Kapitel 12 | 4 | Edited

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K A P I T E L 12

4

Als es zwei Uhr war, saß ich im Schneidersitz in einen der roten Sessel. Meine Füße auf den kleinen Beistelltisch gelegt, auf den zwei Flaschen Champagner standen. Elliot saß auf dem Teppich, mit den Rücken an das Bett gelehnt. Im Hintergrund das leise Surren der Klimaanlage. Ansonsten war es still. Doch die Ruhe, hier oben im vierunddreißigsten Stockwerk herrschte, war anders. Unter uns war eine lebendige Stadt. Die Lichter der Autos die durch die Straßen fuhren vermischten sich mit den Lichtern der Straßenlaternen, Neonleuchten und noch nicht abgehängter Weihnachtsdekoration. Die Stadt war laut. Doch hier oben, da war sie still.

Elliot und ich hatten in den letzten Wochen nie über unsere nächtlichen Rendevouz gesprochen. Nie über das Spiel, was wir beide genossen. Ich glaube, wir mochten beide die Gesellschaft. Wir wussten, wie die Spielregeln waren. Wir wussten, dass es zu Ende sein würde, wenn einer mehr wollte, als der andere geben konnte. So unterschiedlich wir waren, so hatten wir doch einige Gemeinsamkeiten. Unsere Gespräche mochten immer tiefsinniger werden, immer privater, intimer, doch beinhalteten sie nie eine Reflektion unserer Beziehung. Weder ich fragte ihn, nach mehr, noch wollte er mehr.

Ob wir mit dem Abendessen eine unserer imaginären Grenzen überschritten hatten, wusste ich nicht. Ich beschloss es gelten zu lassen.

Das Zusammenstoßen mit dem Reporter hatte mir zu Denken gegeben. Es hatte uns beiden klar gemacht, wie vorsichtig wir sein mussten. Wir wollten beide nicht, dass unsere Rendezvous an die Öffentlichkeit gelangen. Elliot war kein uneinflussreicher Mann. Das wusste ich. Ich hatte es beenden wollen. Ich hielt es für das richtige. Aber was galt es zu beenden, was es nie offizielles gab?


"Weißt du, warum sie die Bilder in Hotelzimmern an die Wand festmachen?", riss mich Elliot aus den Gedanken.

"Warum?"

"Weil immer mehr Menschen angefangen haben, sie von den Wänden abzunehmen und Zeichnungen um Texte auf den Rückseiten zu hinterlassen. Deshalb hat man sie irgendwann angefangen fest zu machen."

"Das ist doch nur ein Mythos, Elliot."

"Was für eine andere Begründung hätte es?"

"Damit sie bei einem Erdbeben nicht auf dich niederbrettern? Damit sie nicht immer neu ausgerichtet werden müssen? Damit sie keiner klaut? Es gibt tausende Gründe."

"Hast du schon einmal versucht ein zwei Meter Gemälde zu stehlen?"

"Noch nicht."

Elliot lachte.

"Vielleicht ist es auch nur ein Mythos, du hast recht", sagte er schließlich und stand auf. "Jetzt wo ich drüber nachdenke, ich könnte dir nicht einmal eine Quelle geben." Elliot lief um das Bett herum und blieb vor einem großen, unheimlich hässlichem Gemälde stehen. Er fasste mit beiden Händen an den Rahmen und versuchte es abzunehmen.

"Das ist so grotesk, das würde auch so keiner stehlen wollen", sagte ich. "Was ist das überhaupt? Ein Zentaur auf LSD bei einer Wald-Rave?"

Ich erhob mich aus meinem Sessel und stellte mich zu Elliot, der nun mit geneigtem Kopf auf das Gemälde schaute.

"Keine Ahnung auf was für Drogen der Künstler war, aber gesund kann das nicht gewesen sein", fügte ich hinzu.

"Es ist wirklich unheimlich hässlich", stimmte Elliot mir zu. "Schau mal, sie haben sogar die kleinsten Details nicht ausgelassen", sagte ich und zeigte mit meinem Zeigefinger zwischen die Beine des Zentauren. Der starrte uns nur drohend mit roten Teufelsaugen an. "Und im Hintergrund... sind das kleine Feen die umherfliegen? Sie haben Brüste mit Nippeln. Die Feen. Blaue kleine Nippel. Die eine Fee saugt an dem Nippel der anderen."

Elliot musste unweigerlich lachen. "Nennt sich vermutlich modern Art."

"Der Mond ist auch etwas komisch", sagte ich und starrte auf den gelben Kreis am dunklen Himmel. Er hatte Augen die aus jeweils einem Kreuz bestanden. Im Gesicht ein riesiger Mund mit spitzen Zähnen. Neben dem Mond eine Wolke auf der ein Kaninchen saß, das ein Fuchsfellmantel anhatte. Aus den Ohren kam Konfetti.

"Wer richtet bitte ein Hotelzimmer ein und denkt sich, wahnsinn, dieses Kunstwerk hängen wir neben das Bett", fragte ich.

Elliot nickte.

"Lass uns lieber noch einmal die Dusche mit dem Ausblick genießen bevor ich heute Nacht Albträume bekomme", sagte er, nahm meinen Arm und zog mich in Richtung Badezimmer.

Er drückte mich gegen die kalten Fliesen, presste seinen Körper an mich und umgriff meinen Hintern.

Die Gedanken an LSD-Häschen mit Konfetti in den Ohren, lang verdrängt.  

Zimmer mit Aussicht (I + II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt