29 | Buddys

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Nach weiteren erfolgreichen Tagen in der Reha geht es am Wochenende für uns nach Bremen zum nächsten Auswärtsspiel. Ich fahre diesmal auch mit, um die Mannschaft von außen zu unterstützen. Endlich bin ich wieder mobiler unterwegs und komme ohne Krücken reibungslos voran. Nur die Schiene soll ich immer noch tragen, aber mit der lässt es sich gut laufen. So fahre ich am Sonntag Morgen zusammen mit unserer zweiten Torhüterin, die aufgrund einer leichten Verletzung nicht spielen kann, nach Bremen. Ich bin eigentlich nicht Mal nervös. Sonst ist das immer ziemlich schlimm und ich bin beim Zuschauen nervöser als wenn ich spielen würde. Aber heute nicht. Das Spiel sollten wir aber auch gewinnen können und beim aktuellen Stand der Mannschaft mache ich mir da kaum sorgen. Die letzten Wochen waren extrem gut. Nach dem Sieg in der Champions League gegen Chelsea gab es auch noch einen über BK Häcken aus Schweden. Und auch in der Liga lief es bisher fantastisch. Dazu kommt noch der deutliche Sieg im Pokal am letzten Wochenende mit einem 11:0 gegen Bochum. Es läuft. Und heute habe ich wenig Zweifel, dass da etwas schief gehen wird. Bremen ist zwar mit der Zeit eine immer bessere Mannschaft geworden, aber dennoch liegen sie immer noch in der unteren Hälfte der Tabelle.
Es ist schön wieder im Stadion zu sein. Seit meiner Verletzung war ich nur bei dem einen Länderspiel in Braunschweig und einem Heimspiel in der Liga, bei dem ich aber gezwungen wurde hinzugehen. Aber jetzt ist es toll wieder da zu sein und vor all.ais eigenem Willen da zu sein. Wirklich viel ist nicht los, aber immerhin sind es schätzungsweise über 1000 Menschen. Das ist schon Mal was. Einige davon sind auch Gästefans, so dass ich sogar die gute Stimmung richtig genießen kann. Es ist schon etwas anderes als Fan da zu sein. Und wir haben auch ordentlich was zu jubeln. Schon nach einer halben Stunde führen wir mit 3:0. Und das schönste daran, ist Felis Tor, die Mal wieder einen Freistoß direkt verwandeln konnte. Diese Tore sind einfach die schönsten von ihr. Wieder sind die Mädels auf dem Vormarsch in Richtung generisches Tor. Becks will an ihrer Gegenspielerin vorbeirauschen, doch dann geht sie zu Boden und hält sich das Knie. Das sieht nicht gut aus. Sofort kauere ich mich auf meinem Sitz zusammen. Becks darf nicht die nächste sein, die sich verletzt. Es sind bange Minuten. So muss es wohl auch gewesen sein, als ich mich verletzt habe. Vor knapp fünf Wochen lag ich auf so einem Rasen und wurde behandelt. Jetzt ist es Becks. Bitte nicht. Letztendlich muss sie aber wirklich ausgewechselt werden. Am liebsten würde ich sofort zu ihr gehen, aber das darf ich gerade nicht.

Sobald der Halbzeitpfiff ertönt, mache ich mich auf den Weg in die Kabine. Dort sitzt Becks in dem Nebenraum auf einer Bank, ihr verletztes Knie, das schon stark bandagiert ist, darauf ausgestreckt. ,,Wie geht’s dir?“, frage ich. ,,Naja, geht“, antwortet sie. Ist ja eigentlich auch eine dumme Frage. ,,Was haben die Physios gesagt?“ ,,Es ist wohl wahrscheinlich etwas am Innenband“, meint sie. Das kommt mir ziemlich bekannt vor. ,,Oh man. Das klingt nicht so gut“, stelle ich fest. ,,Jap, aber was will man machen.“ Ich nehme Becks einfach nur in den Arm. Es tut weh diese Hoffnungslosigkeit zu hören. Aber ich weiß, dass ich selbst nicht besser war. Auch ich war nicht gerade positiv gestimmt. Das ist einfach so. ,,Das Spiel geht gleich weiter“, meint Eva noch kurz zu uns. ,,Alles klar.“ So gehe ich zurück auf die Tribüne und Becks geht mit Evas Hilfe nach draußen aufs Feld. Den Rest des Spiels kann ich nicht mehr ganz so genießen. Solche Verletzungen trüben alles immer total. Viel passiert auch im Spielgeschehen nicht mehr. Bremen gelingt noch der Anschlusstreffer und wir legen in Person von Tabsi noch ein Tor nach. Dabei bleibt es dann. Nach Abpfiff gehe ich sofort zu den Mädels aufs Feld. Dieser Sieg ist schon extrem wichtig, denn gegen solche Gegner wie Bremen kann man schon Mal stolpern. Das hat die jüngere Vergangenheit der Liga schon öfter gezeigt.

