Kapitel 13 | 2 | Edited

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K A P I T E L 13

2

David Attenborough kommentierte mit fesselnd britischer Stimme die Gnu Migration in Tansania. Neben mir auf der Couch starrten Erica und Leyla mit großen Augen auf den Bildschirm. Mit angehaltenem Atem schauten sie auf ein junges Gnu was von der Herde abgekommen war und von zwei hungrigen Löwen umzingelt wurde.

"Oh Gott, das ist ja grausam", rief Erica und erschrak als dramatische Musik einsetzte.

"Ich kann das nicht mit ansehen", rief auch Leyla und hielt sich die Hände vor die Augen. Einer der Löwen setzte zum Sprint an. Es wurde auf die dramatisch aufgerissenen Augen des Gnus gezoomt. Laute Trommelschläge begleiteten die Flucht des Tieres.

Während die beiden gebannt auf den flimmern Fernseher starrten, schaute ich auf mein Handy hinab. Nicht weil mir das arme Gnu nicht Leid tat - es tat mir Leid - sondern weil ich William geschrieben hatte. Ich starrte auf die Worte die ich verschickt hatte. Ich mochte William, das musste ich zugeben. Ich mochte seine Anwesenheit, seinen Humor, seine Stimme und die tiefen Lachfalten um seine Augen. Mein Herz begann nicht schneller zu schlagen, wenn ich an ihn dachte. Aber es wurde leichter, wenn ich mit ihm lachte.

Eine Weile starrte ich auf die immer wieder auftauchenden drei Punkte. Er schien mehrere Anläufe zu tippen. Dann nichts mehr. Erst als das Gnu seinen Weg zurück zur Herde gefunden hatte und die Löwen aufgaben, erschien eine neue Nachricht auf meinem Handy.

Morgen Abend 19:00?, antwortete er auf die Frage, ob er mit mir bei Pietro Pizza essen gehen wollte.

Kurz darauf folgte: Aber ich warne dich, das ist auf keinen Fall ein Date!

Gut, dass wir das klargestellt hatten, dachte ich mir schmunzelnd und legte mein Telefon zur Seite. Mein Blick schweifte zu Erica.

Eine Weile beobachtete ich wie sie in den Bildschirm starrte. Sie hatte lange dunkle Wimpern. Viel länger als meine es waren. Sie sagte ihr Geheimnis sei Rizinusöl. Ihre hohen Wangen waren rosig. Auf ihrer Nasenspitze tanzten die Sommersprossen. Eine widerspenstige Haarsträhne viel ihr immer wieder ins Gesicht. Mutter behauptete immer Erica käme nach ihr und Elaine nach unserem Vater. Ich hätte die meisten Ähnlichkeiten mit Oma in jungen Jahren. Außer wenn ich wütend war, dann hatte ich dieselben grantigen Gesichtszüge wie Vater.

Schaute ich mir die alten Fotoalben meiner Eltern an, konnte ich mir kaum vorstellen, dass sie eine besonders aufregende Jugend hinter sich hatten. Mein Vater hatte studiert. War Jahrgangsbester gewesen. Hatte einen einzigen Freund im Studium gehabt, den Peter, und mal für zwei Monate hin und wieder einer jungen Studentin ins Cafe ausgeführt. Doch die schien mehr gefallen an ihrem Uniprofessor gefunden zu haben, als an Vater. Laut seinen Erzählungen hatte sie ihn kurz danach links liegen gelassen. Kurz vor seinem Abschluss lernte er Mom kennen. Sie hatte in der Bäckerei an der Universität angefangen zu arbeiten, um sich Geld für ein kleines Auto anzusparen. Meine Eltern waren nur auf wenigen Bildern zusammen abgelichtet worden. Auf den meisten standen sie nebeneinander und grinsten unschuldig in die Kamera. Genug Abstand für eine Bibel zwischen ihnen. Sie heirateten nach einem Jahr, kurz nach Vaters Abschluss. Dann begann er in der Firma seines Vaters zu arbeiten und Mutter blieb zu Hause. Erica war unsere Mutter sehr ähnlich. Sie wollte es nicht hören, nicht sehen, doch war dem so.

"Das ist etwas creepy wenn du mich so anstarrst, Ellis!", sagte Erica.

"Sorry gab ich zurück und starrte auf den Bildschirm. "Ich habe gerade daran gedacht, wie sich Mom und Dad kennengelernt haben."

Erica lachte auf. "Das arme Gnu in Tansania muss um sein Leben kämpfen und du denkst daran wie Mom Dad frische Brötchen verkauft hat?"

"Ja."

"Ich frage mich langsam, ob bei dir noch alles in Ordnung ist", gab Erica lachend zurück.

"Wie haben sie sich denn kennengelernt?", fragte Leyla und öffnete eine Tüte Lachgummis.

"Es war so romantisch...", begann Erica.

"Du warst gar nicht da?!"

"Ja und? Es klingt romantisch. Mom hatte in einer Bäckerei an der Uni gearbeitet. Die hatte so einen kitschig schönen Namen: HeartBake oder so. Leider haben die seit Jahren zu gemacht. Jetzt ist da ein Rugby-Fanshop drin. Mom hat anscheinend Dad Brötchen verkaufen wollen. Aber der hatte zwanzig Pennies zu wenig. Er sagte ihr daraufhin, dass er am Nachmittag noch einmal vorbei schaue, um seine Schulden auszugleichen. Dann kam er mit Blumen und einer Einladung zum Dinner wieder."

"Gott ist das romantsich", hörte ich Leyla sagen. "Und dann?"

"Dann sind sie abends Hamburger in einem Diner an der Uni essen gegangen. Er hat sie noch zum Billiardspielen aufgefordert und dann abends pünktlich um einundzwanzig Uhr bei ihren Eltern wieder abgesetzt. Drei Tage später war er zum Abendessen eingeladen und vier Monate später haben sie sich verlobt."

Während Erica die Geschichte erzählte wurde mir eins bewusst: Ich würde ihr nie die Wahrheit erzählen können.

Zimmer mit Aussicht (I + II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt