,,Ist bei dir alles okay?“, wende ich mich einige Tage später an Jule. In den letzten Tagen war sie etwas abweisend zu mir. Nicht, dass es groß aufgefallen ist, aber ich habe es natürlich bemerkt. ,,Ja klar, warum nicht?“, erwidert sie. ,,Du wirst irgendwie abweisend seit ein paar Tagen. Ist irgendwas passiert?“ Ich will das mit Jule klären, sonst mache ich mir noch mehr Gedanken darüber und ich sollte meinen vollen Fokus auf das Training legen. Wenn ich recht drüber nachdenke, ist Jule seit dem Mario Kart Abend so drauf. ,,Was ist mit Melly los?“, fragt sie und spricht damit das aus, woran ich im selben Moment auch gedacht habe. Ich seufze. ,,Jule, wie oft noch? Es ist exakt nichts! Sie ist eine gute Freundin von mir. Wir sitzen eben Mal nebeneinander auf einem Sitzsack und umarmen uns. Das ist normal unter Freunden. Du und Tabsi verhaltet euch doch genauso“, verteidige ich mich. Ich habe es schon so oft getan. Immer wieder kommt das Thema Melly bei uns auf. ,,Ist ja gut. Ich weiß auch nicht. Irgendwie ist das alles auch ziemlich viel gerade. Das Training, der Druck. Wahrscheinlich habe ich einfach wieder überreagiert“, meint Jule. ,,Es ist doch alles gut. Und ich sage es dir auch gerne zum hundertsten Mal. Zwischen mir und Melly läuft rein gar nichts.“ Ich nehme Jule in den Arm. ,,Du brauchst dir da wirklich absolut keine Sorgen machen. Und was das Thema Druck angeht. Ich will definitiv nicht naiv sein, aber ganz ehrlich, ich glaube, dass du deinen Platz im Kader ziemlich sicher hast. Martina war schon immer begeistert von dir und was du gerade im Training zeigst, ist einfach der Hammer. Du weißt gar nicht, wie gut du bist“, fahre ich fort. ,,Das hast du schön gesagt. Ich hoffe einfach so sehr, dass ich zu Olympia darf. Ich war schon bei der WM. Das setzt einen schon unter Druck es auch in den Olympia Kader zu schaffen.“ ,,Das stimmt, aber du bist diesem Druck gewachsen und wenn Martina dich nicht mitnehmen sollte, wen dann?“ ,,Dich“, grinst Jule. ,,Das ist dann nochmal eine ganz andere Sache. Wir sollten uns fürs Training fertig machen“, wechsele ich das Thema.
Auch ich fühle den Druck, der auf meinen Schultern lastet. Ich merke, dass ich im Training nicht das zeige, was ich wirklich drauf habe. Ich kann eigentlich so viel mehr, aber sobald ich gerade auf dem Trainingsplatz stehe, fühle ich mich gehemmt. Ich bringe nicht das auf den Platz, was ich soll. Die dadurch entstehende Frustration macht es nicht leichter. Immerhin hat Martina für heute eine Einheit angesetzt, die mir Spaß machen wir. Es geht um Zweikämpfe und Umschaltmomente. Eigentlich ist das gar nicht das allerwichtigste in meinem Spiel als Stürmerin, aber trotzdem gehört es fest mit dazu. Die Angriffsreihe ist die erste Verteidigung, heißt es doch so schön. Und Zweikämpfe muss ich sowieso führen, um mich gegen die Abwehrspielerinnen durchzusetzen. Alle zusammen radeln wir zum Platz. ,,Na, bist du motiviert?“, fragt Feli, die neben mir radelt. ,,Aber sowas von. Du weiß, dass es eine meine Lieblingseinheiten ist“, grinse ich. ,,Dann will ich dich aber nachher nach dem Training endlich Mal strahlen sehen. Die letzten Tage war das nicht so. Du hast nichts zu verlieren Lou. Genieß die Einheiten einfach und dann ist auch deine Leistung wieder top“, meint sie. ,,Ich versuche es.“ Wir erreichen den Platz und schon geht es los.Wie immer wärmen wir uns erstmal gründlich auf. Es wäre mehr als ärgerlich, wenn sich so kurz vor den Spielen jemand verletzt. Zur Vorbeugung ist ein ausführliches Aufwärmen essentiell wichtig. Danach geht es dann endlich ans Eingemachte. Erst steht der Zweikampf im Vordergrund. Wir werden Abwehrspielerinnen und Stürmerinnen eingeteilt. Die Stürmerin läuft mit dem Ball auf die Abwehrspielerin zu und dann geht es eben in den Zweikampf. So kann jede genau das üben, was sie am Ende auch in der Situation machen muss. Ich muss als erstes gegen Kathy ran. Mit dem Ball am Fuß laufe ich in relativ schnellem Tempo auf sie zu. Kathy kommt mir entgegen, doch ich kann mich durchsetzen und gehe als Siegerin aus dem Duell. Auch wenn ich ziemlich klein bin, habe ich trotzdem ein sehr gut ausgeprägtes Zweikampfverhalten. Oft werden kleine Spielerinnen aufgrund ihrer Größe unterschätzt, aber meist sind wir sehr hartnäckig und wuselig. Zumindest werden wir so von Kommentatoren beschrieben. So lange ich meine Zweikämpfe gewinne, ist mir das ziemlich egal. In der nächsten Runde bin ich gegen Feli gefordert. Das kann lustig werden. Wieder ist es der gleiche Ablauf. Diesmal kabbeln wir uns allerdings so lange bis wir beide lachend auf dem Boden liegen. Es war nicht ganz das Ziel dieser Übung, aber ein bisschen Spaß darf doch auch Mal sein. In der letzten Runde, in der ich gegen Obi antreten muss, kann ich mich dann nochmal durchsetzen. Das gibt Selbstvertrauen, denn Obi ist echt ein Biest.
,,So weitergeht es mit einer Übung, die ihr aus den Vereinen alle kennt und auch hier haben wir sie schon oft eingesetzt. Ein ganz wichtiger Punkt in jedem Fußballspiel ist das Umschalten. So schnell eine Offensivaktion gestartet ist, so schnell kann sie auch wieder vorbei sein. Wir spielen auf ein kleines Feld und unsere Torhüterinnen sind jetzt auch mit von der Partie. Merle und Stina werden in je einem Tor stehen. Ihr werdet in zwei Gruppen geteilt, diesmal positionsunabhängig, und steht jeweils hinter einem der Tore. Eine Spielerin aus Team eins beginnt, läuft mit dem Ball auf das gegenüberliegende Tor zu und kommt zu einem schnellen Abschluss. Dann wird diese Spielerin zur Abwehrspielerin und aus Team zwei läuft die erste Spielerin los, versucht sich gegen die andere im Zweikampf durchzusetzen und zum Abschluss zu kommen. Die Spielerin wird dann zur neuen Abwehrspielerin, die andere geht zurück auf ihre Seite und von Team eins kommt eine neue Angreiferin. Und so weiter und das natürlich in einem ordentlichen Tempo, dankt ihr auch wirklich zum Umschalten und schnellen Reagieren kommt“, erklärt Martina. Es ist und bleibt einfach meine Lieblingsübung. Ich gehöre zu Team zwei und starte aber erst gegen Ende der Gruppe. Meine Gegenspielern ist Pauli. Ich bin schon gestartet, als sie erst komplett umschalten kann und trotzdem schafft sie es fast noch meinen Schuss zu blocken. Ich registriere, dass der Ball im Tor gelandet ist und ändere dann sofort meine Richtung, um Sara von einem Torschuss abzuhalten. Es gelingt mir nicht, dafür ist mein Defensivverhalten in dieser Situation nicht gut genug. Wir spielen direkt noch einen weiteren Durchlauf in dieser Besetzung. Wieder kann ich meinen eigenen Angriff vollenden und jetzt schaffe ich es auch Sara von einem Abschluss abzuhalten. Grinsend gehe ich zurück hinters Tor. Dann wechseln wir die Seiten und auch die Reihenfolge, damit wir gegen verschiedene Spielerinnen spielen müssen. Diesmal bin ich direkt als zweite dran und schaffe es wieder den Ball im Tor unterzubringen. Mit meinen Gedanken bin ich aber schon bei meinem Abwehrverhalten gegen Lea. Doch ihre Qualitäten sind einfach zu hoch, als dass ich dagegen etwas machen könnte. Im zweiten Durchlauf kann ich mich wieder gegen Sjoeke durchsetzen und jetzt gelingt es mir Leas Abschluss zu blocken.
So macht das Training einfach Spaß. Es ist meine Session in diesen Tagen. Wir machen in kleineren Spielformen noch weitere Übungen zum Umschalten, so dass wir auch Mal in die andere Richtung, also von Defensive zu Offensive umschalten müssen. Heute gelingt mir fast alles. Am Ende gehe ich, wie es Feli prophezeit hat, strahlend vom Feld. Auch wenn diese eine gute Einheit kaum etwas an meinen geringen Chancen, es in den Kader zu schaffen, ändern wird, hatte ich einfach unglaublich viel Spaß. Das muss auch Mal sein.
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Flowers need time to bloom
FanfictionEineinhalb Jahre später hat sich vieles für Lou verändert. Nachdem sie sich zurückgezogen hat und in aller Ruhe ihr Abitur gemacht hat, kommt sie wieder in die erste Mannschaft des VfL Wolfsburg und versucht einen Neustart. Rasant geht es aufwärts u...