Kapitel 15 | 4 | Edited

252 21 5
                                    

K A P I T E L 15

4

Es war der letzte Abend unserer Woche. Während Lucy, Georg und Adam am Tisch saßen und Karten spielten, hatten Anja und ich beschlossen uns mit einem Glas Weißwein an den Rand des Pools zu setzen und den Sonnenuntergang zu beobachten. Anja hatte Farbe bekommen, sie sah entspannter aus, als noch vor einer Woche. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden, sie trug einen roten Badeanzug der ihr gut stand. Mit verträumten Blick schaute sie hinaus.

"Wir werden erfolgreich sein, Ellis. Ich weiß es einfach. Auch wenn es harte Arbeit ist", sagte sie. "Manchmal, da diskutiere ich viel mit meinem Freund. Ich komme spät nach Hause, meine Gedanken kreisen eher um die Meetings am nächsten Tag, als um die Wäsche die sich ansammelt. Er wollte sich verloben mit mir, wusstest du das Ellis?"

"Nein."

"Ich habe ihm gesagt, dass ich noch nicht soweit bin. Er konnte es nicht nachvollziehen. Letztens meinte er, wenn ich unbedingt lieber mit meinem Job verheiratet wäre, solle ich doch gehen. Er versteht es nicht. Dabei arbeitet er selber in einer großen Firma. Ist da Abteilungsleiter. Er darf mir Abends von seinen Meetings und seinen nervigen Kollegen erzählen, aber ich, ich solle mich entspannen, es sei ja nur ein Job und nicht das wahre Leben."

Ich schnaufte. Es war lange her, dass Anja und ich die Zeit fanden uns wirklich in der Tiefe zu unterhalten.

"Meine letzte Beziehung habe ich beendet, weil ich beides nicht verbinden konnte. Es wird erwartet, dass wir Frauen finanziell unabhängig sind, aber bloß keine Karriere machen, denn das geht auf Kosten von Familie und Partnerschaft. Es ist irgendwie alles so... schwierig. Man soll alles sein, aber dennoch irgendwie... den Traditionen entsprechen."

Anja lachte. "Letztens haben wir uns eine Stunde darüber gestritten, dass ich die ganze Hausarbeit mache, während er mit seinen Kumpels online zockt. Wie alt ist er, zwölf? Ich habe das Gefühl, er will nicht, dass ich finanziell abhängig bin von ihm. Alles muss immer genau geteilt werden, aber er will dennoch dass ich Abends was koche oder seine Hemden bügel."

"Tja, vielleicht merken sie, dass sie in der heutigen Zeit mehr mitbringen müssen als Kohle. Wenn jeder unabhängig ist, müssen wir andere Gründe finden, zusammenbleiben zu wollen. Da muss man sich vielleicht etwas mehr anstrengen.", sagte ich. "Komm, wir stoßen an, auf diese erfolgreiche Woche. Auf Frauenpower."

Wir hoben die Gläser und stießen an.

"Ellis, weißt du, warum ich mich hier so reinhänge", begann Anja, nachdem wir eine Weile schweigend in die Ferne geschaut hatten. "Die Welt ist voller Kapitalismus. Es geht um Konsum und Ausbeutung. Social Media und Werbung vermittelt uns eine Welt, in der wir nichts sind, wenn wir nicht bestimmte Hautpflegeprodukte konsumieren, nach Bali fliegen oder das neuste Handy haben. Die meisten Produkte machen diese Welt nicht besser. In den meisten Firmen wäre ich nur eine Nummer. Eine Mitarbeiterin die einen Konzern noch reicher macht.

Wir zusammen, das ganze Team, wir versuchen wirklich die Welt ein wenig besser zu machen und Jugendlichen die Chance zu geben, einfacheren Zugang zu Hilfe zu erhalten."

"Das hast du schön gesagt", antwortete ich.

"Ich hatte als Teenager Depressionen. Nicht in dem Ausmaß wie deine Schwester. Aber ich hatte einige Perioden in meiner Schulzeit, in denen es mir gar nicht gut ging. Meine Familie konnte sich locker einen Psychiater leisten. Ich weiß nicht, was wäre, wenn sie das Geld nicht gehabt hätten."

"Das habe ich nicht gewusst."

"Ich habe es auch nie erzählt."

Schweigend schauten wir zu, wie die Sonne am Horizont verschwand.

"Anja, ich sitze ziemlich in der Scheiße gerade", sagte ich schließlich.

"Mein Freund hat mir den Artikel weitergeleitet."

"Ich will nicht, dass du denkst, dass ich Price nur zu unserem eigenem Zweck genutzt habe."

"Ich weiß. Aber Publicity ist Publicity. Was meinst du wie viel Aufmerksamkeit wir gewinnen werden, wenn du und Price ein Paar wärt. Tech-Gigant Price mit CEO Shephard vermählt. All eyes on us, Shepherd. Denk drüber nach."

Anja grinste mich an und leerte ihr Glas.

"Hat er noch einen heißen Bruder, oder Freund?", fragte Anja.

Ich musste laut auflachen. Das Fass, wollte ich jetzt, sicherlich nicht auch noch aufmachen.

"Ihr habt euch auf der Konferenz kennengelernt, oder?"

"Ja. Er ist abends in mein Hotelzimmer gekommen."

Anja starrte mich an.

"Wie hast du das denn gemacht?"

"Frag lieber nicht."

"Nun ja, es könnte zu unserem Vorteil sein. Julia wird dich jetzt übrigens wirklich hassen."

"Ich hatte doch gesagt, ich arbeite an einer Marketingstrategie. Wie die aussehen würde, hatte ich nicht genau definiert"

Anja lachte laut.

"Ich würde sagen, sie hat funktioniert."

Unser Lachen verklang in der Ferne. Ich legte meinen Arm um ihre Schultern.

"Das ist also der wahre Grund, warum du dir einige Tage Auszeit nimmst."

"Das Weingut hat mir Elliot empfohlen. Er hatte es nach seiner Scheidung für einen Retreat genutzt. Hat Wein produziert, in die Ferne geschaut und meditiert."

"Ich hoffe du findest dort, was du suchst."

Ein Schmetterling ließ sich am Rand des Pools nieder. Im Hintergrund zwitschern einige Vögel. London schien in diesem Moment so weit weg zu sein. Es wäre zu verlockend, gar nicht mehr heimzufliegen. 

Zimmer mit Aussicht (I + II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt