Kapitel 03 | 2 | Edited

397 31 3
                                    

K A P I T E L 03

2

Nach der letzten Rede beschloss ich mir einen weiteren Drink zu holen. Ich wollte Kontakte knüpfen. So wie Julia es mir geraten hatte. Ihre Rede war gut, dass musste ich zugeben, auch wenn ich die erste Hälfte auf der Toilette verbrachte, um durch meinen Instagram Feed zu scrollen und mir Hundewelpen anzuschauen. Sie würde es mir verzeihen.

Mit meinem Strohhalm stocherte ich in eine der Zitronenscheiben in meinem Drink herum. Versuchte sie aufzuspießen und nach oben zu ziehen. Erfolglos. Ich war gerade dabei sie fast nach oben an den Rand des Glases zu ziehen, als ein kurz gewachsener Mann mit Vollbart und Glatze auf mich zukam. Er hielt ein Tablet in der Hand und blieb vor mir stehen.

„Frau Shepherd! Hätten sie einen Moment Zeit mir einige Fragen zu beantworten. Ich bin vom Magazin TechAndPeople und ich würde gerne einige Worte zu Ihnen mit einbringen."

„Selbstverständlich."

„Danke, mein Name ist Anderson. Björn Anderson. Es ist mir eine Freude sie heute anzutreffen", fuhr er fort. Etwas unbeholfen versuchte er sein Tablet einzuschalten. Dabei fiel ihm zweimal der dazugehörige Stift herunter. Seine kleinen, dicklichen Finger trafen immer die falschen Nummern. Ich versuchte ein Schmunzeln zu verbergen.

„Entschuldigen sie meine Flapsigkeit heute. So ein Tumult hier."

„Nur mit der Ruhe", gab ich zurück und ließ den Strohhalm los. Die Zitronenscheibe rutschte wieder hinunter.

„Nun gut, Frau Shefferd. Shepferd. Shepherd meinte ich. Entschuldigen sie", begann er.

Ich versuchte mir ein Schnaufen zu verkneifen.

„Also womit beginnen wir? Nun gut ich könnten sie mir nur kurz ihr Alter bestätigen und die Richtigkeit ihres Namens?"

„Shepherd, war es, nicht Shefferd", antwortete ich und nahm einen Schluck aus meinem Drink.

Während Björn erst einmal damit beschäftigt war überhaupt eine Frage zu finden, die er aus seinem Fragenkatalog auswählen wollte, blickte ich über seine Schulter hinweg durch den Raum. Ich entdeckte ihn direkt. Umgeben von einer Traube Menschen in Anzügen und Krawatten stand er nicht weit an einem Stehtisch gelehnt. In seiner Hand eine Flasche Bier. Immer wieder strich er sich die widerspenstige Strähne aus dem Gesicht, während er sich unterhielt. Ich wollte gerade wieder hinab zu Björn schauen, als Elliot Price Blick auf mich fiel. Einen Augenblick starrten wir uns über die Tische und Gäste hinweg an. Ich lächelte ihn an. Er hob sein Bier grüßend. Unsere Augen noch immer aufeinander gerichtet. Ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper. Er zwinkerte mir zu und wand den Blick ab.

Ich hatte ganz vergessen, was die Frage Björns war. 

Ich wollte mich wirklich auf ihn konzentrieren. Hoffte inständig, dass meine Antworten halbwegs zu seinen Fragen passten. Doch mein Blick fiel immer wieder auf Elliot. Unsere Blicke trafen sich erneut.

Die Chemie zweier Menschen ist so ein Thema. Kann Chemie einseitig entstehen? Wann spürt einer sie? Wenn der eine sie spürt, spürt der andere sie auch?

Wir schauten uns einen Moment an. Eine Sekunde. Zwei Sekunden. Ein kaum merkliches Lächeln entstand auf seinen Lippen.

Ich senkte den Blick, schaute hinunter zu Björn. Eifrig tippte er mit seinen dicken Fingern in das Tablet.

Das nächste Mal, das ich aufschaute, war Elliot verschwunden.


Ich war müde. Ich hatte mich mit unzähligen Menschen, von Wichtigtuern zu sympathischen Persönlichkeiten unterhalten. Mein Kopf brummte. Die gestrige Nacht mit dem Vikinger machte es nicht besser. Ich freute mich auf mein Hotelzimmer und meine Ruhe. Ich liebte den Trubel, doch meine soziale Energie war erschöpft. Ich verabschiedete mich von einigen neuen Bekanntschaften und beschloss meine Sachen zu holen und in die weichen Laken meines Bettes zu verschwinden. Meine Füße brannten vom langen Stehen in den hohen Schuhen und mein Kopf rauchte von den vielen Gesprächen.

Ich öffnete die Tür zur Umkleidekabine und nahm Jacke, Schal und Mütze vom Kleiderständer.

„Ellis", hörte ich eine Stimme.

Es war Elliot. Auch diesmal riss er sich nicht das Hemd vom muskulösen Oberkörper und sagte mir, wie sehr er mich jetzt hier in der Umkleidekabine vernaschen wollte.

„Es hat mich gefreut Sie kennenzulernen", sagte er. Er zog sich seine Jacke an und schnappte sich seine braune Ledertasche „Ihre Rede war gut."

„Ihre war auch ganz nett", rutschte es mir heraus. Nett? Seine Rede würde in die Medizinbücher eingehen.

Elliot Price schmunzelte. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend."

„Sollen wir uns ein Taxi teilen? Ich bin auch gerade dabei zu gehen", fragte ich. Innerlich wollte ich im Boden versinken.

Elliot lachte auf. Um seine Augen bildeten sich kleine Fältchen.

„Mein Chauffeur steht draußen bereit."

Als ob Elliot Price sich ein Taxi teilen müsste. Elliot Price konnte sich ein ganzes Taxiunternehmen kaufen, wenn ihm danach war.

„Ich würde ihn ja fragen, ob er sie mitnimmt, aber das würde Gerüchte in die Welt setzen. Journalisten... Sie sind wie Haie."

„Außer sie heißen Björn Anderson", rutschte es mir heraus.

Elliot schmunzelte. „Gut, um den müssen wir uns wirklich keine Sorgen machen. So nervös wie er war sie um ein Interview zu bitten."

„Das haben Sie mitgekriegt?"

„Es war nicht zu übersehen", antwortete er. Erneut zwinkerte er mir zu. Dann lief er auf die Tür zu und drückte die Klinke herunter.

„Einfach Ellis! Es war mir eine Freude"

„Elliot! Ganz meinerseits"

„Mr. Price bitte."

Ich musste lachen. Humor hatte er.

Mr. Price hielt einen kurzen Moment inne und schaute mich mit gerunzelten Brauen an. Schließlich griff er in seine Jackeninnentasche und holte eine Visitenkarte heraus.

„Ich bin nächste Woche in London. Machen Sie doch einen Termin mit meiner Assistentin aus. Falls Sie Lust haben sich meine Ideen anzuhören."

Er hielt mir seine Karte hin.

„Machen Sie doch einen mit meiner aus", sagte ich nur.

Elliot wollte etwas erwidern. Doch blieb er still.

Dann zog er die Karte zurück und fummelte einen Kugelschreiber aus seiner Innentasche. Schließlich schrieb er eine Reihe an Zahlen auf.

„Rufen Sie mich an.", sagte er und schob mir die Visitenkarte in meine Blazertasche.

Zimmer mit Aussicht (I + II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt