Accusa Ingiusta (Ethan Torchio | Måneskin) ✅️

Numero Cinquantaquattro

Ethan P.O.V

Bei jedem Schritt die Treppe hinab, jeder Schritt der mich ein Stück von Cara entfernt, wächst mein Drang sofort umzukehren und sie einfach fest in meine Arme zu schließen und nie wieder loszulassen.

Mit ihr an meiner Seite all den Dreck, den ganzen Stress, die ganze Öffentlichkeit hinter uns zu lassen und ganz weit weg zu gehen.

Doch ich kann nicht.

Noch nie in meinem Leben habe ich so eine schwere Entscheidung treffen müssen und die einzelnen Tränen, die ich vergieße während ich halb blind zu meinem Auto stolpere, sprechen Bände. Ich liebe diese Frau mehr als alles andere, sie ergänzt mich wie niemand sonst und ich frage mich, wie ich ohne sie weiterleben soll. Meine Welt scheint zusammenzustürzen und nur am Rande nehme ich den feinen sommerlichen Nieselregen war, der in ekliger Regelmäßigkeit vom Himmel Roms tropft und so die aufgewärmten Straßen abkühlt.

Die kalten Regentropfen vermischen sich mit meinen heißen Tränen zu einem Sturzfluss, als ich mit vor Trauer verzerrtem Gesicht Richtung Himmel in das unendliche Grau starre.

Eine ekelhafte Leere füllt die stechenden und schmerzenden Risse in meiner Brust und obwohl langsam aber sicher meine Kleidung unangenehm an meiner Haut zu kleben beginnt und ich schleunigst ins Trockene kommen sollte, bin ich wie festgewachsen. Die Straßen sind menschenleer, bei diesem Wetter und der späten Abendstunde, will kaum jemand vor die Tür.

„FUCK", schreie ich laut in die langsam aufkommende Dunkelheit und erwarte fast, dass sich ein Nachbar aus einem der Fenster über mich beschwert, aber nichts passiert.

Meine Gefühle überfordern mich und am liebsten würde ich hemmungslos auf etwas einschlagen, bis ich keine Kraft mehr hätte, über irgendetwas nachdenken zu müssen. Insbesondere nicht über die letzten zwei Stunden.

Alessias Anruf bei mir, ob ich möglichst schnell zu ihnen kommen könnte und dass es Cara nicht gut gehe, hatte den Stein eines Gedankens, den ich seit längerer Zeit mir herum trage, erst richtig ins Rollen gebracht. Während meiner Fahrt zu den beiden Frauen, bei der ich sicher mehr als einmal die Geschwindigkeitsbegrenzungen der Stadt übertreten hatte, konnte ich meine wilden Gedankengänge kaum zurückhalten. Alessia hatte sich keine weiteren Informationen abluchsen lassen, lediglich, dass es etwas mit mir zu tun hat, nuschelte sie noch in den Hörer, bevor sie mich mit meinen Sorgen alleine gelassen hat.

Dreißig Minuten lang wusste ich nicht, was mit Cara ist, ob ihr etwas angetan wurde oder sie verletzt ist. Es handelte sich dabei nicht nur um die Längsten, sondern mit Abstand auch die schlimmsten dreißig Minuten meines Lebens, getoppt vielleicht nur noch von meinem Abgang, vor nur wenigen Minuten.

Und schließlich die Erkenntnis, dass sie erneut wegen mir leiden muss – einzig und alleine nur wegen mir wurde sie verletzt, gedemütigt, verfolgt und nun sogar bedroht. Ungewollt, unbewusst und unerwartet hatte ich sie in die wohl toxischste Beziehung aller Zeiten geführt.

Ich muss bitter lachen, bei all den naiven Gedankengängen mit denen ich mich die letzten Wochen selbst beruhigt habe.

„Das wird schon wieder"

„Bald haben sich alle wieder beruhigt"

„Sie gewöhnt sich schon daran"

Doch nichts davon war eingetreten. Eine immer größere Meute scheint hinter uns her zu sein und uns vernichten zu wollen. Die Band und ich haben uns damals bewusst dafür entschieden, in die Öffentlichkeit zu treten und eine Karriere vor einem großen Publikum aufzubauen. Aber Cara – sie hatte dieses Leben nie gewählt, geschweige denn gewollt.

Schwer seufzend streiche ich mir meine langen, offenen und deutlich durchnässten Haare nach hinten. Der riesige Zementbrocken in meinem Magen scheint von Minute zu Minute weiter zu wachsen und der Schmerz, den ich verspüre, ist unbeschreiblich. Und trotzdem weiß ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.