Am nächsten Vormittag steht dann unsere erste Trainingseinheit an. Der gestrige Tag war dann an sich gesehen relativ ereignislos, für mich allerdings überfordernd. Wir hatten noch eine kleine Besprechung, in der es um die anstehenden Spiele in der EM Qualifikation gegen Nordirland und Lettland ging. Den Nachmittag hatten wir frei zur Verfügung. Die meiste Zeit saßen wir allerdings zusammen und haben geredet. Gerade die Spielerinnen, die schon eine Weile bei der Natio spielen, hatten sich einiges zu erzählen. Ich habe auch fast alle anderen mittlerweile kennengelernt und wirklich alle sind extrem nett. Ich wurde sofort ohne wenn und aber aufgenommen. Natürlich gab es ein paar Fragen zu Feli’s und meiner Geschichte, aber ich hatte keine Probleme damit, es zu erzählen. Ich spüre, dass ich den Mädels vertrauen kann und außerdem hat bestimmt auch Feli schon mal davon erzählt.
Jetzt geht es aber zum ersten Mal auf den Platz. Nach dem Frühstück gehen Melly und ich wieder auf unser Zimmer, um uns fertig zu machen. Wir arrangieren uns echt gut. Gestern der Abend war noch total schön, wobei ich es immer noch nicht ganz realisiert habe, dass ich mit einem meiner größten Idole auf einem Zimmer bin. ,,Bereit für dein erstes Training?“, fragt sie während wir uns umziehen. ,,Ich hoffe doch. Ich bin ziemlich nervös, aber das wird schon irgendwie“, erwidere ich. ,,Ich bin echt gespannt zu sehen, was du so drauf hast“, grinst Melly. ,,Erhöh den Druck nicht noch mehr“, rufe ich lachend und schnappe mir meinen Beutel mit Schuhen und Flasche. Wir verlassen das Zimmer und gehen nach draußen zum Treffpunkt am Bus. Von dort geht es dann zum Stadion, in dem wir trainieren dürfen. ,,Alles wird gut“, flüstert Jule mir noch zu, dann geht es los.
Heute ist es allerdings eine relativ lockere Trainingseinheit, wie Martina zu Beginn direkt erklärt. Das scheint schon Mal gut für mich. Und die Überforderung hält sich auch wirklich in Grenzen. Trotzdem ist das Training unglaublich anstrengend für mich. Namen, Kommandos und anderes sind noch ziemlich neu und damit muss ich erstmal klarkommen. Zwar wird mir so gut es geht geholfen, aber allein schon sich darauf zu konzentrieren alles richtig zu verstehen, ist schon anstrengend und dann kommt noch die Ausführung dazu. Am Ende bin ich total erledigt. Im Bus lasse ich mich völlig erschöpft auf meinen Platz fallen. ,,Müde?“, fragt Jule, die sich neben mich setzt. ,,Jap, das Training hier ist dann doch nochmal eine andere Herausforderung wie in Wolfsburg“, erwidere ich. ,,Das glaub ich, aber man gewöhnt sich daran.“.
Doch schnell geht das auf jeden Fall nicht. Nachdem wir gestern uns wieder etwas mehr aufeinander abstimmen konnten, oder besser gesagt die anderen sich wieder aufeinander abstimmen konnten, denn für mich ist ja alles neu, wird heute das Tempo dann ordentlich angezogen. Wir haben morgens direkt eine sehr lange Einheit bestehend aus kleinen Spielformen, Standardsituationen und Flanken und Torabschlüssen. Ich hetzte einfach nur hinterher, mache das was mir gesagt wird. Für mich ist das einfach nur stressig. Ich komme kaum mit, fühle mich teilweise nicht beachtet, da die Aufteilung bei Standardsituationen von älteren Lehrgängen weiter übernommen wurden. Es läuft auch nicht gut. Nach einem weiteren missglückten Torabschluss bleibe ich kurz stehen und stütze mich auf meine Oberschenkel. Ich kann nicht mehr. ,,Alles gut?“, fragt Tabsi, von der die Flanke gerade kam. ,,Ja, passt“, sage ich und gehe zurück zu meiner Position. Ich darf nicht schlappmachen. Ich darf keine Schwäche zeigen. Ich muss beweisen, dass ich zuerst hier bin. Am Nachmittag haben wir dann noch eine Einheit im Kraftraum. Immerhin erledigen wir dort die gleichen Programme wie im Verein. Immerhin etwas. Ich will gar nicht wissen, was mich sonst erwarten würde. Und selbst das normale Programm ist schon fast zu viel für mich. Natürlich läuft Musik im Kraftraum, aber nicht Mal das bringt etwas. Während die anderen hin und wieder ein paar Späße machen, trainiere ich mir stumm vor mich hin ohne auf irgendwen zu achten. Es ist mir einfach zu viel. Natürlich war mir klar, dass es hier nochmal andere zur Sache geht, aber nicht so extrem. Ich bin überfordert und diesmal im negativen Sinn, nicht so wie die Tage zuvor.
