61 | Mut

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Am nächsten Tag  im Training merke ich dann wirklich wieder, warum ich Fußball spiele. Es ist eine Trainingseinheit, in der ich alles vergessen kann. Ich spiele einfach und ich merke, dass es mir gut tut. Die Session macht total viel Spaß. Ich kann einfach abschalten. Doch sobald sie zu Ende ist, werde ich wieder in die Realität geholt. ,,Feli, Lou, ihr seid heute Mittag bei der Pressekonferenz“, ruft Martina uns zu. ,,Lou, das war heute richtig gut von dir“, fügt sie noch hinzu, doch ich kann mich gar nicht mehr wirklich darüber freuen. Warum muss ich jetzt auch noch so schnell mit dem ganzen konfrontiert werden? Wir radeln zurück zum HomeGround. Ich weiß, dass Feli das Thema mit mir weiter diskutieren will, aber ich radele bewusst neben Merle, um Feli auszuweichen. Bevor wir zu unseren Häuschen gehen, erwischt sie mich dann doch noch. ,,Die PK ist wie immer um zwei. Wir treffen uns direkt nach dem Mittagessen und reden dann nochmal darüber.“ ,,Worüber reden?“, fragt Merle, während ich aufschließe. Schon gestern muss den anderen aufgefallen sein, dass ich ziemlich still war. Aber es gab keine Fragen, worüber ich sehr dankbar war. Bis jetzt. ,,Es ist an die Öffentlichkeit gekommen, warum ich so lange gefehlt habe und jetzt muss ich nachher zur PK und will dem ganzen eigentlich ausweichen“, fasse ich die Situation der letzten zwei Tage zusammen. ,,Habe ich das richtig gehört?“, fragt Sara. Ich seufze. Das macht es jetzt nicht besser. ,,Du solltest darüber reden“, meint Merle. ,,Das hat Feli auch gesagt. Will ich aber nicht.“ ,,Die Einstellungen der Medien und der allgemeinen Öffentlichkeit zum Thema Mentale Gesundheit haben sich geändert“, argumentiert Sara. ,,Auch das hat Feli schon gesagt.“ ,,Wir können dich nicht dazu zwingen nachher offen darüber zu reden, aber wir können dir Ratschläge geben. Am Ende musst du es selbst entscheiden, doch ich würde dir raten es zu tun“, sagt Merle und Sara nicht bekräftigend. ,,Denk bitte nochmal darüber nach“, meint Jule.

Ich habe mir die Worte der drei zu Herzen genommen und die von Feli auch. ,,Du schaffst das“, flüstert Feli mir zu. Dann müssen wir in den Presseraum. ,,Herzlich Willkommen zur Pressekonferenz der DFB Frauen während ihrer Olympia Vorbereitung. Heute sitzen hier die beiden Schwestern Felicitas und Louisa Rauch. Vorweg erstmal, wie war die heutige Trainingseinheit und was steht heute noch an?“, beginnt unsere Pressesprecherin. ,,Ja, unser Training heute Vormittag lief sehr gut. Über die Zeit merkt man richtig, wie wir immer eingespielter werden und sich die Probleme immer weiter verbessern. Den Nachmittag heute haben wir frei und verbringen ihn dadurch recht unterschiedlich. Einige werden hier auf dem Gelände sich anders sportlich betätigen. Manche werden aber bestimmt auch Mal eine Runde FIFA spielen. Heute Abend findet nach noch eine gemeinsame Koch- und Backaktion statt“, erzählt Feli. Ich bin froh, dass sie die erste Antwort übernommen hat. Diese ganze Sache mit den Pressekonferenzen ist mir immer noch nicht geheuer und heute erst Recht nicht. ,,Dann bitte ich unsere Journalistinnen und Journalisten jetzt um ihre Fragen“, fordert unsere Pressesprecherin die anwesenden der Medienrunde auf. ,,Ihr seid in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs die ersten, die zusammen ein Olympisches Turnier spielen. Wie fühlt sich das für euch an? Und vielleicht dann noch speziell an Lou, wie ist es für dich jetzt dabei zu sein?“ Immerhin geht es mit einer noch wirklich angenehmen Frage los. ,,Es ist immer noch etwas überwältigend. Ich habe es jetzt schon so oft gesagt, aber das ändert trotzdem nichts daran, dass es mir für Tabsi wirklich unglaublich Leid tut, dass sie dieses Turnier nicht spielen kann. Sie wird trotzdem ein Teil des Teams sein und ich werde natürlich mein bestes geben sie würdig zu vertreten. Und so freue ich mich jetzt auch das Turnier zu spielen! Mir hilft es total, dass Feli auch hier ist. Schon im Verein war und ist sie immer eine große Stütze für mich und hier bei der Nationalmannschaft nochmal mehr. Sie ist mittlerweile so erfahren und kann mir da oft sehr helfen“, antworte ich. ,,Das mache ich auch gerne. Ich habe ja schon Turniere ohne Lou gespielt. Bei der WM im letzten Jahr war sie ja noch nicht dabei. Und erstmal sah es ja auch so aus, als würde es wieder so kommen. Umso mehr habe ich mich dann gefreut, als ich erfahren habe, dass es sie ist, die nachnominiert wurde. Wir haben eine wirklich sehr enge Bindung zu einander, die ich auch auf dem Platz immer wieder spüre. Diese ganze Zeit vor und während den Olympischen Spielen jetzt mit meiner kleinen Schwester teilen zu dürfen, ist etwas ganz besonderes und macht mich auch etwas stolz“, ergänzt Feli. ,,Inwiefern stolz?“ kommt die Nachfrage des Journalisten. ,,Stolz auf Lou. Sie musste wirklich viel durchmachen und es macht mich wirklich stolz, dass sie es jetzt hier her geschafft hat. Man darf auch nicht vergessen, dass sie morgen erst 19 wird.“

,,Du hast es schon angesprochen, Lou musste vieles durchmachen. Vor zwei Tagen kam raus, dass du mit mentalen Problemen zu kämpfen hast. Kannst du Lou da genaueres zu sagen?“ Da ist die Frage vor der ich wirklich Respekt hatte. Ich schaue zu Feli. Diese lächelt. Es ist ein beruhigendes Lächeln. Ein Lächeln der Art ,,du schaffst das und ich bin bei dir“. ,,Ich habe immer darüber geschwiegen. Seit ich zu Beginn der Saison wieder angefangen habe zu spielen, bin ich der Frage immer wieder ausgewichen. Ich wollte nicht darüber reden. Auch während der Zeit nicht. Ich bin einfach abgetaucht. Nachdem jetzt etwas dazu bekannt geworden ist, bleibt mir keine andere Wahl. Die U-20 WM vor über zwei Jahren war nicht einfach für mich und hat einiges in mir ausgelöst. Ich habe den Spaß am Fußball verloren und das Vertrauen in mich selbst. Es hat lange gedauert bis ich wieder zu mir selbst stehen konnte. Deswegen bin ich komplett von der Bildfläche verschwunden. Während der WM kam eins zum anderen und immer größer wurde plötzlich die Aufmerksamkeit der Medien. Ich habe die Zeit danach für mich gebraucht. Ich hatte immer noch einen Schulabschluss ausstehen, musste mich darauf auch konzentrieren und dann ist alles zu viel geworden. Ich war mental am Ende und brauchte eine Pause. Anderthalb Jahre später bin ich wieder in den normalen Spielbetrieb der ersten Mannschaft gestartet und konnte von Anfang an sagen, dass es mir wirklich wieder gut ging. Und das kann ich auch hier und heute von mir sagen. Mir geht es gut. Ich habe Spaß am Fußball und ich freue mich auf das Turnier. Die Probleme, die ich hatte gehören zu mir dazu, aber sie sind in Vergangenheit und das ist auch gut so.“ Ich atme erst einmal aus. Mir kommt es so vor als hätte ich in der Zeit, in der ich geredet habe, das Atmen vergessen. Und trotzdem merke ich, wie die Anspannung von meinen Schultern abgefallen ist. Es war die richtige Entscheidung. Ein Schweigen entsteht. Niemand weiß, was man jetzt sagen soll. Zum Glück erkennt Feli die Situation und ergreift das Wort.

,,Lou hatte ihre Probleme damit über das alles zu sprechen. Es war von ihrer Seite aus nicht geplant, dass da etwas an die Öffentlichkeit gelangt, aber jetzt ist es völlig okay. Sie ist so eine starke Person, die sich dem ganzen jetzt stellt. Ich sehe das als unglaublich wichtig an. Mentale Gesundheit ist ein Thema, das im Professionellen Leistungssport oft als Tabu angesehen wird. Genau das soll es aber nicht mehr sein. Es gibt viele Schritte in die richtige Richtung und das soll auch Lous Geschichte jetzt sein.“ Ich nicke. ,,Das war sehr schön von euch beiden gesagt. Auch für sowas ist hier auf diesem Pressekonferenz Platz. Danke Lou, dass du so offen darüber geredet hast. Gibt es weitere Fragen?“, meint unsere Pressesprecherin. ,,Auch ich finde es großartig, dass du so offen darüber gesprochen hast. Was erwartet ihr persönlich von diesem Turnier?“, wird die nächste Frage gestellt. ,,Martina hat bereits klar kommuniziert, wer wie eingeplant ist. Natürlich möchte ich viel spielen. Als erfahrene Spielerin muss das mein Anspruch sein, aber trotzdem will ich alles für das Team geben. Wir sind eine kleine Gruppe von nur 18 Spielerinnen. Da muss jede ihren Beitrag für das Team leisten und genau das will ich auch tun. Ob es dann mit viel oder wenig Spielzeit ist, sieht man dann“, antwortet Feli zuerst. ,,Mir geht es ähnlich. Ich weiß, dass ich als jüngste im Team nicht besonders viel Spielzeit bekommen werde. Doch das ist mir egal. Ich möchte einfach dabei sein und das alles aufsaugen. Olympia ist immer etwas besonderes und das als erstes großes Turnier mit der A-Nationalmannschaft zu spielen, ist schon etwas ganz tolles, worauf ich mich einfach unglaublich freue.“

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