Kapitel 06 | 1 | Edited

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K A P I T E L 06

1

London

Endlose Weite rauschte am Fenster vorbei. Am Horizont begann der Himmel sich rosablau zu färben. Aus Williams Musikanlage ertönte ein entspannter Indie-Song begleitet durch den Klang einer Gitarre. Ideal um den Gedanken einen Moment Pause zu gönnen. Schweigend starrte ich hinaus. Mein Blick auf den Mond gerichtet der am Himmel immer heller wurde. Ich hörte wie William zur Musik auf sein Lenkrad trommelte. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich wie er hin und wieder in meine Richtung blickte.

Viele Worte hatten wir noch nicht gewechselt. Ein Fan von Smalltalk schienen wir beide nicht zu sein. Doch das Schweigen war angenehm. Gar erfrischend. Es schien uns beiden gut zu tun. Wir waren beide nach dem Wochenende vermutlich erst einmal froh darüber, keine weiteren unangenehme Fragen beantworten zu müssen.

Ich wand mein Blick von der Aussicht ab und blickte zu William. Mit konzentriertem Gesichtsausdruck schaute er auf die Straße. Seine wilden Haare waren ihm in die Stirn gefallen. Auf der Nase saß eine Brille.

„Was denkst du gerade?", schoss es mir unbedacht heraus. William nahm den Blick kurz von der Straße und schaute mich an. Er schmunzelte. Dann dachte er nach. Sein Blick zurück auf die Straße gerichtet.

„Dieses Lied habe ich vor langer Zeit das erste Mal auf einem kleinen Festival in Edinburgh gehört. Die Band war nicht bekannt. Doch sie machten gute Musik. Sie gaben mir den Mut Liza – dem damals angesagtestem Girl der Jahrgangsstufe – meinen Arm um die Schulter zu legen. Als der letzte Song von ihnen ertönte, der hier, hatte ich sie so weit, dass ich sie versuchte zu küssen. Sie klatschte mir eine. Zugegebenermaßen war ich kein besonders guter Küsser."

„Charmant", gab ich lachend zurück.

„Nun gut, drei Jahre später und wir würden hemmungslos wilden Sex in meinem Studentenzimmer haben."

Ich starrte William einen kurzen Moment an.

„Wir waren vier Jahre zusammen", sagte er schulterzuckend. „Dafür dass sie mich zu diesem Song nicht küssen wollte, hatten wir später verdammt guten Sex, so im Nachhinein betrachtet."

William schwieg eine Weile. Die Erinnerungen vermutlich bei Liza, der Frau die ihn in den Sado-Maso Himmel entführt hat.

„Wo schwelgen deine Gedanken?"

Bei der Vorstellung wie Liza dir auf deinem ranzigen Studentenbett in Lederkluft und Fuchsschwanz einen bläst. London schien nicht gerade näher zu kommen.

„Ich denke an nichts Besonderes."

„Bullshit. Du hast dir gerade vorgestellt, wie ich im Bett aussehe."

„Entschuldigung?", antwortete ich perplex, doch ein Lachen konnte ich mir nicht unterdrücken. „Ja wenn du mir sowas erzählst?"

William lachte auf und starrte mit breitem Grinsen auf die Straße hinaus.

„Verstehst du dich gut mit Erica?", sagte William nach einigen schweigsamen Minuten. Neben mir am Fenster vorbeifliegende Schafe auf grünen Wiesen. Ich dachte nach. Sah Erica und mich als Kinder. Waren wir schon immer so unterschiedlich gewesen? Sie träumte von Haus und Kinder, ich von Erfolg und Freiheit. Erica war die ruhige gewesen. Ich die Laute. Sie versteckte sich vom Rampenlicht. Ich suchte danach.

„Wir sind unterschiedlich. Wir sehen uns selten. Ich denke schon.", sagte ich. Meinen Blick nahm ich nicht vom Fenster. Die Schafe verschwanden. Auf der Scheibe imaginäre Bilder von Erica und mir, die sich wie in einem Film vor mir abspielten. Zwischen Ericas Gesicht immer wieder das von Elaine. Ich hatte Angst vor dem Tag, an dem ich es vergessen würde.

Zimmer mit Aussicht (I + II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt