[Dreiundvierzig] - Die Sache mit der Genetik

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Bei CaddySign steht endlich der große Umzug an. Die Maler sind fertig und die Räumlichkeiten nach unserem Corporate Design gestrichen.
Das gesamte Team packt mit an und auch Dennis, Brandon und Cormack sind mit dabei, um die Möbel zu schleppen und aufzubauen. Ian und Naresh sorgen für die richtige Verkabelung und das Einrichten des Netzwerkes.
Jolene habe ich bewusst verboten, dabei zu sein, damit ihre Jungs ungestört arbeiten können; immerhin ist sie ihnen gegenüber nachwievor sehr forsch.
Dennoch hat sie geschworen unser Netzwerk noch einmal zu überprüfen, um sicher zu gehen, dass Ian und Naresh ordentlich gearbeitet und wir keine Sicherheitslücke haben.
Aktiv mit anpacken darf ich aber nicht. Das wissen Ian und Naddy stets zu verhindern. Darum helfe ich meiner Mutter beim Dirigieren, wo welches Möbelstück stehen, wo welcher Bilderrahmen hängen und wo welche Pflanze platziert werden soll.
Die nächsten Wochen sind voll mit Terminen, denn nun können wir mit der Einstellung von neuen Mitarbeitern beginnen. Nicht nur für uns, sondern auch für die Marketing-Abteilung von Jolene, die von meiner Mutter geleitet wird. Wobei diese beiden sich mit dem Einstellen auseinandersetzen müssen, dennoch wird es in unseren Räumen stattfinden und deshalb wird es hier sehr rege zugehen.

Es ist halb fünf am Nachmittag, als ich mit meiner Mutter nach Hause komme.
Im Garten scheint Chester mit meinem Bruder Baseball zu spielen, denn seine freudige Stimme, als auch das Geräusch von einem Ball, der auf den Schläger trifft dringt zu uns nach vorne vors Haus.
Meine Vermutung bestätigt sich, als ich dann im Haus bin und aus der Terrassentür nach draußen sehe.
»Wie viele Bälle sind schon im Ozean gelandet?«, frage ich gequält. Denn Chester schwingt den Schläger mit Effet, um den Ball so fest zu treffen, wie es ihm möglich ist.
In die andere Richtung darf er aber auch nicht spielen, weil sich dort das Carport befindet, in denen Jolene den Dodge, den Hummer und den Tahoe parkt, während ihre sportlichen Autos einen Platz in der Garage haben.
»Zwei«, antwortet Jolene, die in der Küche steht und das Abendessen vorbereitet.
Geschockt drehe ich mich um und sehe sie an. Eigentlich war meine Frage nur ein Scherz gewesen, auch wenn es gar nicht abwegig ist, denn immerhin liegen schon unzählige Bälle auf dem Grund des Ozeans hinter unserem Haus.
Uns ist es aber lieber immer neue Bälle zu kaufen, als wenn wir ständig die Fenster der Nachbarn bezahlen müssten, oder Jolenes geliebte Autos etwas abbekommen.

»Was kochst du da?«, frage ich sie und nähere mich ihr, um in den Topf zu linsen. Aber soweit komme ich gar nicht, weil sich mein Mageninhalt hebt und ich ins Badezimmer eile.
Ich kenne den Geruch und eigentlich liebe ich ihn, aber anscheinend sorgen die Umstände nun dafür, mich davon angeekelt zu fühlen.
»Makkaroni und Käse«, antwortet Jolene, als sie zu mir kommt und sich neben mich kniet.
Nur diese Antwort reicht schon aus, mich ein zweites Mal zu übergeben. Offensichtlich reicht nur die Vorstellung schon. »Babe?« Fürsorglich streicht mir Jolene über den Rücken.
Makkaroni mit Käse sind neben der Pizza meine Leibspeise. Es deprimiert mich, dass ausgerechnet dieses Gericht für Übelkeit sorgt.
»Soll ich was anderes kochen?«, fragt sie mit sanfter Stimme und streicht mir ungehindert beruhigend über den Rücken.
»Nein.« Ich schüttle den Kopf und nehme einen tiefen Atemzug, um mich zu beruhigen. »Nenn es nur nicht beim Namen«, bitte ich sie. »Und ich darf nicht durch die Nase atmen.«
Jolene stößt nur ein missmutiges Raunen aus und hilft mir wieder auf die Beine. Ich weiß genau, sie würde das Essen am liebsten entsorgen und etwas anderes kochen, aber das empfinde ich als unnötig. Nur wegen mir soll niemand auf etwas verzichten müssen.
Ich werde trotzdem davon essen, vielleicht schmeckt es besser, als es für mich riecht.

»Wann machen wir einen Termin beim Arzt?« Noch immer streicht sie mir über den Rücken, während ich mir den Mund ausspüle und kaltes Wasser ins Gesicht schlage. »Für die Untersuchung«, fügt sie noch hinzu.
»Weiß nicht«, antworte ich schulterzuckend und wische mir das Gesicht mit dem Handtuch trocken. »Hältst du es für nötig?«, frage ich schmunzelnd und deute auf das Geschehen eben hin.
»Schon«, antwortet sie und bleibt ernst.
»Nächste Woche oder so?«
»Wie wär's mit: Noch diese Woche?«, betont sie und hebt eine Augenbraue. »Oder fürchtest du dich?«
Jetzt bin ich diejenige, die ihre Augenbraue hebt und deute auf die Toilette. »Wovor sollte ich mich denn fürchten? Ich bezweifle, dass mich die Käsemakka...« Wegen des plötzlichen Würgens muss ich meinen Satz unterbrechen und konzentriere mich, um mich kein drittes Mal zu übergeben.
»Cait.«
»Jolene!« Ich hebe den Finger und verbiete ihr das Reden. »Ich muss ständig pinkeln. Vor allem Nachts treibt mich meine Blase in den Wahnsinn. Du weißt das, denn du wirst jedes Mal auch wach«, beginne ich die Fakten auf den Tisch zu legen. »Meine Brüste sind gewachsen und spannen. Und dank meiner Hormone bin ich auch noch übermäßig emotional.«
»Du bist immer emotional«, spricht sie schmunzelnd dazwischen.
Ich nehme einen tiefen Atemzug und funkle sie an, um ihr mitzuteilen, mit meiner Rede noch nicht fertig zu sein. »Ich muss kotzen. Jeden Tag - mehrmals. Am schlimmsten ist es, wenn ich Kaffee rieche. Kaffee, Jolene! Kaffee!! Ich liebe Kaffee! Und eigentlich liebe ich den Geruch von Kaffee!«
Warum auch immer, aber es wühlt mich so auf, dass mir die Tränen in die Augen steigen und mich Jolene direkt wieder in den Arm nimmt. »Ich vermisse den Kaffee«, schluchze ich in ihre Schulter hinein.
»Du kannst entkoff...«
»Entkoffeinierter Kaffee schmeckt selbst schwanger scheiße!«, fauche ich sie an und stoße sie ein wenig von mir. »Sobald ich dieses Kind geboren habe, möchte ich Kaffee!«
»Du solltest nach der Geburt noch keinen Kaff...«
»Sobald nur noch du an meiner Brust nuckelst, will ich wieder richtigen Kaffee trinken! Und wehe, er widert mich dann immer noch an!«
Zunächst sieht mich Jolene fassungslos an, muss dann aber lachen. »Und wenn er es doch tut?«
»Ist die gesamte Menschheit in Gefahr.«
Erneut lacht Jolene und zieht mich in ihre Arme. »Ich liebe dich, Mrs. Reid«, flüstert sie und drückt ihre Lippen auf meine Stirn.

Am liebsten würde ich sagen, sie hat keine Ahnung, wie frustrierend es ist, aber sie war vor etwa sechs Jahren selbst in dieser Situation und kann es gewiss entsprechend nachempfinden.
Andererseits erzählte sie mal, mit wenig Symptomen durch ihre Schwangerschaft gegangen zu sein. Die Übelkeit hätte sich bei ihr in Grenzen gehalten, sie hatte keine Stimmungsschwankungen und auch keine Heißhungerattacken. Dafür beneide ich sie, ehrlich gesagt.
Zwar zeigen mir diese Begleiterscheinungen, immer noch in guten Umständen zu sein, was mich sehr freut, aber trotzdem wünschte ich mir, sie wären nicht so ausgeprägt. Inständig hoffe ich, es reduziert sich im Laufe der Zeit und ich kann meine Schwangerschaft dann wirklich genießen. Ich möchte nicht die gesamten neun Monate mehrmals täglich etliche Minuten vor oder auf einer Kloschüssel verbringen, und ebensowenig möchte ich ständig wegen jeder Kleinigkeit heulen.
Ich kann auch damit leben manche Gerüche, die ich sehr mag, nicht mehr zu mögen - so lange ich mich deswegen nicht übergeben muss.
Mir war durchaus klar, was auf mich zukommen könnte, wenn ich schwanger bin, aber ich habe es mir trotzdem etwas einfacher und schöner vorgestellt.
Unwillkürlich lege ich meine Hand auf meinen Bauch und sehe darauf hinab. In Gedanken bitte ich das kleine Wesen, es mir nicht ganz so schwer zu machen - und vor allem auch, kein Turner zu werden, damit ich nachts wenigstens durchschlafen kann. Immerhin wird es mir nach der Geburt noch genügend Schlaf rauben, da kann es mir doch im Vorfeld wenigstens das gönnen.
Meine Gedanken formen sich weiter. Ich bin wirklich gespannt, wie es aussehen wird. Ein wenig bedauere ich, dass es keinerlei Ähnlichkeit zu Jolene haben wird. Sie hat ein so hübsches Gesicht, das sich auch bei Chester wiederfindet. Es wäre so schön, wenn unser Kind dieselben grünen Augen hätte, wie Jolene sie hat. Es ist einfach ein so schönes und intensives Grün.
Johnny hat ebenfalls grüne Augen, aber seine sind um einiges heller und tendieren sogar ein wenig zu blau. Aber vielleicht reicht es ja aus, damit unser Kind auch grüne Augen bekommt.
Allerdings bezweifle ich das, denn ich habe blaue Augen, entsprechend ist dieser Anteil höher.
Jolene sieht das ganze natürlich anders. Sie hofft, unser Kind wird meine Augen bekommen, und meine Nase, und mein Lächeln.
Aber ich würde mir ebenso wünschen, dass es auch Ähnlichkeit zu Chester hat; das ist immerhin nicht ganz so abwegig und würde mir doch eine gewisse Verknüpfung zu Jolene geben. Wobei Chester Jolenes Gesicht hat, nur Hauttyp und Haare hat er von seinem Vater.
Letztlich aber liegt es nicht in unseren Händen, wer sich am meisten durchsetzt und eigentlich ist es auch unwichtig, aber Vorstellungen und Wünsche darf man dennoch haben. Wir spekulieren gerne und sind gespannt, wie sich unsere Genetik letzten Endes verteilen wird.

Jolene (+Family)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt