K a p i t e l ❤ 09
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Wir hatten nicht einmal die Türschwelle übertreten, da hatte Pietro uns schon zwei Gläser Rotwein an die Theke gestellt. Als ob er von weitem das Drama riechen konnte, das in seinen Laden stürmen würde. Er hatte nicht einmal die Markise ausgefahren, einen Blick auf die Uhr verriet mir, dass er eigentlich noch gar nicht geöffnet hatte. Aber Pietro wäre nicht Pietro, wenn er uns gebeten hätte in einer viertel Stunde wieder zu kommen.
"Luis, Ellis ist da. Hat Schwester mitgebracht", rief Pietro in die Küche. Daraufhin steckte Luis seinen Kopf aus der Tür.
"Warum nur bringst du Schwester mit, wenn ich Freundin habe, Ellis?! He?" Er machte die italienischste Handbewegung, die er hätte machen können und verschwand wieder in der Küche.
"Freut mich auch, dich zu sehen!", rief ich ihm hinterher. Ich setzte mich auf den Barhocker und nahm Erica die Karte aus der Hand.
"Hey", rief sie.
"Brauchen wir nicht", sagte ich und drückte ihr das Weinglas in die Hand.
"Komische Freunde hast du, Ellis", sagte sie und schmunzelte. "Das war ein seltsamer Morgen. Ich bin so wütend, aber ich weiß gar nicht wie ich das zum Ausdruck bringen soll."
Elaine hatte ihre Wut durch Rebellion zum Ausdruck gebracht. Erica hingegen durch Flucht. Meist schloß sie sich als Teenager in ihr Zimmer ein, setzte sich Kopfhörer auf und hörte Punkrock. Stundenlang verließ sie ihr Zimmer nicht und ignorierte Moms Klopfen. Sie kam erst heraus, wenn der Hunger größer war als die Wut. Ihre Augen waren meist rot unterlaufen. Sie trug ausgewaschene, lange Hoodies und ihre Haare waren in einem verknoteten Messybun irgendwie zusammengesteckt worden. Keiner wagte zu fragen, was geschehen war, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder anfing in Tränen auszubrechen war sehr hoch. Emotionen mit denen Dad nicht umgehen konnte. Mom schlug meist vor, mit dem Pastor zu sprechen, wenn ihr etwas auf der Seele lag. Hätte ich das Angebot für meine Angelegenheiten genutzt, hätte er vermutlich nicht nur mich, sondern die ganze Familie aus der Kirche verbannt. Für immer.
"Ich bin nicht glücklich, Ellis", sagte Erica unerwartet und schaute fast schon mit verschämten Blick in ihr Glas. Ich schwieg und wartete auf eine Erklärung. Doch Erica starrte weiter in ihr Glas hinab. Sie schwang es hin und her. Der Wein hinterließ ölige Spuren am Glas.
"Was macht dich denn unglücklich?", fragte ich.
"Ich habe mir alles einfacher vorgestellt. Weißt du Dad und Mom haben sich einfach in einer Bäckerei kennengelernt. Heutzutage muss man auf hundert Tinder Dates gehen, von denen achtundneunzig scheiße sind, eins halbwegs okay ist und das einzige das gut läuft, eine einmalige Sache bleibt, weil der Kerl nicht beziehungsfähig ist aufgrund irgendeines unheilbaren Kindheitstraumas."
"Du bist doch auf keinen Dating Apps. Zu neumodisch!?"
"Ja, aber man muss es ja fast schon, denn keiner ist mehr in der Lage eine Frau in einer Bar oder einem Café anzusprechen."
"Bist du nicht mit Jonas zusammen, oder gibts da News?", fragte ich etwas irritiert.
"Ja bin ich, aber er arbeitet viel und hat kaum Zeit um zu mir zu kommen. Immer muss ich nach London fahren. Ich hasse Großstädte. Er hat diese - verzeih meine Wortwahl - absolut kranke Wohnung. Du hast sie an Neujahr gesehen, oder?"
Ich nickte. Erinnerte mich an den Abend in dieser riesigen Penthousewohnung.
"Es ist alles so steril, so teuer. Er verzieht jedes Mal das Gesicht, wenn ich meine Kaffeetasse ohne Untersetzer auf seinen scheißteuren Esstich abstelle. Er öffnet schon den Mund, um was zu sagen. Oder wenn ich meine Schuhe einfach im Flur liegen lasse, anstelle sie in einen der zwanzig Schuhschränke einzuräumen. Und beim Sex..."
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Zimmer mit Aussicht (I + II)
RomanceEllis hält nicht viel von Beziehungen, einem nine-to-five Job und der immergleichen Aussicht aus dem Schlafzimmerfenster. Stattdessen gehören Konferenzen, Hotelbars und attraktive Businessmänner zwischen ihren Laken zu ihrem Daily Business. Zu Missg...