,,Hast du keinen Hunger?“, fragt mich Melly beim Abendessen. Sie, Sjoeke, Jule, Kathy und ich sitzen zusammen an einem Tisch und während sich die vier ordentlich am Salatbuffet bedient haben, ist es bei mir nur ein kleines bisschen Karottensalat geworden. ,,Nicht wirklich“, erwidere ich. Jule wirft mir einen bedeutenden Blick zu. Ich weiß genau, dass sie mir das nicht abkauft. Melly jedoch nickt einfach nur. Sie weiß eben auch nicht, was in meiner Vergangenheit passiert ist. Letztendlich schaffe ich es beim Hauptgang etwas mehr zu essen. Ich weiß, dass ich es tun muss. ,,Komm, wir gehen noch ein kleine Runde spazieren“, meint Jule, als wir fertig sind mit essen. Ohne, das ich die Chance bekomme zu protestieren, zieht sie mich nach draußen. Dort schleift sie mich zu einer Bank. ,,Was ist los?“, fragt sie als wir uns setzen. ,,Nichts“, lüge ich. ,,Das kannst du jedem erzählen, aber nicht mir“, entgegnet Jule. ,,Es ist irgendwie alles ziemlich viel gerade“, seufze ich. ,,Das Training oder was?“ ,,Alles. Das Tempo ist nochmal ganz was anderes, ich komme mit den Namen kaum klar und dadurch hinke ich mir hinterher. Und dann muss ich ja auch noch gut sein“, erkläre ich. ,,Den letzten Satz streichst du bitte sofort aus deinem Kopf. Hier geht es nicht darum gut zu sein. Es geht vor allem darum sein bestes zu geben und das versuchst du. Das sehe ich. Aber ich sehe leider auch, dass dich das überfordert. Vor allem im Kraftraum warst du extrem still und das beim Essen gerade ist nicht weniger beunruhigend. Ich mache mir echt wieder Sorgen. Ist es….?“, setzt sie an und nimmt meine Hand. ,,Ist es was?“ ,,Ist es so wie beim letzten Mal?“ Ich zögere kurz bis ich ihr antworte. ,,Nein. So schlimm ist es nicht. Ich muss nur darauf klarkommen, dass das hier etwas anders ist. Morgen kann das doch bestimmt schon besser sein.“ Ich merke Jule, die Erleichterung an. Sie war dabei, als ich den tiefsten Punkt meines Lebens erreicht hatte. ,,Du weißt, dass du dich immer an mich wenden kannst. Vor allem wenn es doch schlimmer werden sollte“, sagt sie. Ich nicke. ,,Aber es wird nicht dazu kommen, okay? Du bist stark, du bist gut. Schalte deine Gedanken aus und zeig, was du drauf hast. Den du bist völlig zurecht hier.“
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Flowers need time to bloom
FanficEineinhalb Jahre später hat sich vieles für Lou verändert. Nachdem sie sich zurückgezogen hat und in aller Ruhe ihr Abitur gemacht hat, kommt sie wieder in die erste Mannschaft des VfL Wolfsburg und versucht einen Neustart. Rasant geht es aufwärts u...