Am Montag stehe ich wie immer pünktlich um halb neun im Kraftraum. ,,Guten Morgen“, begrüßt mich Lina. ,,Morgeeeen“, erwidere ich. Abgesehen davon, dass immer noch nicht klar ist, was mit Becks ist, bin ich echt gut gelaunt. Heute geht es im eines neues Paket an Übungen. Jetzt darf ich auch erste Kraftübungen mit dem verletzten Knie machen. Zuerst geht es aber wie immer auf den Ergometer. Mittlerweile darf ich sogar eine halbe Stunde radeln, allerdings immer noch bei sehr wenig Druck und damit wenig Belastung auf das Knie. Doch das ist mir ziemlich egal. Hauptsache ich darf überhaupt etwas machen. Danach geht es dann an die Kraftübungen. Schnell wird meine Euphorie gebremst. Schon bei der ersten Kniebeuge spüre ich Schmerzen. ,,Alles gut?“, fragt Lina, die mich wie immer genau beobachtet. ,,Ich glaube, mein Knie ist noch nicht soweit“, sage ich leise. Ich will es nicht wahrhaben, aber ich muss vernünftig sein. Wenn ich weiter durchziehe, wird es nur schlimmer werden. Das ist nicht der Sinn der Reha. ,,Dann lassen wir das lieber erstmal noch“, meint Lina. Ich nicke. Reha bedeutet Geduld. Ich muss abwarten bis mir mein Körper das Go gibt, um Belastungen wieder aufzunehmen. So mache ich nur die Kraftübungen für mein gesundes Bein und eben Oberkörper und Arme. Doch meine Motivation ist dahin. Es macht keinen Spaß, denn das sind Übungen, die mir praktisch nichts für mein Comeback bringen. Klar muss ich allgemein in einem fitten Zustand bleiben, aber wichtig ist es eben das verletze Knie wieder auf Trab zu bekommen. Das geht heute nicht. Und wahrscheinlich morgen auch nicht. Es nervt. Ich bin gerade Mal seit einer Woche richtig in der Reha und schon genervt davon. Wie soll das weitergehen?

Als ich den Kraftraum verlasse, kommt der Rest der Mannschaft erst. Nur die Reha-Einheit ist meistens ziemlich früh. Vor allem montags. Ich begrüße die Mädels nur kurz und wünsche ihnen viel Spaß bei ihrer Session, bevor ich das Gebäude verlasse. Dann laufe ich zurück zur WG. Normal Fahrradfahren darf ich noch nicht und abholen kann mich ja jetzt niemand. Zum Glück ist es nicht weit. In zehn Minuten bin ich zu Hause. Dort setze ich mich mit einem Buch aufs Sofa. Für die Uni habe ich jetzt keinen Kopf. Doch auch Lesen funktioniert nicht. Meine Gedanken sind ganz woanders. Immer wieder schaue ich auf mein Handy, obwohl ich genau weiß, dass der Benachrichtigungston an ist und ich es definitiv mitbekomme, wenn Becks mir schreibt. Ich habe sie darum gebeten mich zu informieren, wenn sie weiß, was in ihrem Knie Sache ist. Endlich kommt die Nachricht.

Becks: Mein Innenband ist angerissen

Nur diese Nachricht. Kein Emoji nichts. Irgendwie gibt mir das ein ungutes Gefühl.

Ich: Soll ich vorbei kommen?

Becks: Wenn es bei dir gerade passt, dann ja bitte

Schnell mache ich mich fertig und laufe dann zu Becks. Glücklicherweise wohnt sie nur ein paar Straßen weiter. Schon bin ich da. Als Becks die Tür öffnet, sehe ich sofort, dass sie geweint haben muss. ,,Komm her“, sage ich nur und nehme sie sofort in den Arm. Ich stehe immer noch im Türrahmen, aber das ist egal. Erst als wir uns wieder voneinander lösen, betrete ich ihre Wohnung richtig und ziehe mir schnell die Schuhe aus. Dann gehen wir zusammen in ihr Wohnzimmer. ,,Wie fühlst du dich?“, frage ich vorsichtig. ,,Zwiegespalten. Einerseits bin ich erleichtert, dass es nicht so schlimm ist wie vielleicht befürchtet, andererseits ist so eine Verletzung trotzdem ein Schlag ins Gesicht. Vor allem, wenn man dachte, dass es jetzt endlich Mal gut und verletzungsfrei läuft“, antwortet Becks. ,,Das stimmt und ich verstehe dich total, aber ich glaube, du hattest wirklich Glück. Wann darfst du die Reha anfangen?“ ,,In knapp zwei Wochen, wenn’s ganz perfekt läuft schon in anderthalb“, meint sie. ,,Das ist doch schon Mal was. Und vor allem, du musst da nicht alleine durch. Wir gehen den Weg jetzt zusammen“, sage ich. ,,Genau. Wir haben uns gegenseitig. Und so wie der Arzt meinte, bin ich wohl im März wieder fit und du ja auch. Jetzt sind wir eben Reha-Buddys.“

Flowers need time to bloomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt