K A P I T E L ❤ 05
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Little Win
Meine Eltern waren schon immer recht konventionelle und unauffällige Menschen. Abgesehen von der Weihnachtszeit, in der ihr Haus so auffällig geschmückt, war das jeder Amerikaner im Weihnachtsfieber vor Neid geplatzt wäre. Doch die restlichen elf Monate im Jahr waren sie ruhige, unscheinbare Bürger Little Winchesterfields. Sie wohnten in einem Reihenhaus, pflegten ihren Garten, gingen mit ihrem Hund spazieren und verbrachten ihre Freizeit mit Tee trinken, Spazieren gehen, Bridge oder Golf spielen. Ich liebe meine Eltern über alles, doch tat ich mir immer schwerer mit ihren Weltansichten klarzukommen. Meine Mutter, eine redefreudige Frau, die Wert auf Tradition und Ordnung legte. Die aufgrund ihrer strengen Kindheit doch recht prüde und religiös geprägt worden ist. Mein Vater, ein Geschäftsmann, der Kreuzworträtsel in Zeitungen löste, um Punkt vier seinen Tee trank und mit seinen Freunden aus dem Golfclub beim Abendessen über Golftechniken und Aktienkurse sprachen. Beides tüchtige Menschen, die immer alles richtig im Leben machen wollten. Beides Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschten, als das ihre beiden Töchter sich mit anständigen jungen Männern niederließen und den richtigen Rasenfarbton für ihr nettes Reihenhaus wählten.
So kam es meinen Eltern doch recht ungelegen, dass meine Schwester Erica weinend mit Koffer im Regen vor der Haustür stand, weil ihr Freund sie eine Woche vor Weihnachten für eine andere verlassen hat. Noch ungelegener, dass ich dazu stieß und mein erster Satz der folgende war: „Ich werde auf gar keinen Fall mit William auf ein Date gehen, Mom."
Meine Mutter war ganz aus dem Häuschen mich zu sehen. Sie nahm mir meine Jacke und den Schirm ab und drückte mich dann fest an sich.
„Über William sprechen wir wann anders. Deine Freundin Sasha hat mir nur gutes von ihm erzählt", flüsterte sie mir ins Ohr.
„Wie geht es Erica?"
„Nicht so gut. Sie hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und hört seit drei Stunden dieselben zehn Lieder auf Dauerschleife", sagte Mom und ließ mich aus ihrer Umarmung los. „Blass siehst du aus, Ellis. Isst und trinkst du denn genug? Du sitzt zu viel vor dem Computer. Diese ganze Fliegerei tut dir auf Dauer auch nicht gut."
„Danke Mom, nein mir geht es gut", versicherte ich und folgte ihr ins Wohnzimmer. Mein Dad, wie üblich auf seinem Sessel, die Lesebrille tief auf der Nase positioniert, um das Kreuzworträtsel besser lesen zu können.
„Ellis!", rief er und legte Zeitung und Stift zur Seite. Er hob sich aus dem Sessel und kam auf mich zugelaufen.
„Dad. Schön dich zu sehen", antwortete ich und umarmte ihm. Er roch wie üblich nach Aftershave und Minzkaugummi.
„Du siehst blass aus", stellte er fest und nahm seine Lesebrille ab.
„Das hat Mom auch schon gesagt."
„Du musst einfach mehr an die frische Luft", sagte er. „Soll ich uns einen Tee machen? Geh doch kurz nach deiner Schwester schauen. Der Idiot von Freund hat sie sitzengelassen. Vor Weihnachten. Kannst du dir das vorstellen? Deine Mutter war fuchsteufelswild"
„Der hat ihr eine SMS geschickt, Ellis", rief meine Mutter aus der Küche. „Dabei war er so ein Netter. Sie ist so verliebt. Der hätte sich auch einen besseren Zeitpunkt aussuchen können. Überhaupt keinen Anstand hat der."
„Ja unglaublich", antwortete ich. „Ich schau mal nach ihr."
Meine Schwester Erica hatte schon als Kind von einer weißen Hochzeit geträumt. Sie wollte irgendwo in Cornwall am Meer heiraten. Einen Franzosen oder Spanier. Er sollte blaue Augen haben und dunkle Haare. In ihren Träumen hatten sie ein großes Haus, drei Kinder (zwei Mädchen und einen Jungen) eine Nanny die Französisch sprach, zwei Labradore (einen schwarzen, einen weißen), einen Sportwagen und einen Familienwagen in der Einfahrt und machte Urlaub in den verschiedensten Ländern der Welt. Sie wollte auch mal Astronautin werden oder Hundewelpenzüchterin. Sah man die detailreiche ihres Traumlebens, fand ich ihren Berufswunsch ehrlich gesagt noch am realistischsten.
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Zimmer mit Aussicht (I + II)
Storie d'amoreEllis hält nicht viel von Beziehungen, einem nine-to-five Job und der immergleichen Aussicht aus dem Schlafzimmerfenster. Stattdessen gehören Konferenzen, Hotelbars und attraktive Businessmänner zwischen ihren Laken zu ihrem Daily Business. Zu Missg...