauswahl, oder mit wem es befreundet sein darf. Ich habe mich auch bei Chester dahingehend zurückgehalten, weil ich weiß, dass er bei dir und Cait in verdammt guten Händen ist und ich mir keine Sorgen machen brauche, dass ihr schlechte Entscheidungen trefft.«
Ich bin über diese Ansage durchaus verblüfft - und Jessica offensichtlich auch. Nur Jolene bleibt unbekümmert und hält seinem Blick stand.
»Es ist und bleibt euer Kind. Ebenso Chester. Ich nehme nur die Rolle ein, wenn ich sie einnehmen muss«, fügt er noch hinzu. »Du weißt, dass ich nichts über deinen Kopf hinweg entscheide, was Chester betrifft. Und über euer Kind werde ich gar nichts entscheiden. Aber ich werde es auch nicht belügen.«

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt