kapitel 20

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Etwa 20 Minuten später parkte Tom das Auto am Straßenrand. Inzwischen war es fast stockdunkel und weit und breit waren keine anderen Menschen zu sehen, was mir ein mulmiges Gefühl bereitete. Wir überquerten die Straße und liefen einen Weg entlang, der mit hundertprozentiger Sicherheit nicht auf normalen Karten eingezeichnet war. „Und du bist sicher, dass wir hier richtig sind?" fragte ich nach einer Weile. „Glaub mir, ich war hier so oft, dass ich irgendwann aufgehört habe zu zählen. Und außerdem..." Er blieb stehen und drehte sich zu mir um. „Vertraust du mir?" Ich zog eine Augenbraue hoch. „Ich weiß, wir sind nicht die besten Freunde. Nur dieses eine Mal." ergänzte er. Ich nickte leicht. „Schließ die Augen." Zögerlich tat ich das, was er gesagt hatte und spürte ein paar Sekunden später, wie er meine Hand nahm. „Du stößt mich jetzt aber nicht die Klippe runter, oder?" Ich konnte zwar nichts sehen, aber ich spürte förmlich, dass er gerade die Augen verdrehte. „Ich bitte dich, Hope." „War ja nur ein Scherz." Hoffte ich zumindest. „Vorsichtig..." Er legte seine andere Hand auf meinen Rücken. „Bist du bereit?" Ich nickte erneut. „Augen auf." Erneut tat ich, was er sagte und öffnete langsam meine Augen. Innerlich hatte ich mich bereits auf alles gefasst gemacht. Nur nicht auf das. „Wow..." Mehr brachte ich nicht raus. Wir standen auf einem Berg, von dem man eine unglaubliche Sicht über Los Angeles hatte. Ich drehte mich einmal im Kreis und bemerkte, dass wir mitten vor einem großen Buchstaben standen. „Ist das-" „Das Hollywood-Sign." unterbrach er mich. „Dürfen wir überhaupt hier sein?" „Ich denke mal eher nicht, aber ich wurde noch nie erwischt. Und außerdem - für diesen Ausblick nimmt man das Risiko, von den Cops geschnappt zu werden, doch in Kauf." grinste er. „Tom!" sagte ich empört und schlug ihm leicht auf die Brust. „Ach komm schon, ich hab doch Recht." Ich seufzte. „Okay, ja. Du hast Recht." murmelte ich. „Was war das?" hakte er schmunzelnd nach. „Du hast Recht." sagte ich. „Kannst du das nochmal sagen? Dann hol ich noch schnell mein Handy raus, um es aufzeichnen zu können. Diesen Satz höre ich schließlich nicht alle Tage von dir." grinste Tom. „Ha-ha. Sehr witzig." Ich drehte mich wieder zurück und schaute auf die vielen, grellen Lichter. „Wollen wir uns setzen?" fragte Tom schließlich. Ich stimmt zu und setzte mich neben ihn auf den Boden. Wir schwiegen eine ganze Weile, bis ich das Wort ergriff. „Mit wie vielen Mädchen warst du eigentlich schon hier oben?" fragte ich. „Ob du es glaubst oder nicht, dich mitgezählt, genau mit zwei Mädchen." antwortete er. Um ehrlich zu sein hätte ich diese Antwort nicht erwartet. „Oh wow. Dann muss das erste Mädchen ja wirklich etwas besonderes gewesen sein." Er schaute auf seine Hände und spielte mit seiner Uhr. „Das war sie." „War?" „Das Mädchen, was ich meine, ist meine Ex-Freundin. Wir waren oft zusammen hier, bis zu der einen Nacht..." Er schwieg. „In der du sie betrogen hast?" ergänzte ich den Satz, ohne darüber nachzudenken. Tom hob seinen Kopf und schaute zu mir. „Und woher hast du diese Information?" „Die Nachrichten waren voll mit deinem Namen." „Und du glaubst alles, was die Nachrichten sagen?" hakte er nach. Plötzlich verschlug es mir die Sprache. „I-ich denke schon? Keine Ahnung. W-was soll das überhaupt heißen?" Er drehte seinen Kopf von mir weg und starrte stattdessen ins Leere. „Claire und ich hatten uns an dem besagten Abend heftig gestritten, nachdem wir von einer Party nach Hause gekommen waren. Sie hat mir vorgeworfen, auf der Party ihr fremdgegangen zu sein." Er schwieg kurz. „Claire unterhielt sich mit ein paar anderen Leuten auf der Terrasse, ich hatte etwas zu viel Alkohol getrunken und da war dieses eine Mädchen... Ehrlich gesagt weiß ich selbst nicht, wie das passiert ist, aber plötzlich war ich mit ihr in einem Zimmer. Sie began mich zu küssen und mein Shirt auszuziehen." Ich bemerkte, dass seine Hände leicht zitterten, weshalb ich näher an ihn rutschte und sie mit meinen Händen umschloss. „Aber ich wollte das alles nicht. Zu dem damaligen Zeitpunkt hat Claire mir alles bedeutet. Mir wäre nicht einmal im Traum eingefallen, sie mit einer anderen Frau zu betrügen. Also habe ich sie von mir weggestoßen, mein Shirt wieder angezogen und bin abgehauen. Weg von der Party. Ich bin einfach in mein Auto eingestiegen und weggefahren. Claire hatte das alles natürlich beobachtet und mich später daheim zur Rede gestellt. Ich habe ihr alles erzählt, was ich dir gerade auch erzählt habe, aber egal, was ich auch tat, sie wollte mir nicht glauben. Dann hat sie gesagt, dass sie so nicht weitermachen könnte, hat ihre Sachen gepackt und ist gegangen." „Tom... Ich-" Er schaute auf meine Hände, die seine umschlossen. „Hast du nicht deinen Anwalt eingeschaltet?" fragte ich leise. „Das habe ich. Aber keiner von uns hatte Beweise. Die Frau von der Party war wahrscheinlich schon längst über alle Berge - und tja, wem glaubt man heutzutage wohl mehr? Einem damalig leichtsinnigen, jungen Mann, der gerade erst am Anfang seiner Karriere stand oder einer Frau, die vor laufender Kamera in Tränen ausbricht und ihre Version der Geschichte erzählt? Der Fall wurde irgendwann niedergelegt, aber die Nachrichten hatten natürlich schon längst ihren Dienst getan." Tom atmete einmal tief ein und wieder aus. „Ich kann natürlich verstehen, wenn du mir kein Wort glaubst. Das hat keiner. Außer meine Familie, Harrison und Andrew." Mir lief eine Träne über die Wange. Ich hätte nie gedacht, dass Tom so verletzlich war. Und erst recht nicht, dass er sich mir gegenüber so öffnete. „Ich glaube dir." sagte ich leise, während ich über seinen Daumen strich. Das erste Mal, seitdem er angefangen hatte, die Geschichte zu erzählen, schaute er mir wieder in die Augen. Erst jetzt bemerkte ich, dass diese leicht glasig waren. Sein rechter Mundwinkel zuckte leicht. „Seitdem habe ich mir geschworen, mich nie wieder so sehr an eine Frau zu binden. Mich nie wieder in eine andere Person so sehr zu verlieben, dass es fast weh tut." Deswegen die ganzen One-Night-Stands. Ich schluckte. Und umarmte ihn. Ich wusste nicht, was er in diesem Moment dachte. Aber wenn ich er gewesen wäre, hätte ich eine Umarmung gebraucht. „Ich glaube dir." wiederholte ich, löste mich von ihm und schaute ihn an. „Danke." flüsterte er. „Aber warum ich?" fragte ich. „Warum erzählst du das mir?" Er schwieg kurz. „Keine Ahnung. Irgendetwas in mir hat mir gesagt, dass du es wissen solltest. Viele Menschen pflegen gewisse Vorurteile über mich." „Mich eingeschlossen. Bis gerade eben zumindest. Es tut mit so so leid. Wirklich. Ich hatte ja keine Ahnung-" „Alles gut, Hope. Ich habe das alles hinter mir gelassen." Vorsichtig lächelte ich ihn an. „Jetzt zitterst du aber. Ist dir kalt?" sagte er plötzlich und wechselte so das Thema. „Ein bisschen, aber ist schon okay." „Das ist gar nicht okay, nachher bist du nächste Woche noch krank." Er stand auf, half mir hoch und zog sich seinen Hoodie aus. „Hier." lächelte er leicht. „Ich-" „Komm schon, Hope. Ich weiß, das ist so ein Pärchen Ding, aber ich habe wirklich keine Lust, nächste Woche irgendwelche Szenen mit deinem Double drehen zu müssen." Ich schmunzelte, nahm seinen Hoodie und zog ihn mir über. „Danke." Wir gingen zusammen zurück zum Auto, stiegen ein und fuhren los. Die ganze Autofahrt über sagte keiner von uns auch nur ein Wort. Aber es war keine unangenehme Stille. Ganz im Gegenteil. Kurze Zeit später hielt Tom vor meiner Wohnung. „Tom?" „Hm?" „Danke. Für den Tag. Um ehrlich zu sein - ich hab mir das ganze viel schlimmer vorgestellt, als es letztendlich war." Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab. „Ging mir genauso." Ich war gerade dabei, den Hoodie auszuziehen, als er mich stoppte. „Behalte ihn für heute. Du musst ja noch zu deiner Wohnung kommen." „Sicher?" Er nickte. „Okay, danke." Ich stieg aus, schlug die Tür vorsichtig zu und ging um das Auto herum in Richtung Eingang. „Hope!" rief Tom plötzlich. Ich drehte mich nochmal um und schaute ihn an. Er hatte das Fenster runtergefahren und schaute mich an. „Bis morgen." lächelte er. „Bis morgen." lächelte ich. Mit diesen Worten startete er den Motor und fuhr los. Ich stand noch etwa fünf Minuten draußen und schaute in die Richtung, in die er gefahren war, obwohl er schon längst über alle Berge war.

𝐢𝐭 𝐰𝐚𝐬 𝐚𝐥𝐰𝐚𝐲𝐬 𝐲𝐨𝐮Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt