15 | Bericht

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Ich fühle mich wie im Rausch. Was ist da gerade passiert? Ungläubig lasse ich mich auf den Rasen sinken. So sehr ich es will, ich kann es nicht begreifen. Ich sitze hier in Augsburg auf dem Rasen des Stadions in dem ich gerade mein A-Länderspiel Debüt bestritten habe und dabei direkt einen Assist erzielen durfte. Geht es überhaupt noch besser? Es fühlt sich einfach so an, wie in einem Traum. Nie und nimmer hätte ich damit gerechnet und vor allem nicht, dass es so schnell passiert. Ich kann die Gedanken an den Punkt, von dem ich herkomme, nicht ganz verdrängen. ,,Kommst du mit rein? Es wird kalt“, meint Jule. ,,Ja klar“, antworte ich und lasse mich von Jule hoch ziehen. ,,Ich bin so stolz auf dich“, flüstert sie und umarmt mich. Ich drücke sie einfach nur an mich. Womit habe ich das alles verdient?

Am nächsten Morgen werde ich zur Abwechslung Mal wieder von meinem Wecker geweckt. Das liegt aber wahrscheinlich auch nur daran, dass ich extrem schlecht geschlafen habe. Es wundert mich nicht, schließlich muss ich das alles erstmal noch verarbeiten. ,,Guten Morgen Kleine“, sagt Melly. ,,Morgen. Nennst du mich jetzt etwa auch Kleine?“, erwidere ich. ,,Pia hat mich dazu inspiriert. Aber Recht hat sie ja schon“, grinst sie. ,,Lustig. Was auch immer ihr nur alle damit habt.“ ,,Tja, du bist eben einfach unser Nesthäkchen“, meint Melly und schlägt ihre Decke zurück. ,,Komm, wir sollten uns langsam Mal fertig machen.“ Nach den Frühstück haben wir direkt eine Regenerationseinheit. Gerade bei der Natio wird das als sehr wichtig angesehen. Vor Allem wenn jetzt in den nächsten Wochen die Champions League losgeht. Darauf freue ich mich auch schon ganz besonders. Ich muss zugeben, dass das so ziemlich das Einzige ist, dass ich in meiner Absenz vermisst habe. Die Champions League Spiele, die ich bestreiten durfte, waren alle mega.

Zurück im Zimmer werfe ich wie immer einen Blick auf mein Handy. Sofort fällt mir eine Schlagzeile ins Auge. Louisa Rauch gibt Länderspiel Debüt – kommt jetzt die nächste Rauch-Schwester ganz groß raus? Eigentlich will ich es nicht, aber mein Finger klingt auf den Artikel.

6:0 lautete das Ergebnis der Fußball Nationalmannschaft der Frauen. Doch ganz besonders heraus stach dabei die Debütantin Louisa Rauch. Etwas überraschend hatte sie nicht nur ihre erste Nominierung sondern auch ihren ersten Minuten auf dem Platz bekommen. Die Wolfsburgerin, die schon vor zwei Jahren als sehr großes Talent gehandelt wurde, kam nach einer langen Pause erst im Sommer wieder zurück in die Öffentlichkeit und bestätigt sofort, warum sie aktuell die größte Hoffnung für die Zukunft ist. Den Treffer zum 6:0 bereitete sie für Teamkollegin Jule Brand vor. Ihr Talent kommt jedoch nicht von ungefähr. Ihre große Schwester Felicitas Rauch, die aufgrund den Nachwirkungen einer Gehirnerschütterung für die Länderspiele passen musste, spielt schon lange beim VfL Wolfsburg und ist auch in der Nationalmannschaft zu einer festen Größe gereift. Gerade bei der WM in Sommer überzeugte sie mit tollen Abwehrleistungen. Ihre jünger Schwester wird allerdings eher mit Toren überzeugen. Louisa Rauch ist flexibel im Sturm einsetzbar und hat in der Vergangenheit für Wolfsburg schon das eine oder andere sehenswerte Tor erzielt. Nach ihrer Abwesenheit scheint sie nun noch stärker zurück zu kommen. Bisher sprach Rauch nie öffentlich über die Gründe für ihren Rückzug. Nachdem es öffentlich wurde, dass Felicitas und Louisa Schwestern sind, hat sie sich schnell von der Bildfläche verabschiedet. Lediglich die U-20 WM hatte sie noch erfolgreich abgeschlossen. Zu dem Zeitpunkt war Rauch auch erst 16 Jahre alt. In diesem Alter schon so unterwegs zu sein, ist nicht leicht und bei so einer Schwester steigt natürlich auch der Druck von außerhalb. Ob die mittlerweile 18-jährige Debütantin nun besser damit umgehen kann, bleibt abzuwarten.

Ich hätte es wahrscheinlich nicht lesen sollen, aber es ist dennoch passiert. Über das Thema Druck habe ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht. Aber es stimmt. Der Druck wird größer werden. Feli ist eben eine sehr erfolgreiche und bekannte Fußballerin und ihr das nachzumachen wird nicht leicht werden. Vor allem jetzt nicht mehr. Jetzt stehe ich wohl wieder im vollen Fokus der Medien. Die Nationalmannschaft bekommt eben eine sehr große Aufmerksamkeit und ich dann wohl auch. Ich spüre die Tränen in mir aufsteigen. ,,Ich gehe kurz zu Jule“, sage ich schnell zu Melly und verlasse dann das Zimmer. Zum Glück ist Jules Zimmer nicht weit weg. Paulina öffnet die Tür, nachdem ich geklopft habe. ,,Ist Jule da?“, frage ich und kann die Tränen gerade noch zurückhalten. Ich will eigentlich nicht vor Paulina anfangen zu weinen. ,,Hier bin ich“, grinst Jule, doch als sie an Paulina vorbei tritt und mich sieht, ändert sich ihr Gesichtsausdruck schlagartig. Schnell schließt sie die Tür hinter uns und zieht mich mit sich. Wieder gehen wir auch die Bank nach draußen.

,,Was ist passiert?“, fragt Jule sofort und nimmt mich in den Arm. ,,Ich…ich weiß es nicht“, sage ich zögerlich. Wirklich wissen, was passiert ist, tue ich wirklich nicht. Es war dieser Artikel und dann Zack. ,,Hast du den Bericht gelesen?“, erkundigt sich Jule. ,,Welchen?“ ,,Den über dein Debüt und den, ich sag mal, Vergleich mit Feli.“ ,,Ja, habe ich“, sage ich leise und denke den Kopf. ,,Ach Lou. Das hättest du nicht machen sollen“, meint Jule. ,,Ich weiß, aber es ging nicht anders“. ,,Du weißt, dass das Bullshit ist, was die schreiben?“, fragt Jule. ,,Nein, ist es nicht. Es stimmt“, widerspreche ich. ,,Doch. Natürlich nicht alles. Was sie positiv über dich geschrieben haben, stimmt wirklich alles. Aber ganz ehrlich, hör nicht auf die. Genau die machen diesen Druck von außen und der muss für dich vollkommen irrelevant sein. Du bist du und Feli ist Feli. Das weiß du und das ist auch richtig so. Ihr seid zwar Schwestern, aber Feli spielt ja auf einer ganz anderen Position wie du. Das kann man gar nicht richtig vergleichen. Und du darfst wirklich nicht darauf hören. Ja, du stehst nun wieder mehr in der Öffentlichkeit, aber du bist an deinen Erfahrungen gewachsen und kannst damit jetzt umgehen. Du bist stark. Das weiß ich“, sagt Jule und drückt mich an sich. ,,Was würde ich nur ohne dich machen?“ ,,Das kann ich dich auch fragen“, erwidert Jule. ,,Danke, dass du so für mich da bist“, sage ich und merke, wie ich in ihren Armen wieder etwas mehr entspannen kann.

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