Kapitel 06 | 2 | Edited

339 26 2
                                    

K A P I T E L 06

2

William hatte nicht übertrieben, als er mir von Jonas legendären Partys erzählte. Frauen in goldenen Anzügen servierten Champagner und kleine Häppchen. Unter den Decken hingen silberne Heliumluftballons in den Zahlen des neuen Jahres. Imposante Kronleuchter erhellten den großen Raum. Auf der anderen Seite war eine große Bar. Hinter ihr standen gutaussehende Barkeeper mit weißen Hemden und dunklen Hosenträgern. Sämtliche Spiritusflaschen luden dazu ein, sich an dem heutigen Abend ins Ethanol-Nirwana der Reichen zu schießen.

„Jonas, darf ich vorstellen, meine neue Freundin Ellis", stellte mich William seinem groß gewachsenen, kahlköpfigen Freund im Anzug vor. Sein Gesicht kam mir bekannt vor. Ich fragte mich, wo ich es schon einmal gesehen hatte.

„Die Ellis, mit der dich deine Mutter verkuppeln wollte? Das hat funktioniert?!"

Jonas schaute erst William mit leicht fassungslosem Blick an, dann mich.

Ich blickte William an. Mit hochgezogenen Augenbrauen und irritiertem Lächeln versuchte ich ihm per Gedankenübertragung zu fragen, was genau hier vor sich ging.

„Nein, es hat nicht funktioniert, Jonas. Entspannt dich. Sie ist meine Begleitung heut Abend. Ich denke wir verstehen uns ganz gut", erklärte William. „Ich wollte nur eure Reaktionen sehen. Nur kurz, für mein eigenes Amusement."

Ich schüttelte meinen Kopf. Jonas Gesichtszüge entspannten sich. William lachte.

„Freut mich, dich kennenzulernen, Ellis", sagte Jonas schließlich und reichte mir seine Hand.

„Es freut mich auch."

„Soll ich euch beiden eine kleine Tour geben?", fragte Jonas und legte seinem besten Freund den Arm um die Schulter. „Ich geh davon aus, dass William dir schon alles erzählt hat, was es über mich zu erzählen gibt."

„Die wichtigsten Fakten hat er mir zwischen Erdgeschoß und Penthouse erzählt", bekräftigte ich Jonas Aussage.

„Nun gut. Folgt mir, genießt den Abend, enjoy the show." Jonas zwinkerte mir zu und durchquerte, immer noch den Arm um Williams Schulter gelegt, den Raum.

Ich folgte den beiden durch ein Gewusel an Menschen. In schicken Kleidern und gutsitzenden Anzügen standen sie Champagnertrinkend zusammen. Die Stimmung war heiter. Es wurde gelacht, geflirtet, ja vermutlich ganze Neujahresvorsätze heruntergeprädigt. Es schien, als würden sie sich freuen. Auf die Idee, dass wieder einmal ein Jahr vergangen war. Auf den Gedanken, dass mit dem Beginn des Neuen eine Art „Reset-Taste" gedrückt werden konnte, die einem die Möglichkeit gab das eigene Leben umzukrempeln und von vorne zu beginnen. Wäre die Welt doch wirklich so einfach.

Gedankenverloren folgte ich den beiden durch die Menschenmenge. Dass eine der Bedienungen mir schon einen Champagner in die Hand gedrückt und meinen Mantel abgenommen hatte, bemerkte ich erst als ich mit Jonas und William vor der großen Glasfront stand, die uns die Sicht über die glitzernde Stadt ermöglichte.

Jonas nahm den Arm von Williams Schulter und wand sich mir zu. Er musterte mich einen Moment mit einem leichten Grinsen auf den Lippen.

„William hat mir schon von eurer ersten Begegnung erzählt", begann er.

„Der Abend, an dem meine Mutter William eingeladen hat?", fragte ich, mehr an William gerichtet als an Jonas. „Hat er dir auch erzählt, dass er nur für den Kuchen da war und meine Mutter mit seinem unwiderstehlichen Charme rumkriegen wollte?"

„Das wundert mich nicht. Das hat er schon als Teenager bei meiner Mutter versucht", sagte Jonas lachend.

„Jonas, das Thema wollen wir nicht erneut auf den Tisch bringen", protestierte William. Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und wand sich der Aussicht zu.

Zimmer mit Aussicht (I + II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt