Kapitel 09 | 03

54 7 0
                                    

K a p i t e l 09

3

Es war nach fünf, als ich Pietro bat ein Taxi für Erica zu bestellen. Wir hatten zwei Flaschen Wein getrunken - Pietro und Luis hatten ihren Beitrag geleistet. Der Laden hatte sich im Laufe des Nachmittags gefüllt. Gäste kamen und gingen, doch Erica und ich nahmen all das nicht war. Wir saßen eng beisammen und redeten so wie wir lange nicht miteinander geredet hatten.

"Weißt du, immer bin ich den Kerlen hinterhergerannt. Konnte kaum abwarten mit ihnen zusammenzuziehen oder einen Antrag zu erhalten. Ich habe da keine Lust mehr drauf. Ich werden Jonas nicht hinterherrennen. Wir wissen beide, dass Jonas der Fuckboy schlechthin ist", hatte sie gesagt. Beim Wort Fuckboy hatte ich mich an einem Grissini verschluckt. "Schau nicht so. Auch ich kann solche Worte in meinen unschuldigen Mund nehmen." Daraufhin hatte ich noch mehr Lachen müssen. "Nein, Ellis, ehrlich, ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen. Seine Liste ist lang. Warum um himmelswillen soll ich diejenige sein, die ihn bekehrt? Bevor ich den heirate, muss er es mir schon beweisen." Ganz neue Worte, aus dem unschuldigen Mund meiner Schwester. Daraufhin hatten wir nur gelacht. "Letztens hab ich einen schwarzen String in irgendeiner Schublade gefunden. Definitiv nicht meiner. Irgendwann hab ich einen Lippenstift in seinem Badezimmer gefunden. Ich glaube nicht, dass er mich betrügt, aber ich kenn seine Historie. Schau mich an, Jonas und ich sind unterschiedlich wie Tag und Nacht. Es. Macht. Keinen. Sinn."

Erica stand leicht wankend von ihrem Barhocker auf. "Ich spüre meinen Hintern nicht mehr", sagte sie kichernd.

"Den spür ich auch nicht mehr, nachdem ich bei Elliot war", sagte ich lachend.

"Eughhh", rief Erica laut.

"Pscht!" Ich hielt meinen Zeigefinger vor die Lippen.

Pietro erschien mit Ericas Jeansjacke. Gentleman wie er war, half er ihr in die Ärmel.

"Pietro, dank dir spar ich mir den Therapeuten!", sagte ich und brachte ihm damit zum Lachen.

"Ich weiß nicht Ellis, aber ich glaube, es wird Zeit langsam dir professionelle Hilfe zu suchen, ehh?" Pietro zuckte grinsend die Schultern.

"Schon witzig, dass wir uns die Price Brüder unter den Nagel gerissen haben", sagte Erica. Ob sie das auch nüchtern noch so sehen würde, fragte ich mich. "Ich will Jonas vertrauen, aber irgendwie kann ich es noch nicht."

"Was machen wir jetzt eigentlich mit Dad?", fragte ich, als mir der eigentliche Grund für unser Daydrinking wieder einfiel.

"Daaad? Ehh.." Erica pustete ihre Wangen auf und ließ die Luft langsam raus. "Was weiß ich. Ich warte nur auf Mutters anruf. Bin gespannt, ob sie mit den Scheidungspapieren ankommt."

Wir liefen zur Tür. Pietro hielt sie uns auf.

"Ich glaube, ich bin ein wenig betrunken", sagte Erica.

"Du solltest lieber zu mir kommen, wenn dir nicht nach Zugfahren ist", sagte ich. Auch ich fragte mich, wie ich die hundert Meter zu meiner Wohnung laufen sollte, ohne vom Bürgersteig zu fallen.

"Ich ruf ihn jetzt an!", sagte Erica und fing an zu lachen. "Wo ist mein Handy, Ellis?"

Erica drehte sich um die eigene Achse und fing erneut an zu lachen, als sie feststellte, dass sie es in ihre hintere Hosentasche gesteckt hatte.

"Pietro, sicher, dass da nicht irgendwas anderes auf deiner Pizza war?!"

Pietro drehte die Augen zum Himmel. "Passt auf euch auf!"

Erica und ich schauten uns an uns lachten erneut.

"Wen wolltest du anrufen?", fragte ich und stand etwas hilflos vor Pietros Lokal.

"Jonas!", rief sie. "Er wohnt schließlich hier. Der soll mich abholen und sich dann Filme mit mir anschauen auf seiner scheiß unschuldigen Ledercouch!"

"Ich glaube, dass ist keine gute Idee!", sagte ich. Gott, ich konnte Erica in diesem Zustand nicht zu Jonas fahren lassen.

"Jonas, Jonas?", rief sie ins Telefon. Sie wankte einige Meter über den Bürgersteig und fing wieder an zu lachen. Während Erica mit Jonas telefonierte starrte ich auf mein Handy hinab. Zwei Nachrichten von Sasha. Es ging um Jessica und ihre Verlobung. Eine Nachricht von Leyla, die fragte, wann und ob ich nach Hause kommen würde. Ich solle ich bescheid geben, sobald ich auf dem Rückweg war. Ja Mutter, dachte ich mir. Die letzte Nachricht war von Anja. Ein Link zu einem Onlineartikel. Meine Finger schwebten einen Moment über den Link. Ich presste die Lippen aufeinander und klickte ihn an.

Smart vs Sexy. Wer ist nun die Frau an Elliot Prices Seite?

Sie ist vieles, Nadja Nabieva, bildhübsch, wohlhabend, stilvoll und laut ihrer neuen Show <It's all about the money, honey, isn't it?> auch ein echtes Talent vor der TV-Kamera. Doch eins ist sie nicht, Elliot Prices Freundin. Oder etwa doch? Laut aktuellen Gerüchten kann es kein Zufall sein, dass Elliot Price so häufig mit der Laufstegschönheit gesehen wird. Sie arbeiten an der Münchner Sustainable Fashion Show zusammen, doch was passiert hinter den Kulissen, wenn work und business einmal nicht im Mittelpunkt stehen? Die Beziehung begann turbulent. Tech Tycoon mit Supermodel, give me the spicy details, please. Doch dann trennte sich das Traumpaar. Sie verfolgen unterschiedliche Ziele. Er habe noch mit der Trennung seiner Frau zu kämpfen. Wer kann es ihm verübeln, nachdem was vorgefallen ist. Elliot Price war keine vier Monate von Nadja getrennt, da taucht jedoch aus dem nichts der Name Ellis Shephard auf. Ein neuer Name, der die Schlagzeilen eroberte. Auf die Frage, ob Ellis Shephard die Neue an seiner Seite sei, gibt es keine offiziellen Antworten. Es scheint so, als ob sie es beide selber nicht wüssten. Ein Fling? Eine Situationship, Freundschaft plus, wie es heutzutage heißt? Eine polyamore Beziehungsform? Das würde erklären, warum Elliot und Nadja noch immer so vertraut miteinander umgehen. Ellis Shephard, CEO, mag zwar kein Supermodel sein, doch glänzt sie anscheinend durch ihre smarte Art. Sie sei all business and no bullshit. Sich in der Öffentlichkeit zeigen, scheint nicht ihre Art zu sein. Mit einem Tech Titan wie Price an ihrer Seite, könnte sie in ganz neue Sphären gelangen. Ein Ticket in die High Society Londons damit ergattern. Doch dafür sieht man die beiden erstaunlich selten zusammen. Was spielen die beiden also hinter verschlossenen Türen?

"Er lässt uns abholen", riss mich Erica aus den Gedanken.

"Uns?", fragte ich.

"Ja mich und dich."

"Aber ich wohne hier?"

Erica grinste. "Er ist bei irgendeiner Eröffnung einer Kunstausstellung. Seine Worte waren: "Die Bilder sind so bizarr, das musst du sehen Erica. Ich musste selber schon drei Gläser Champagner trinken, um diesen Nachmittag zu überstehen. Es ist als ob Van Gogh eine Orgie mit Picasso, Frida Kahlo und Gérard Garouste im Tate Modern hatten und das dabei rauskam.""

"Warum ist er dann da?"

"Die Bilder werden für eine Benefizveranstaltung versteigert. Irgendein Freund von ihm organisiert es. Er hat versprochen hinzugehen."

"Warum soll ich denn dann bitte mit?", fragte ich irritiert.

Erica schaute auf den Boden. "Gegebenenfalls habe ich ihm gesagt, dass du mitkommen willst."

"Warum solltest ich das tun?"

"Naja, weil du doch ein so großer Fan von Modern Art bist." Erica schaute mich mit dem unschuldigsten Blick an, den sie hätte aufsetzen können. "Er ist mit William hingegangen." 

Zimmer mit Aussicht (I + II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt