Die Beerdigung

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Heute war ein besonderer Tag. Heute war Tag einhundert. Hundert Tage Training. Hundertundein Tag seit Cats Ankunft in Paris. Und damit hundertundzwei Tage seit sie ihre Freunde zum letzten Mal gesehen hatte. Sie wusste nicht, wo das Trio war, sie wusste nicht, wie weit sie mit ihrer Mission gekommen waren, sie wusste nicht einmal, ob die Drei überhaupt noch auf freiem Fuß waren oder ob sie nicht schon längst in Voldemorts Gefangenschaft feststeckten. Alles, was sie wusste, war, dass sie am Leben waren – Harry zumindest.

Das verriet ihr die kleine Rose an ihrem Handgelenk, die sich seit ihrem ersten Auftauchen im Ministerium kaum verändert hatte. Mal gab es Tage, an denen sie etwas blasser wirkte und die Blüten schlaff zu hängen schienen, doch dieser Zustand verbesserte sich zumeist sehr schnell und das Rot erstrahlte wieder in vollem Glanz. Falls das nicht passierte, ließ Cat etwas Energie in das Tattoo fließen. Als Antwort bekam sie stets ein warmes Prickeln unter ihrer Haut zu spüren, das ihr ein angenehmes Gefühl bescherte. Sie fühlte sich dann auf eine besondere Weise mit ihm verbunden, sie fühlte sich gebraucht. Etwas, das ihr in den langen Wochen des Trainings fehlte.

Mittlerweile blickte Cat so häufig auf das lebende Symbol herab, dass es beinahe zum Ritual geworden war, es morgens als erstes zu überprüfen. Genauso war es das letzte, was Cat sah, bevor sie abends das Licht löschte. Es war der Strohhalm, an den sie sich so beharrlich klammerte, ihre letzte Hoffnung, die sie antrieb, weiterzumachen und nicht die Geduld zu verlieren.

Tag einhundert. Cat hatte das Gefühl, sich auf der Stelle zu drehen. Egal, wie viel sie trainierte, wie viele Zeitreisen sie fehlerfrei unternahm, wie oft sie heil wieder zurückkam, für Perenelle war es immer nur ein weiterer Schritt vor dem nächsten. Vermutlich hatte das hohe Alter sie gelehrt, geduldig zu sein, sich lieber mehr Zeit zu nehmen, um etwas zu perfektionieren, als mit Unruhe in den Kampf zu ziehen. Doch Cat war noch nie ein geduldiger Mensch gewesen. Sie wollte nichts lieber, als zurück zu Harry zu gehen und ihn bei seiner Aufgabe zu unterstützen. In Paris zu sitzen und die nicht enden wollenden Prüfungen der Flamels zu absolvieren kam ihr wie pure Zeitverschwendung vor. Sie fühlte sich nutzlos und das machte sie ruhelos und unkonzentriert, als würde sie auf glühenden Kohlen sitzen und keine Erlösung finden.

Bald war Weihnachten. Und je näher der fünfundzwanzigste rückte, desto öfter dachte sie auch an ihre Eltern. Auch in diesem Jahr würde sie nicht bei ihnen sein. Und auch, wenn der Gedanke, dass sie mit ihren Eltern wieder im Reinen war, tröstlich war, so hatte sie doch das Gefühl, die Beiden dadurch nur noch mehr zu vermissen. Nicholas und Perenelle gaben sich alle Mühe, ihr einen angenehmen Aufenthalt zu bescheren. Sie machten ihr jeden Morgen ein ausgewogenes Frühstück, kümmerten sich um ihre weitere Zauberausbildung, sie hatten sogar ein kleines Zimmer im oberen Geschoss des Hauses für sie eingerichtet. Und dennoch hatte Cat sich noch nie zuvor so einsam gefühlt wie zurzeit. Ablenkung war das Einzige, das ihr half, mit diesen Gefühlen klarzukommen. Deshalb verbrachte sie jeden Tag damit, ihre Kräfte zu perfektionieren. Wieder und wieder ging sie das Gelernte im Kopf durch. Allen voran die Regeln, die Perenelle ihr wie ein Mantra täglich verinnerlichte.

Regel Nummer eins: Zeitmanipulation und Zeitreisen sind strengstens verboten.

Das war ihr bereits bekannt. Als Hermine ihr von dem Zeitumkehrer erzählt hatte, den sie in der dritten Klasse benutzt hatte, hatte sie ihr auch gleichzeitig eingeschärft, wie wichtig es war, dass sie diese Information für sich behielt. Der Vorteil der Zeitreisen eines Elementarmagiers bestand darin, dass man in einem Zeitstrang nur einmal existieren konnte. Die meisten Leute empfanden das Geschehene als Déjà-vu und man lief nicht Gefahr, mit einer exakten Kopie seiner Selbst gesehen zu werden.

Regel Nummer zwei: Ein Einmischen in die Geschehnisse der Vergangenheit führt unweigerlich zur Veränderung des Zeitstrahls und damit der Auslöschung der eigenen, bekannten Gegenwart.

Die Geschichte von Catherine O'NeillWo Geschichten leben. Entdecke jetzt