Von Verrat und Schuldgefühlen

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Potters Einbruch ins Ministerium war nun einige Wochen her und noch immer hatte ihn niemand fassen können. Die Behörde war buchstäblich mit nichts anderem mehr beschäftigt und dennoch war keine Spur von dem Jungen, der überlebt hatte, zu finden. Allein diese Tatsache hatte den Dunklen Lord bereits sehr wütend gemacht und seine Untergebenen, die im Ministerium arbeiteten, hatten diesen Zorn mehr als nur einmal zu spüren bekommen. Der ein oder andere würde auch nie wieder etwas spüren. Doch als wäre das nicht schon genug, war das Elementar-Mädchen noch immer wie vom Erdboden verschwunden. Das Mädchen, dass seit dem letzten Treffen der Todesser beinahe von höherem Wert war als Potter selbst.

Alecto war schon immer eine pragmatische Frau gewesen. Es kümmerte sie nicht, wer dieses Mädchen war und noch weniger kümmerten sie die Beweggründe des Dunklen Lords, dieses Schlammblut zu finden – lebendig! Sie würden diesen Krieg auf die eine oder andere Weise gewinnen. Was machten da schon ein paar Wochen für einen Unterschied? Doch wofür sie sich brennend interessierte, war im Ansehen des Dunklen Lords aufzusteigen. Es war nicht einfach, den mächtigsten Zauberer zu beeindrucken. Etwas zu schaffen, das all den anderen Anhängern sowie der gesamten Zauberergemeinschaft über Wochen hinweg misslungen war, war in Alectos Augen aber ein guter Anfang. Ihr Entschluss stand fest. Sie würde die Göre finden, die der Dunkle Lord so sehr zu fassen bekommen wollte. Und sie hatte die besten Voraussetzungen hierfür. Denn hier in Hogwarts gab es einige Schüler, die mit dem Schlammblut verkehrt hatten. Im speziellen ein ganz besonderer Schüler.

Es klopfte an der Tür zum Büro und Alecto schreckte aus ihren Gedanken auf. „Herein!", rief sie und griff nach dem Zauberstab auf ihrem Schreibtisch.

Knarrend öffnete sich die Tür und der dunkelhäutige Junge, den sie einbestellt hatte, trat elegant ein. „Sie wollten mich sprechen, Professor Carrow", begrüßte er sie mit einem höflichen Nicken. Blaise Zabini war streng genommen das, was man einen vorbildlichen Schüler nennen konnte. Er erledigte seine Aufgaben mit Bravour, war aufmerksam im Unterricht und schrieb sehr gute Noten. Zumindest hatte Alecto das von allen anderen Lehrern – einschließlich Snape, dem neuen Schulleiter – gehört. Doch in ihrem Unterricht war er wohl eher das Gegenteil. Nicht, dass er besonders störend wäre, beinahe aufmüpfig wie dieser Longbottom. Nein, Zabini verweigerte sich durch pure Schweigsamkeit ihrem Unterricht. Er beantwortete keine ihrer Fragen, obwohl er die Antwort sehr wohl zu kennen schien, denn in den Tests gab er sie problemlos wieder. Er nahm auch nicht an den praktischen Aufgaben teil. Oftmals entschuldigte er sich mit Kopfschmerzen in den Krankenflügel, ehe die Folterflüche an den Erstklässlern ausgetestet wurden.

Blaise Zabini war kein wahrer Reinblüter, kein richtiger Slytherin. Er war weich. Und er war empfänglich für die naive Freundschaft zu einem Schlammblut. Über ein Jahr hatte diese elende Gryffindor auf ihn eingewirkt und ihn mit ihrem – das musste Alecto zugeben – magischen Talent um den Finger gewickelt. Man müsste ihn brechen, die ehrwürdigen Ideale der Reinblüter wieder in seinem Denken verankern. Dann wäre dieses mickrige Schlammblut auch schnell in Vergessenheit geraten. Doch gerade in diesem Augenblick kam ihr diese widernatürliche Freundschaft zugute. Noch immer wusste niemand, wo das Mädchen sich aufhielt. Alecto konnte nicht glauben, dass sie über all die Zeit nicht einmal zu Zabini Kontakt aufgenommen hatte. Und wenn es nun ihr gelang, den entscheidenden Hinweis über den Aufenthaltsort der Elementarmagierin aufzudecken, dann würde der Dunkle Lord sie reich belohnen.

„Guten Abend, Mister Zabini. Kommen Sie nur zu mir", säuselte die Professorin und stand etwas ungelenk von ihrem Arbeitsplatz auf. „Also, Mister Zabini, was glauben Sie, warum ich Sie heute hierher gebeten habe?"

„Ich weiß es nicht, Professor", entgegnete Blaise gelassen und reckte das Kinn leicht in die Höhe. Seine Augen glitten im Raum herum und suchten ihn nach Hinweisen ab, etwas, das ihm verriet, wieso er hier war. Doch das Einzige, das er erkannte, war der bullige Bruder, Amycus Carrow, der im Halbschatten an eine Wand gelehnt stand und ihn wie ein Beutetier anstarrte. Schnell wandte Blaise seinen Blick ab – wie bei einem wilden Tier, dem man nicht zu lange in die Augen sehen durfte, wenn man nicht angegriffen werden wollte. Automatisch schlug sein Herz schneller. Zwei Todesser mit ihm in einem Raum. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Er hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Doch wenn er ehrlich war, zählte das an dieser Schule schon eine ganze Weile nichts mehr. Die wichtigen Dinge waren Disziplin, Gehorsam und Rassenhass.

Die Geschichte von Catherine O'NeillWo Geschichten leben. Entdecke jetzt